Tobi Gruber war für Studium und Arbeit über zehn Jahre lang unterwegs, vor allem in Berlin und München. Zurück daheim, fehlte ihm etwas, als 2022 die letzte Bar in Neumarkt-Sankt Veit dicht machte. "Es bricht ja damit nicht nur eine Kneipe an einem Standort weg, sondern auch immer einiges Kulturelles", sagt Tobi Gruber.
Also wollen sie es angehen, Tobi und sein Spezl Max Atzenbeck. Tobi entwickelt im Winter einen Business-Plan für die Finanzierung und dann wird aus der Idee tatsächlich Realität. Im Hauptberuf sind die beiden Ingenieure bei BMW. Sie steigen mit dem Projekt "Rolling Boazn" neu in die Gastro ein. Hilfe bekommen sie von Freunden und Familie. Ihr Spezl Martin Nietschl hat zu ihrem Glück ein Bauunternehmen, in Niedertaufkirchen, nicht weit von Neumarkt-Sankt Veit. Dort steht die mobile Boazn, an der jetzt noch viel gewerkelt wurde.
Ehemaliger DHL-Truck wird zur mobilen Boazn
Mitte Januar 2024 kaufen sie sich einen ausrangierten DHL-Truck und stecken mit ihren Helfern etwa 100 Arbeitsstunden in den Umbau. An der Front schneiden sie ein Rechteck aus und bauen daraus eine automatisch öffnende Klappe für den Ausschank. Für die Bar können sie eine alte Platte upcyclen und bauen daraus eine vier Meter lange Theke. Dazu kommen Kühlschränke, Spüle und Spülmaschine. Durch die Lüftungsschlitze können sie die Kabel für die Sound-Anlage stecken. Fertig ist die mobile Konzert-Location. Dann wird der Kastenwagen schwarz lackiert, darauf kommt das von Tobi und seinem Cousin gestaltete Boazn-Logo. Die mobile Bar hat mittlerweile auch einen eigenen Instagram-Kanal. Inzwischen sieht man dem Kastenwagen gar nicht mehr an, was er mal war. Kosten – inklusive Anschaffung des Fahrzeugs – 20.000 Euro.
Maßgeschneiderte Schankanlage von Camba aus dem Chiemgau
Auf die Brauerei Camba, in Seeon-Seebruck im Kreis Traunstein, sind sie gekommen, weil Tobi hier mal bei einer Brauereiführung dabei war. Sie schreiben also eine E-Mail an die Geschäftsführung und die ist begeistert von der Idee. Ein absolutes Match für die Burschen und ihre Boazn: Camba bietet Biervielfalt, mit immer mindestens 25 Produkten im Sortiment, gleichzeitig werden dort beim zugehörigen Brauereianlagen-Hersteller BrauKon individuelle Schankanlagen gebaut. Christian Nuber, Geschäftsführer von Camba Bavaria, sagt, er war sofort von der Idee begeistert. Nuber sieht viel Potenzial in der mobilen Bar, deshalb unterstützt die Brauerei die beiden Neumarkter.
Ausschenken will gelernt sein
Vor ein paar Wochen haben Max und Tobi die "Rolling Boazn" vom Schankanlagen-Einbau wieder abgeholt. Eine Woche hat der Einbau der Anlage, mit vier Zapfhähnen plus Technik, gedauert. Um mit dem neuen Equipment überhaupt umgehen zu können, mussten die beiden erst mal in die Technik eingeführt werden. Inklusive Fassanstich, reinigen, ausschenken und ein wichtiger, großer Punkt: die Hygiene. Zuvor haben sie schon die Infektionsschutz-Belehrung, die man braucht, wenn man Lebensmittel verkaufen will, absolviert. Die ganze Theorie, die sie in den vergangenen Monaten gelernt haben, müssen die Ausschank-Neulinge jetzt üben, bis es Ende Mai mit dem Programm losgeht.
Boazn soll mit Live-Musik Kulturprogramm für breite Masse bieten
Ab 30. Mai soll das Fahrzeug dann alle zwei Wochen am Stadtplatz stehen, inklusive wechselndem Kulturprogramm und Bier-Vielfalt, das ist der Boazn-Plan. Natürlich gibt es auch Nichtalkoholisches, wie Limo und Spezi, zumal das Programm alle Generationen ansprechen soll. Der Fokus liegt sowieso auf der Musik, sagt Tobi Gruber. Man will mit der Boazn eine Bühne schaffen, für Künstler, Musiker und Singer-Songwriter. Los geht es am ersten Abend der "Rolling Boazn" mit Live-Musik von der Band "Mapa". Mieten kann man die mobile Kneipe dann auch, die 20.000 Euro Investition wollen die Gründer Max Atzenbeck und Tobi Gruber so wieder ausgleichen.
Stadtrat von Neumarkt-Sankt Veit sieht Mehrwert
Im Stadtrat ist das Konzept mit der mobilen Bar gegen das Kneipensterben gut angekommen, sagt Egbert Windhager (CSU), der 2. Bürgermeister von Neumarkt-Sankt Veit. Er denkt sogar, dass die andere Gastronomie profitieren wird, da in der "Rolling Boazn" kein Essen ausgegeben werden soll. Durch Musik, Kulturprogramm und Ausschank könnten mehr Leute in den Stadtkern gelockt werden, die dann wahrscheinlich auch zu den anderen Betrieben gehen, so Windhager. Es könnte also eine Win-win-Situation werden, wenn die mobile Bar alle zwei Wochen am Neumarkter Stadtplatz steht.
Nicht ohne Bürokratie: Es gibt natürlich Auflagen
Zum Ausschenken brauchen sie jedes Mal eine neue Genehmigung, mit einem Antrag auf Gestattung eines vorübergehenden Gaststättenbetriebes, da sie keine festen Räumlichkeiten haben. Auch zeitlich gibt es eine Begrenzung, wie für die andere Gastro am Stadtplatz: Die letzte Runde soll um 22:30 Uhr ausgeschenkt werden. Um 23:00 Uhr soll die Boazn wegen der Nachtruhe weg sein, sagt Windhager.
Sonst ist alles da am frisch sanierten Stadtplatz: Ein WC, Sitzgelegenheiten und auch Strom und Wasser. Der Aufwand für den Wasseranschluss soll jedes Mal 350 Euro kosten. Edgar Windhager will nun prüfen lassen, ob es nicht auch gratis geht, zum Beispiel mit dem neuen Trinkwasserbrunnen.
Eine mögliche Teil-Lösung für das Kneipensterben?
Das Phänomen ist nicht neu: In immer mehr bayerischen Gemeinden gibt es keine einzige Kneipe mehr. 2019 gab es in Deutschland noch 28.808 Kneipen, 2022 waren es noch 21.267, so die letzten Zahlen des Statistisches Bundesamts, der aktuellen Umsatzsteuer-Statistik 2022, die im März 2024 veröffentlicht wurden. Nach dem Corona-Tief sind die Kneipen-Zahlen zwar zuletzt wieder hochgegangen. Laut dem Hotel- und Gaststättenverband Dehoga scheint sich der Prozess des Wirtshaus- und Kneipensterbens zu beschleunigen. Die Gründe sind laut Dehoga-Landesgeschäftsführer Thomas Geppert vielfältig – von steigenden Kosten, über Personal- und Fachkräftemangel und zu langen Arbeitszeiten, bis hin zur zeitaufwendigen und mühsamen Bürokratie. Hauptproblem, so Geppert: Der wiedereingeführte Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent. Dazu komme im Gastronomiebereich weniger Gewinn als früher herein, auch wegen geringerer Nachfrage, weil die Gäste wiederum weniger Geld zur Verfügung hätten.
Schöner Radlweg, aber keine Einkehrmöglichkeit
Der fatale Unterschied zwischen Stadt und Land: Wenn im ländlichen Raum mal etwas weg ist, dann sei es unwahrscheinlicher, dass dort wieder etwas nachkomme. Die Ortskerne sterben im schlimmsten Fall aus, sagt Geppert. "Was nutzt dir der schönste Radlweg, wenn man eigentlich nirgends mehr einkehren kann?", sagt der Dehoga-Landesgeschäftsführer zu den langfristigen Auswirkungen. Auf den Hinweis, dass in Neumarkt-Sankt Veit ein umgebauter DHL-Wagen dem Kneipensterben Paroli bieten soll, reagiert er zumindest interessiert. Am Grundproblem in der Gastro ändere eine mobile Lösung aber nichts, so Thomas Geppert.
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