So eine Aussicht ist in Bayern schon ein bisschen ungewöhnlich: Wenn Jakob Lipp von seinem Arbeitszimmer aus dem Fenster blickt, sieht er ein großes Kümmelfeld, das direkt an den Garten grenzt. Im Frühsommer summten wochenlang Tausende Insekten um die reiche Blütenpracht und jetzt sind es vor allem Feldhasen, die in den frühen Morgen- und Abendstunden herumhüpfen.
Jakob Lipp ist Experte für Kommunikation und hält Vorträge im gesamten deutschsprachigen Raum. Vor Kurzem hat er sogar ein Buch geschrieben. Doch daheim auf seinem Hof in Rechtmehring im Landkreis Mühldorf ist er so etwas wie ein experimentierfreudiger Hobby-Landwirt. Leindotter, Leinsamen oder Blühwiesen hat er in den vergangenen Jahren auf seinem Feld angebaut. Letzten Sommer wollte er aber einmal etwas ganz anderes wagen und hat erstmals Kümmel angesät. Und jetzt ist es soweit: Die zweijährige Gewürzpflanze steht kurz vor der Ernte.
Wichtige Nährstoffe für Feldhasen und Insekten
Für Jakob Lipp ist das Kümmelfeld ein spannendes Experiment. Rund 2.000 Euro hat er bereits investiert für die Aussaat. Bis der Kümmel dann im Krautsalat ist, kommen vermutlich noch einmal so viele Kosten hinzu, schätzt der Rechtmehringer. "Zum Glück habe ich einen anderen Beruf und muss nicht davon leben, so kann ich das einfach mal ausprobieren".
Doch wie kam es eigentlich dazu? Jakob Lipp erklärt es, während wir uns einen Weg durch die trockenen Kümmeldolden bahnen: "Immer mehr Menschen achten auf regionale und biologische Lebensmittel. Beim Mehl und bei anderen Zutaten wird genau geschaut - aber fast niemand interessiert sich dafür, woher eigentlich die Gewürze kommen, der Kümmel fürs Brot." Dieser, so Lipp weiter, komme meist aus Ländern außerhalb der EU, aus Pakistan oder Ägypten beispielsweise.
Der Weg durch die Stauden gestaltet sich etwas mühsam, denn die Blütenpracht ist mittlerweile weg. Übrig sind braune, trockene Halme und Dolden. Doch dazwischen blüht es immer wieder üppig: Kleine Inseln mit Dutzenden Kamillenpflanzen haben hier im Kümmelfeld wohl auch ideale Wachstumsbedingungen gefunden, sehr zur Freude von Jakob Lipp. "Das war auch für mich eine Überraschung", sagt er. Auch deshalb nennt er sein Feld "Hasenapotheke", denn die Feldhasen würden hier im Kümmel- und Kamillenfeld wertvolle Nährstoffe finden.
Kultur des Kümmel-Anbaus fast in Vergessenheit geraten
"Die Kultur des Kümmel-Anbaus ist mittlerweile fast in Vergessenheit geraten", erklärt Lipp, während er mit der Hand eine trockene Dolde zerreibt. Schon steigt der typische Kümmelduft deutlich auf. Er wolle mit seinem Versuch auch dazu beitragen, das Wissen über die Kümmelzucht in Bayern weiter voranzubringen.
Außerdem sprächen noch weitere Gründe für ein regionales Kümmelfeld, so Lipp. Denn die Pflanze sorge für eine verbesserte Artenvielfalt und eine aufgelockerte Kulturlandschaft. Hinzu kommt: Wenn alles gut klappt mit der Ernte, der Lagerung und dem Verkauf in regionale Produktionsbetriebe, hat das Bio-Gewürz aus Bayern auch keine langen Lieferwege mehr.
Mittlerweile auch Mohn und Koriander aus Bayern
Der Bezug von Rohstoffen aus möglichst regionaler ökologischer Landwirtschaft spielt insbesondere bei Bio-Bäckereien eine große Rolle. In den letzten Jahren wurde deshalb auch der Anbau von Saaten und Gewürzen aus Bayern vorangetrieben. So gibt es laut Heidi Kelbetz von der Landesvereinigung für den ökologischen Landbau in Bayern (LVÖ) mittlerweile einige Biobauern, die nicht opium-fähige Mohnsorten anbauen. Denn durch das Anbauverbot sei auch diese Kultur in Deutschland fast in Vergessenheit geraten. Ein kleiner Familienbetrieb aus der Oberpfalz baue beispielsweise regionalen Bio-Mohn an.
Eine anderer Betrieb aus dem oberbayerischen Fischbachau hat laut LVÖ derzeit zum Beispiel Bio-Koriander im Angebot. Außerdem seien auch Kürbis- und Sonnenblumenkerne zunehmend aus heimischem Anbau verfügbar.
Bio-Brot muss nicht 100 Prozent ökologisch sein
Grundsätzlich gilt laut EU-Ökoverordnung: Ein Bio-Produkt muss nur zu mindestens 95 Prozent aus Zutaten aus ökologischer Erzeugung bestehen. Konkret bedeutet das also: Bei einem Bio-Brot können fünf Prozent der Zutaten konventionellen Ursprungs sein. "Hintergrund ist hier die eventuell fehlende Verfügbarkeit von Bio-Ware. Es ist also möglich, ein Bio-Brot mit Kümmel aus konventionellem Anbau zu backen", so Heidi Kelbetz von der LVÖ weiter.
Eine Rolle spiele dabei auch die geografische Herkunft der Zutaten. Hierzu gebe es in der EU-Verordnung keine Vorschriften. "Schließlich kann man auch in Europa zertifizierte Bio-Schokolade kaufen, auch wenn in Europa definitiv kein Kakao wächst."
Laut einem Sprecher der Bäko-Verbundgruppe, dem Fachgroßhandel für Bäckereien und Konditoreien, trifft das auch auf Kümmel zu. Die Länder Tschechien, Ungarn, Litauen, Ukraine und Ägypten zählten derzeit zu den hauptsächlichen Ursprungsländern für den Bezug von Kümmel.
Heimischer Kümmel-Anbau - Ein mutiges Experiment
Noch ist unklar, wie sich der Kümmel auf Jakob Lipps Feld im Landkreis Mühldorf entwickelt. Demnächst wird er nach Österreich in eine spezielle Trocknungsanlage gebracht. Offen ist dabei auch noch, ob sich die Samen dann überhaupt so einfach ernten lassen. Beim Abmähen der Kümmelstauden hilft jetzt erst einmal der Nachbar, er ist "richtiger" Landwirt und hat die entsprechenden Geräte und Fahrzeuge.
Und wenn wirklich alles gut läuft - was macht man denn mit so viel Kümmel? Jakob Lipp lacht: "Das weiß ich ehrlich gesagt auch noch nicht." Nur eins ist schon sicher: Nach der Ernte soll es erst einmal einen Schweinsbraten mit (Kümmel-)Krautsalat geben. Und dann, so hofft Lipp, finden sich in der Region vielleicht noch ein paar Bäckereien, die Bedarf an Kümmel aus Bayern haben.
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