Jeder kennt es - egal ob in der Familie, im Beruf oder in Freundschaften: Man streitet, hat Missverständnisse, droht oder schreit sich sogar gegenseitig an. Das Gegenmodell dazu ist die "gewaltfreie Kommunikation". Der amerikanische Psychologe Marshall Rosenberg hat sie in den frühen 1980er-Jahren "erfunden". Sie basiert auf zwei Säulen: Aufrichtigkeit und Empathie. Dadurch sollen unter anderem Schuldzuweisungen verhindert werden. In Kursen kann man diese Art zu kommunizieren erlernen.
Besuch bei einem Seminar zu gewaltfreier Kommunikation
Sechs Menschen sitzen in einem Stuhlkreis in einem großen Kursraum in München. Die fünf Teilnehmerinnen und Teilnehmer in München haben schon einen Grundkurs hinter sich. Sie wollen nun ihre Kenntnisse vertiefen, um ihren Alltag im Beruf, in ihrer Familie und Partnerschaft besser zu meistern. Im Stuhlkreis übernimmt jeder einmal eine andere Rolle. Zunächst sollen die Teilnehmer auf einen Vorwurf nach einem der alten, üblichem Muster reagieren: mit einem Gegenangriff.
Übliche Muster: Selbstvorwürfe, Schuldeingeständnis, Gegenangriff
Auch Seminarleiter Andi Schmidbauer übernimmt eine Rolle. Teilnehmerin Sibille schaut ihn böse an und sagt: "Lass mich in Ruhe!" und "Du hast schon wieder die Spülmaschine nicht ausgeräumt!"
Andi Schmidbauer entgegnet: "Oh ja stimmt, vergessen, ich bin so furchtbar, mit mir ist es echt das Allerletzte." Auf den gespielten Angriff von Sibille reagiert der Kursleiter so, wie viele Menschen reagieren würden: mit einem Schuldeingeständnis und Selbstvorwürfen. Als Symbol dieser Reaktionen hat Schmidbauer eine Wolfshandpuppe übergestreift, die seine Worte übernimmt. Was ist verbesserungsfähig an dieser Kommunikation? Die Wahrnehmung des anderen wird nicht vermittelt. Er denkt vielleicht: "Eigentlich bemühe ich sehr." Daher wächst in ihm das Gefühl: "Ich bin unzufrieden." Denn sein Bedürfnis wäre: "verlässlich sein". Das könnte er zum Beispiel als einen Wunsch oder eine Bitte äußern.
Andere Reaktion auf verbale Angriffe ausprobieren
Das Konzept der gewaltfreien Kommunikation soll eine andere Möglichkeit zum Miteinander-Sprechen bieten als die mit der Wolfs-Handpuppe vorgespielte. Schmidbauer zeigt den Teilnehmern, wie man anders auf einen verbalen Angriff reagieren könnte – zum Beispiel auf den Vorwurf, dass man schon wieder die Spülmaschine nicht ausgeräumt habe: "Wenn ich daran denke, wie sehr ich mich bemühe, bin ich total unzufrieden. Mir geht es um Verlässlichkeit." Seminarleiter Schmidbauer hat bei diesen Worten eine Giraffenpuppe über die Hand gestreift. Sie hat unter den Landtieren das größte Herz und kann mit ihrem langen Hals Situationen überblicken, daher ist die Giraffe das Symbol für gewaltfreie Kommunikation.
"Jeder hat seinen Kompass, mit dem er unterwegs ist. Wir haben oft den Richtig-Falsch-Kompass. In der gewaltfreien Kommunikation haben wir eher den Bedürfnis-Kompass: Ich gucke, was ist mir wichtig? Wir haben Rücksichtnahme, Wertschätzung, Unterstützung, Miteinander: Was brauche ich gerade? Und wenn ich das schon mal selbst weiß, sprich, wenn ich meine eigene Landkarte besser kenne, dann kann ich es auch besser nach außen geben und muss zum Beispiel nicht andere beschuldigen." Kursleiter Andi Schmidbauer
Vier Fragen an sich selbst
Auch wenn die Stuhlkreissitzungen von außen betrachtet manchmal nach komischen Rollenspielen aussehen – für die Teilnehmer sind sie anstrengend. Sie sollen versuchen, vier Fragen zu beantworten: Was nehmen sie wahr? Welche Gefühle kommen auf, wenn sie das Gesagte vom Gegenüber hören? Welche unerfüllten Bedürfnisse haben sie? Worum wollen sie den anderen bitten?
Da ist nicht gerade leicht, wenn man im Gespräch mit einem Vorwurf konfrontiert wird, wie zum Beispiel: "Immer musst du das letzte Wort haben." Nach dem Seminar können die Teilnehmer das Gelernte zuhause üben und so versuchen, alte Gewohnheiten aufzulösen.
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