Der Ammersee mit einem Steg im Vordergrund während eines Sonnenuntergangs.
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Auf X geht eine Falschbehauptung über angebliche Sexualverbrechen am Ammersee viral - obwohl es die Fälle gar nicht gibt. (Symbolbild)

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Wie mit Desinformation Hass auf Zuwanderer geschürt wird

Wie mit Desinformation Hass auf Zuwanderer geschürt wird

Migranten würden am Ammersee "reihenweise" Kinder vergewaltigen. Diese Falschbehauptung verbreitete sich auf X rasant. Der #Faktenfuchs erklärt, woran das liegt - und wie man solche Manipulationsversuche erkennen kann.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Darum geht’s:

  • Auf X geht eine Falschbehauptung über angebliche Sexualverbrechen am Ammersee viral - obwohl es die Fälle laut Polizei und Opferberatungsstellen gar nicht gibt.
  • Die Behauptung verbreitet sich schnell, weil sie typische Desinformations-Strategien nutzt und althergebrachte Vorurteile bedient.
  • Wir erklären an dem Beispiel, woran man diese Art von Desinformation erkennen kann.

Die Falschbehauptung geht binnen Stunden viral – und sie ist gefährlich. Auf X behauptet ein Account Anfang Oktober, "Migranten" hätten am Ammersee mehrfach Minderjährige vergewaltigt. Angeblich würden Polizei und Presse die Fälle totschweigen und Eltern nicht warnen, um einen Aufruhr zu verhindern.

Die Behauptung, die schnell von der Polizei und vom #Faktenfuchs korrigiert wird, erreicht an einem Tag mehr als 400.000 Menschen. Das Polizeipräsidium Oberbayern Nord schreibt auf X: "Auch nach sorgfältiger Prüfung des beschriebenen Vorfalls liegen uns derzeit keine Erkenntnisse vor, die diese Darstellung bestätigen." Doch da ist es schon zu spät: Andere User posten Hasskommentare gegen Migranten und rufen kaum verhohlen zu Gewalt und Selbstjustiz auf.

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Auf X geht eine Falschbehauptung über angebliche Sexualverbrechen am Ammersee viral - obwohl es die Fälle gar nicht gibt.

Falschbehauptungen können Debatten beeinflussen und zu Gewalt führen

Welche Auswirkungen derartige Gerüchte haben können, zeigt ein Fall aus der Vergangenheit: Im Januar 2016 verbreitete sich in Berlin das Gerücht, Asylbewerber hätten ein russischsprachiges Mädchen vergewaltigt, die Polizei weigere sich zu ermitteln ("Fall Lisa"). In den Tagen danach gingen in ganz Deutschland Tausende Russischsprachige auf die Straße, um gegen "Merkels Flüchtlingspolitik" zu protestieren. Doch die Geschichte war frei erfunden.

Auch die Falschinformation vom Ammersee kommt zu einer Zeit, in der in Deutschland kontrovers über eine härtere Migrationspolitik diskutiert wird. Deswegen erklären wir in diesem #Faktenfuchs, warum sich diese Art von rassistischer Desinformation so gut verbreitet, mit welchen Methoden sie verbreitet wird und geben Tipps, wie man sie erkennen kann.

Bewusste oder unbewusste Täuschung: Unterschied von Falsch- und Desinformation

Unklar ist, ob die Person hinter dem Profil, weiß, dass sie eine Falschbehauptung verbreitet. Laut eigener Darstellung handelt es sich um eine Frau, die in der Ammersee-Region lebt und eine Tochter hat. Eine Bilderrückwärtssuche ergibt: Das Profilbild des Accounts zeigt eine britische Schauspielerin. Die Sozialpsychologin Pia Lamberty, die sich am Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) mit Desinformation beschäftigt, hat sich für den BR den Account angeschaut.

Ihre Einschätzung: Wegen des falschen Bildes könnte es sich dabei um ein Fakeprofil handeln. Es ist also möglich, dass sich dahinter jemand anderes verbirgt. Das Verhalten des Accounts deute aber darauf hin, dass ein echter Mensch ihn betreibt, kein automatisierter Bot. Denn die Posts zeigten ein in sich stimmiges Weltbild mit klaren Feindbildern. Automatisierte Bots widersprächen sich in ihren eigenen Posts häufig. Zudem sei der Account mit Unterbrechungen seit 2009 aktiv und interagiere glaubwürdig mit anderen Profilen, statt nur automatisiert Posts von anderen Accounts zu verbreiten.

Lambertys Einschätzung: Wenn sich hinter dem Profil tatsächlich eine Frau vom Ammersee verberge, dann sei es denkbar, dass sie die Behauptung gutgläubig weiterverbreitet hat ("Falschinformation"). Falls jemand ganz anderes ein Fakeprofil betreibe, dann sei es wahrscheinlicher, dass dahinter eine Täuschungsabsicht stecke ("Desinformation"). Der #Faktenfuchs hat den Account mit Fragen zu dem Thema kontaktiert und um Identifizierung gebeten - die Anfrage wurde bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung nicht beantwortet.

Diese Methoden sind typisch für Desinformation

In vielen Fällen lässt sich nicht auf Anhieb eindeutig sagen, ob der Inhalt eines Posts falsch ist oder mit einer Täuschungsabsicht verbreitet wird. Es gibt aber Indizien, die darauf hindeuten, dass es sich dabei um einen Manipulationsversuch handeln könnte. Selbst wenn man nicht die Zeit hat, die Behauptung selbst zu verifizieren, kann man deshalb auf bestimmte Dinge achten. Wir erklären anhand des Ammersee-Beispiels, welche das sind.

Indiz 1: Fehlende Quellen und offensichtliche Widersprüche

Der Post kommt ohne überprüfbare Quellen für die Behauptung aus: Es gab keine Nachfrage bei der Polizei, keine Wortmeldungen von Betroffenen oder anderen Mitwissern in sozialen Netzwerken oder Lokalmedien, die zitiert werden. Stattdessen gibt der Account ein Gerücht wieder: Man habe "unter der Hand" von mehreren Vergewaltigungen erfahren. Von wem, sagt der Account nicht. Selbst als andere darauf hinweisen, dass hier unbelegte Gerüchte weiterverbreitet werden, löscht der User den Post nicht.

Und: Die Person erzählt verschiedene Varianten der Geschichte, die sich zum Teil widersprechen. Zunächst schreibt sie, die Polizei würde die Fälle totschweigen, um einen Aufruhr zu verhindern. Später heißt es, die Täter seien umgehend von der Polizei gefasst worden, diese verschweige die Taten aber, um die Opfer zu schützen. Noch später teilt der Account selbst dann ein Dementi der Polizei, in dem diese sagt, es habe die Fälle nie gegeben. Die Posts mit den Falschbehauptungen werden nicht verändert oder gelöscht.

Auf andere Personen scheint gerade das vermeintlich exklusive Wissen um die Vergewaltigungen, das Raunen, dass hier etwas verschwiegen werde, einladend zu wirken. In den Kommentaren spekulieren die Mitleser, ob die Geschichte stimmen könnte oder nicht. Laut der Sozialpsychologin Pia Lamberty macht genau das den Erfolg von Desinformation und Verschwörungstheorien aus: Klatsch und Tratsch übten auf viele Menschen eine Faszination aus. Das Gefühl, im Besitz geheimen Wissens zu sein, gebe den Followern ein Gefühl von Bedeutung. "Das alles garantiert keine Viralität, macht es aber wahrscheinlicher, dass Menschen das teilen, weil es eben unterschiedliche psychologische Bedürfnisse bedient."

Indiz 2: Sorge, Angst, Bestürzung - Große Emotionen

Desinformation zielt auf unsere Emotionen. Sie ist so gemacht, dass wir wütend werden oder Angst bekommen - oder dass diese Gefühle und bestehende Vorurteile verstärkt werden. Diese starken Reaktionen seien für Desinformations-Akteure nützlich, sagt Lamberty. Denn Studien zeigen, dass Posts mit starken negativen Gefühlen sich schneller weiterverbreiten. Sie werden öfter angeklickt, öfter geteilt oder geliked. Das wiederum führe dazu, dass sie vom Algorithmus bevorzugt würden - ein sich selbst verstärkender Effekt.

Auch der betreffende X-Account setzt auf negative Emotionen. Das Profil zeichnet ein Heile-Welt-Szenario, in das jäh das Unheil einbricht ("Ich dachte, ich lebe in einer der letzten halbwegs heile-Welt-Idyllen Deutschlands...."). Und: Die Person bringt ihre eigenen Erfahrungen ins Spiel, schreibt bildreich davon, wie Warnungen auf die Handys aller Eltern rauschten, "wenn irgendwo im Landkreis ein (weißer) Mann Kinder anspricht", während Presse und Polizei schwiegen, wenn Migranten "reihenweise" kleine Mädchen vergewaltigten.

Der Account zeigt sich besorgt und verärgert und appelliert an die Hilfsbereitschaft der Follower: "Ich habe selbst eine Tochter, ich will wissen, ob das stimmt." Die Taktik verfängt: Unter dem Post finden sich mehr als 700 Kommentare, er wird von mehr als 1.500 Profilen geteilt.

Indiz 3: Die Behauptung knüpft an ein bestehendes Weltbild an

Einen weiteren Grund, dass gerade diese Falschinformation von so vielen X-Usern geteilt werde, erklärt Charlotte Lohmann von der Amadeu Antonio Stiftung (AAS): Die Behauptung bediene das Stereotyp des sexuell übergriffigen "fremden Mannes", das seit Jahrhunderten in Familien und Dorfgemeinschaften weitererzählt werde.

In einer Handreichung zum Thema erklärt die AAS, warum dieses Stereotyp zu kurz greift: Sexualisierte Gewalt sei in Deutschland leider weit verbreitet. Entsprechend verständlich sei die Angst vieler Eltern, dass ihre Kinder Opfer eines solchen Übergriffes werden könnten. Die extreme Rechte instrumentalisiere diese Ängste jedoch, um Stimmung gegen Migranten zu machen. Mit Gerüchten und Falschbehauptungen heize sie die Befürchtungen noch zusätzlich an. Doch wem es um Lösungen gehe, der müsse das ganze Problem in den Blick nehmen: Der ganz überwiegende Teil sexualisierter Gewalt finde in der eigenen Familie oder im Bekanntenkreis statt. Er werde nicht von "Fremden" verübt.

Genauere Größenordnungen finden sich in einer Zusammenstellung der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs aus dem Jahr 2022. Darin heißt es: Es sei davon auszugehen, dass etwa ein bis zwei Kinder pro Schulklasse von sexueller Gewalt betroffen sind. Bei rund drei Viertel der Fälle geschehe das in der eigenen Familie oder im sozialen Nahfeld.

Diese Zahlen bestätigt im Interview auch der Kriminologe Christian Walburg von der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster, der sich mit Migration und Kriminalität beschäftigt. Er sagt auch: Das Risiko, dass reguläre Arbeitsmigranten Straftaten begehen - wenn sie etwa für den Job nach Deutschland kommen, sozial gut eingebunden sind und eine gesicherte Existenz haben - sei in der Regel nicht höher als bei Einheimischen. Das lasse sich in vielen Studien der vergangenen 50 Jahre, in Deutschland und international, beobachten.

Etwas anders sei das bei spezifischen Teilgruppen von Migranten, etwa Geflüchteten: In der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) - die allerdings nur Tatverdächtige, keine Verurteilten zählt - seien Geflüchtete bei Sexualstraftaten überrepräsentiert. Ihr Anteil dort ist etwa 2,5- bis fünfmal so hoch wie ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung. Laut Walburg gibt es dafür verschiedene Gründe: In der Gruppe der Geflüchteten gebe es deutlich mehr junge Männer als in der Gesamtbevölkerung. Außerdem spielten auch soziale Probleme wie Arbeitslosigkeit, fehlende soziale Einbindung, Gewalterfahrungen und problematische Männlichkeitsvorstellungen eine Rolle. Denn diese Faktoren erhöhen das Risiko, dass jemand straffällig wird.

Trotz all dem begehe jedoch nur ein sehr kleiner Teil der Geflüchteten solche Delikte. Walburg rechnet anhand von Zahlen aus der PKS vor: Im Jahr 2023 ermittelte die Polizei 1.193 Geflüchtete, die verdächtigt wurden - nicht verurteilt -, besonders schwere sexuelle Übergriffe wie Vergewaltigungen verübt zu haben. Das ist bei derzeit über drei Millionen Schutzsuchenden in Deutschland ein Anteil von unter 0,05 Prozent.

Auch der Confirmation Bias und der Illusory Truth Effect spielen eine Rolle

Dass ein Gerücht wie das vom Ammersee so gut verfängt, habe auch mit psychologischen Effekten zu tun, sagt Sozialpsychologin Pia Lamberty: etwa mit dem sogenannten Confirmation Bias oder "Bestätigungsfehler". Dieser besagt, dass Menschen dazu tendieren, Informationen zu glauben, die das eigene Weltbild bestätigen. Der "Illusory Truth Effect" sorgt zudem dafür, dass wir Dinge, die wir schon oft gehört haben, eher glauben.

"Wenn man eh schon glaubt, dass die Polizei Gewalt durch Migranten verheimlicht, dann ist es gar nicht so wichtig, ob dieser eine Fall jetzt stimmt oder nicht", sagt Lamberty. Selbst eine Falschinformation, die als solche erkannt wird, könne das eigene Weltbild verstärken.

Indiz 4: Zweifel in Institutionen säen

"Desinformation zielt oft darauf ab, das Vertrauen in Institutionen zu schwächen", sagt Charlotte Lohmann von der Amadeu Antonio Stiftung. Zweifel zu säen sei daher eine der wichtigsten Strategien von Personen oder Gruppen, die Desinformation verbreiten. Das führe zu Verunsicherung und dazu, dass selbst Experten nicht mehr geglaubt wird.

In dem X-Post zum Ammersee lässt sich das beispielhaft beobachten: Schon im Ursprungspost behauptet die Verfasserin, ohne Quellenangabe, Polizei und Presse würden die angeblichen Vergewaltigungen verschweigen. Die Behauptung zu überprüfen, wird so fast unmöglich. Welche Auswirkungen das hat, zeigt sich direkt unter dem Post. Als User vorschlagen, bei der Polizei nachzufragen, hält der Account entgegen: "Die Polizei ist angeblich zum Schweigen verpflichtet. Was also wird mir die Polizei erzählen? Nichts."

Der #Faktenfuchs hat in einem ersten Faktencheck zu der Behauptung deshalb nicht nur mit der Polizei gesprochen, die keinen einzigen solchen Fall am Ammersee in den vergangenen Monaten bestätigen konnte. Sondern auch mit zwei Opferberatungsstellen, die ebenfalls nichts von den angeblichen Vergewaltigungen wussten.

Fazit

Desinformation verfolgt das Ziel, Misstrauen zu säen, bestehende Weltbilder zu festigen und Menschen zu manipulieren. Die Akteure, die Desinformation verbreiten, nutzen bestimmte Strategien, damit ihren Falschbehauptungen geglaubt und diese weiterverbreitet werden.

In einem Post zu angeblichen Vergewaltigungen am Ammersee lassen sich verschiedene dieser Methoden beobachten: Eine vermeintlich geheime Information bedient die Neugierde der Follower. Der Account setzt außerdem auf ein Thema, das starke Gefühle auslöst - was auf Social Media noch zusätzlich vom Algorithmus belohnt wird. Die Behauptung knüpft außerdem an ein bestehendes Weltbild an, das von vielen Menschen ohnehin schon geteilt wird. Und: Mit rhetorischen Mitteln sät der Account Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Presse und Polizei.

Quellen

Interview mit Pia Lamberty, Sozialpsychologin und Mitgründerin des Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS)

Interview mit Charlotte Lohmann, Bildungsreferentin für Medienkompetenz bei der Amadeu Antonio Stiftung

Interview mit Christian Walburg, Kriminologe

Veröffentlichungen

"Wie Desinformation funktioniert – Gefühlsmanipulation": Video des Europäischen Parlamentes (2024)

"Das Bild des ‘übergriffigen Fremden’. Warum ist es ein Mythos?", Broschüre der Amadeu Antonio Stiftung (2016).

"Zahlen und Fakten - Sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche", Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (2022).

Zhang N., Song J., Chen K., Jia S., "Emotional contagion in the propagation of online rumors"; Issues Inf. Syst., 23 (2) (2022)

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