Im ersten Stock des eleganten Gründerzeitbaus in der Nähe der Kaufbeurer Altstadt trifft sich an diesem Mittwochvormittag die Kunstgruppe der "Blauen Blume". Um den großen Tisch herum sitzen ältere Damen und Herren und arbeiten konzentriert an ihren bunten Bildern. Im Hintergrund läuft leise Musik. Marianne Scheu kommt seit 20 Jahren schon in die Einrichtung. Anfangs hat ihr schwer dementer Mann hier Hilfe und Gesellschaft gefunden. "Als er dann starb, hatte ich selbst es dringend nötig", sagt die 79-Jährige.
Rat und Hilfe in schwierigen Situationen
Wenn ein Partner nach fast 50 gemeinsamen Jahre stirbt, fehle es an allen Ecken und Enden, erzählt Marianne Scheu. In der "Blauen Blume" habe sie in dieser schwierigen Situation Hilfe bekommen. "Ich habe gewusst, dass ich von denen Rat kriege. Und das habe ich oft genug gebraucht."
Ein- bis zweimal die Woche kommt die 79-Jährige in die "Blaue Blume", engagiert sich in der Kunst-, der Handarbeits- und der Gartengruppe. In der Einrichtung unter Trägerschaft des Bezirks finden ältere Menschen mit Depressionen, Demenz und anderen altersbedingten psychischen Erkrankungen Hilfe, Beratung und vor allem Gesellschaft.
Das Gefühl, gebraucht zu werden, ist das Wichtigste
"Die größte Schwierigkeit beim Älterwerden sind die zunehmenden Verluste. Dass die Menschen immer weniger Sozialkontakte haben, und irgendwann alleine sind", sagt der Leiter der Blauen Blume, Wolfgang Vater. "Da ist wichtig, etwas dazuzubekommen. Das Gefühl, wertvoll zu sein und gebraucht zu werden, ist das Wichtigste."
Vor 20 Jahren wurde die "Blaue Blume", das "Zentrum für seelische Gesundheit im Alter", als Pilotprojekt ins Leben gerufen. Neben den vielen freien Angeboten – vom gemeinsamen Mittagessen über Musik, Bewegungs- und Gedächtnistraining bis hin zum Computerkurs – finden die Besucher hier auch professionelle psychische Betreuung, Beratung und Behandlung.
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Seltener ins Krankenhaus oder ins Pflegeheim
Das Ziel ist, Menschen mit psychischen Krankheiten möglichst früh zu erreichen. Denn je früher man eine solche Krankheit erkennt, desto mehr kann man dagegen tun. Das hat der Einrichtungsleiter in 20 Jahren in der "Blauen Blume" immer wieder beobachten können: "Die Menschen bleiben länger selbstständig und werden nicht so früh pflegebedürftig", sagt Wolfgang Vater. "So können sie das Krankenhaus, aber auch das Pflegeheim vermeiden. Die meisten Menschen wollen so lange wie möglich in ihrer gewohnten Umgebung bleiben. Und wir können ihnen dabei helfen."
Gemeinschaft tut gut
Roswitha Hofmann und Fred Joseph kommen regelmäßig in die "Blaue Blume". Für die beiden Senioren ist die Einrichtung eine feste Anlaufstelle geworden. "Ich bin einfach gern hier, weil ich spüre, dass es mir guttut", erzählt die 74-Jährige. "Ich kann dann besser laufen, besser denken und vergesse nicht mehr so viel wie sonst."
Fred Joseph ist nach dem Tod seiner langjährigen Lebensgefährtin vor einem halben Jahr zum ersten Mal in die "Blaue Blume" gekommen. Er schätzt besonders, dass er hier Menschen trifft, die alle ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Und er genießt die Gesellschaft beim Malen in der Kunstgruppe. "Es ist ein super Ausgleich und es macht Spaß", sagt der 80-Jährige. "So lange es geht, so lange ich mobil bin, möchte ich hierherkommen."
"Blaue Blume Schwaben" als Vorbild
Träger der "Blauen Blume" ist der Bezirk Schwaben. Die Einrichtung arbeitet eng mit dem Bezirkskrankenhaus Kaufbeuren zusammen. Vor der Corona-Pandemie haben 200 Senioren, auch aus dem Umland, die Einrichtung jede Woche besucht. Derzeit sind es ungefähr halb so viele. Nach wie vor ist das Angebot wegen der Pandemie etwas eingeschränkt.
Das Konzept der "Blauen Blume Schwaben" hat in der Region Schule gemacht: In Mindelheim gibt es seit 15 Jahren eine Zweigestelle. In Augsburg ist mit "Pikasso" eine ähnliche Einrichtung entstanden.