Darum geht’s:
- Auf X behauptet ein Userin, sie habe gehört, am Ammersee würden sich Vergewaltigungen von Minderjährigen durch Migranten häufen. Diese würden angeblich von der Polizei totgeschwiegen, um Aufruhr zu verhindern. Die Userin will wissen, ob das stimmt.
- Für die Gerüchte gibt es keinerlei Belege: Die zwei zuständigen Polizeipräsidien sagen, dass es in den letzten Monaten keinen einzigen solchen Fall gegeben habe. Auch in den zuständigen Landratsämtern und Beratungsstellen für Opfer sexueller Gewalt hat niemand von den Fällen gehört.
- Die Falschbehauptung wurde auf X mehreren hunderttausend Usern angezeigt.
Seit Dienstag Abend verbreitet sich auf X, ehemals Twitter, eine Falschinformation, die inzwischen von der Polizei dementiert worden ist. Eine Userin schreibt, sie habe "unter der Hand" erfahren, dass in der Nähe des Ammersees zwei Mädchen von Migranten vergewaltigt worden seien. Und fügt hinzu, dass es in der Gegend "mittlerweile häufig Vergewaltigungen Minderjähriger durch Migranten gebe, die allesamt von der Polizei totgeschwiegen" würden. Angeblich wolle die Polizei so verhindern, "dass die Leute auf die Barrikaden gehen".
Die Userin erklärt, sie wolle wissen, was wirklich passiert sei – und fordert ihre Follower auf, den Post mit den Gerüchten weiterzuverbreiten. Sie lässt ihn jedoch auch am Mittwochabend noch online, als die Polizei die Fälle längst unter ihrem Post dementiert hat.
Die Fakten: Keine Belege für Vergewaltigung
Für die Behauptung, dass kürzlich rund um den Ammersee ein oder sogar mehrere Mädchen vergewaltigt wurden, gibt es keine Belege. Das Polizeipräsidium Oberbayern Nord, das für drei der nördlich gelegenen Landkreise rund um den Ammersee zuständig ist, teilt auf #Faktenfuchs-Anfrage mit: Dem Präsidium sei kein Sachverhalt bekannt, "bei dem eine weibliche Person im Bereich des Ammersees in den vergangenen sechs Monaten Opfer eines Sexualdelikts wurde. Insofern können wir auch keine Häufung solcher schwerwiegenden Delikte für diese Region bestätigen."
Für den südlich an den Ammersee angrenzenden Landkreis Weilheim-Schongau ist das Polizeipräsidium Oberbayern Süd zuständig. Auch hier teilt ein Sprecher dem #Faktenfuchs mit: Es habe in den vergangenen drei Monaten definitiv keinen solchen Fall gegeben.
Falschinformation erreicht laut X hunderttausende User
Der X-Post verbreitet sich rasant. Bis Mittwochabend haben ihn laut Plattformangaben über 400.000 User gesehen. In den Kommentaren spekulieren Mitleser, ob das Grücht stimmen könne. Einige berichten von Fällen, in denen die Polizei, Schulleiter oder andere Autoritätspersonen Opfer sexueller Gewalt angeblich aufgefordert hätten, "zu schweigen, damit es keine 'Unruhen' gibt". Belege dafür liefert keiner der Accounts.
Es ist nicht das erste Mal, dass Falschmeldungen über ein angeblich von Migranten vergewaltigtes Mädchen in Deutschland für Aufruhr sorgen. Schon 2016 ging das Gerücht um, Geflüchtete hätten ein russlanddeutsches Mädchen entführt und vergewaltigt ("Fall Lisa"). In den Tagen danach gingen in ganz Deutschland Menschen auf die Straße, um gegen die Flüchtlingspolitik der damaligen Kanzlerin Angela Merkel zu demonstrieren. Dann stellte sich heraus: Die Geschichte war frei erfunden.
"Opferschutz" dient nicht dazu, der Öffentlichkeit Informationen vorzuenthalten
Viele der User auf X spekulieren unter dem Post, die Polizei würde die Öffentlichkeit nicht vor freilaufenden migrantischen Sexualstraftätern warnen, um keinen Aufruhr auszulösen. Oder die Beamten hätte Anweisungen, derartige Taten zu verheimlichen. Nach außen hin, so heißt es, würde eine solche Zurückhaltung oft mit "Opferschutz" begründet. Dem widerspricht Michael Graf, Polizeihauptkommissar des Polizeipräsidiums Oberbayern Nord: Man berichte Sexualdelikte im öffentlichen Raum "grundsätzlich immer" - aber insbesondere dann, "wenn der Täter noch unbekannt ist und sich weiter im öffentlichen Raum bewegt". Die Polizei gebe die Informationen unter anderem über ihre regionalen und überregionalen Presseverteiler weiter.
Das Konzept des Opferschutzes gibt es zwar, aber nicht in dieser Form: Man achte gerade bei sensiblen Themen darauf, die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen und "Grundsätze der Pietät" zu wahren, schreibt der Sprecher des Präsidiums Oberbayern Nord. Dies führe jedoch nicht zwingend dazu, dass man nicht berichte - sondern eher, dass weniger Details berichtet würden.
Nur in ganz speziellen Fällen würde nicht berichtet: Nämlich dann, wenn zu befürchten ist, dass die Opfer durch die anschließende Medienberichterstattung zusätzlich stigmatisiert würden. "Daher kann es vorkommen, dass die Polizei vor allem bei minderjährigen Opfern, die im Tatortbereich wohnen und dort einer Schul- oder Berufsausbildung nachgehen, auf eine Öffentlichkeitsarbeit verzichtet, solange der Täter durch die Polizei identifiziert ist und Folgemaßnahmen entweder bereits vollzogen wurden oder bevorstehen."
Opferberatungsstellen: Keine Hinweise auf derartiges Verbrechen
Nicht alle Vergewaltigungen werden angezeigt. Aber sollten sich solche Fälle häufen, dann hätten davon wohl auch schon andere Menschen in der Region gehört. Doch Anfragen des #Faktenfuchs bei vier Landratsämtern in der Nähe des Ammersees ergeben: Niemand hat von den Fällen gehört.
Auch Mitarbeiterinnen von zwei Beratungsstellen für Opfer von sexualisierter Gewalt in Starnberg und Landsberg sagen: Man habe noch nie von den angeblichen Vergewaltigungen gehört. Man könne auch nicht bestätigen, dass sexuelle Übergriffe in letzter Zeit zunähmen - weder durch Migranten noch insgesamt.
Fazit: Für das Gerücht, dass in der Nähe des Ammersees minderjährige Mädchen durch Migranten vergewaltigt wurden, gibt es keine Belege. Sowohl die zuständigen Polizeipräsidien Oberbayern Nord und Süd als auch vier für die Region zustände Landratsämter und zwei Opfer-Beratungsstellen haben nichts von den angeblichen Vergewaltigungen gehört.
Ein Sprecher der Polizei dementiert, dass man von Migranten begangene Sexualstraftaten gezielt zurückhalten würde, um Aufruhr zu vermeiden: Man berichte Sexualdelikte im öffentlichen Raum "grundsätzlich immer", aber insbesondere dann, "wenn der Täter noch unbekannt ist und sich weiter im öffentlichen Raum bewegt". Um minderjährige Opfer zu schützen und nicht zusätzlich durch die anschließende Medienberichterstattung zu stigmatisieren, würde gelegentlich auf eine öffentliche Meldung verzichtet. Allerdings nur, wenn der Täter der Polizei bekannt sei.
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