Samstagvormittag in der Würzburger Innenstadt: Vor der Ausgabestelle der TierTafel stehen Menschen und Tiere Schlange – bis zum Mittag reißt der Ansturm nicht ab. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter schieben einen Karton mit Futter nach dem nächsten über den Tresen. Auch Zeit für ein kurzes Gespräch mit den Kunden muss sein. Die Hunde bekommen unter dem Tresen ein Leckerli zugesteckt.
Immer mehr Menschen auf Unterstützung angewiesen
Rund 2,6 Millionen Katzen leben laut dem Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in bayerischen Haushalten und etwa 1,7 Millionen Hunde. Und sie alle wollen futtern. Dementsprechend macht sich die derzeitige wirtschaftliche Situation nicht nur bei den Tafeln in Bayern bemerkbar, auch die Tiertafeln und Futterausgabestellen bekommen die aktuellen Preissteigerungen zu spüren.
Immer mehr Menschen kommen zu den Ausgabezeiten der Tafeln und Futterprojekte, um ihre Tiere mit Futter und weiterem Tierbedarf, wie Näpfe und Leinen, zu versorgen. Zudem haben manche Kunden nicht nur ein Tier, sondern mehrere. Und das macht sich schnell im Geldbeutel bemerkbar. Vor allem aber die Nachfrage nach der Übernahme von Tierarztkosten sei gestiegen, heißt es von den Ausgabestellen.
Doppelte Kundenzahl durch ukrainische Geflüchtete
Hinzu kommen die Geflüchteten aus der Ukraine, die ihre Haustiere nicht im Kriegsgebiet zurücklassen wollten. In Würzburg hat sich nach Angaben der TierTafel Würzburg e.V. die Kundenanzahl deshalb in den letzten Monaten nahezu verdoppelt. Vor dem Krieg in der Ukraine seien etwa 70 bis 80 Menschen zur Ausgabe gekommen, jetzt kämen noch einmal rund 60 geflüchtete Menschen und Familien hinzu.
Auch eine Webseite auf Ukrainisch hat der Verein für die Geflüchteten eingerichtet. "Ich habe gestern für 1.500 Euro Futter gekauft, um das Lager wieder aufzufüllen. Es ist ruckzuck wieder leer, vor allem das Spezialfutter für die kranken Tiere ist sehr gefragt", so der Vorsitzende Marcus Geck im Gespräch mit BR24. Im Kundenstamm seien viele ältere Menschen und dementsprechend alt und krank seien auch oft die Tiere, ergänzt Geck.
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Kranke Tiere kosten richtig viel Geld
Auch viele Tiere, die die Menschen aus der Ukraine mitbringen, litten oft an Krankheiten. Zudem sei die Nachfrage nach Übernahme der Tierarztkosten enorm gestiegen. Diese hätten die Würzburger TierTafel quasi "ausgeblutet", das Budget für dieses Jahr sei eigentlich schon ausgeschöpft. "Wir haben in diesem Jahr schon so viel ausgegeben wie im ganzen letzten Jahr", ergänzt Geck. Dennoch versuche man zu helfen, wo es nur geht.
Aufnahmestopp in München
Ganz ähnlich sieht es bei der TierTafel in München aus. Hier mussten die Verantwortlichen vor drei Wochen sogar einen Aufnahmestopp verhängen. Zusätzlich zu den rund 250 "Stammkunden", zu denen immer mal wieder welche hinzukämen, nehmen jetzt noch etwa 130 ukrainische Familien die Hilfe des Vereins in Anspruch.
Mit dem Tiertafelmobil waren die ehrenamtlichen Mitarbeiter der Münchner Tiertafel zu den Erstaufnahmeeinrichtungen gefahren, um die Tiere der geflüchteten Menschen aus der Ukraine zu versorgen, hauptsächlich Hunde und Katzen. "Die Leute kamen in Bussen mit den Tieren unter dem Arm, das war ganz schrecklich", erklärt die Vorsitzende Andrea de Mello im Gespräch mit BR24.
Wartelisten für Neuanmeldungen
"Wir wollen unbürokratisch erste Hilfe leisten und gucken, wie sich die Situation entwickelt, ob es bleibt in dieser Konzentration. Es wird sich schnell zeigen, in welche Richtung es geht". Für Neuanmeldungen gibt es bei der Münchner Tiertafel jetzt Wartelisten, momentan stehen darauf 40 Personen. Glücklicherweise könne man in München aber auf einen großen und verlässlichen Spenderkreis zurückgreifen, die "lassen sich nicht lumpen", so de Mello. Die Tiertafel sei gut vernetzt und die Spendenbereitschaft groß.
Eineinhalb Tonnen Tierfutter an einem Vormittag
Auch bei anderen bayerischen Tierfutterausgabestellen stellt sich die Situation ähnlich dar: In Regensburg werde die Soziale Futterstelle seit zwei Monaten überrannt. "Jetzt ist irgendwo Schicht im Schacht, wir können es nicht mehr stemmen", klagt die Vorsitzende Helga Graef-Henke. Auch hier wurde ein Aufnahmestopp verhängt. Zur letzten Futterausgabe waren 138 Menschen gekommen, über eineinhalb Tonnen Tierfutter haben die Ehrenamtlichen an die Kundschaft ausgegeben für insgesamt 76 Hunde und 137 Katzen, andere Kleintiere nicht mitgezählt.
Weniger Spenden, aber mehr Kundschaft
Dabei habe sich auch die Menge der Futterspenden drastisch reduziert: Statt 400 Kilogramm Futter bekämen sie nur noch 200 Kilogramm von den Spendern geliefert. Dringend benötigtes Katzenstreu etwa, das wesentlich teurer geworden sei, würde laut der Regensburger Vorsitzenden nie gespendet. Der spendenfinanzierte Verein könne auch keine Zuschüsse für Tierarztbesuche mehr leisten, das tue besonders weh. "Es mangelt überall, außer an Kundschaft", so Graef-Henke.
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Kein Zuschuss mehr für Tierarztkosten
Das bestätigt auch Katrin Hellinger von der Tierfutternothilfe Augsburg gegenüber BR24. Man könne zwar nicht allen helfen, wolle aber gerecht bleiben, heißt es. Bei der Übernahme der Tierarztkosten werden hier nur Leute bezuschusst, die schon länger gemeldet sind. Für Neuanmeldungen sei einfach kein Geld mehr da, auch wenn sich immer mehr Leute die Tierarztkosten selbst nicht mehr leisten können.
Vor allem beim Zuschuss für das Spezialfutter, das viele kranke und alte Tiere benötigen, fragen die Kunden nach, ob sie wegen der Preissteigerungen etwas mehr bekommen könnten, denn spezielle Tiernahrung, wie etwa für Diabetiker oder bei Nierenkrankheiten, ist wesentlich teurer als das normale Futter. Eine Dose Spezial-Katzenfutter kostet unter Umständen viermal so viel wie gewöhnliches Nassfutter. Gleichzeitig habe die Spendenbereitschaft in diesem Jahr abgenommen, vor allem bei den Geldspenden.
Weniger Kundschaft im ländlichen Raum
In dünner besiedelten Regionen wie etwa im oberfränkischen Hof oder im oberbayerischen Burghausen im Landkreis Altötting ist der "Run" auf die Tiertafeln noch nicht ganz so heftig zu spüren. Doch auch hier machen sich die allgemeinen Preissteigerungen bemerkbar. So fragen etwa die Kunden bei der Tiertafel in Burghausen, ob sie ihr Futter nur einmal im Monat holen können statt zweimal im Monat hinzufahren. Grund sind die gestiegenen Spritpreise. Viele kommen aus dem Landkreis nach Burghausen, bilden schon Fahrgemeinschaften oder bringen Bekannten ihre Rationen mit, erzählt die Vorsitzende Ankica Obertreis.
Es gibt zu wenig Tiertafeln
In Hof rechnet Pamela Renner in den kommenden Wochen und Monaten mit Zuwachs: "Je weniger das Geld wert wird, umso mehr Leute kommen." Sie hatten schon Anfragen auch von ukrainischen Geflüchteten, aber "das kommt erst noch", vermutet Renner. Sie bedauert es, dass die Hofer Tiertafel die einzige in der Gegend ist. Einige Menschen kämen noch aus Rehau, aber für die meisten außerhalb der Stadt Hof lohne sich die weite Anfahrt nicht. 80 bis 90 Menschen habe sie im Kundenstamm, die meisten von ihnen Hartz IV-Empfänger.
Tiere sind oft der letzte Halt für die Menschen
Am anderen Ende Frankens, in der TierOASE in Aschaffenburg, versucht man zu helfen, wo es nur geht, und drückt auch gerne ein Auge zu. Einen Bedürftigkeitsnachweis muss hier niemand erbringen. "Wenn wir was da haben, sind wir großzügig. Wir versuchen zu helfen, wo es geht. Die Tiere sind oft der letzte Halt für die Leute. Und wir wollen Tieren wie Menschen helfen," sagt Friedrich Greinert von der TierOASE. "Wir wollen den Menschen ein Stückchen Würde wiedergeben." Hier habe sich der Kundenstamm in den letzten Monaten ebenfalls nahezu verdoppelt: 470 Kunden stehen derzeit in der Kartei.
Unbürokratische Hilfe soll Hürden abbauen
In Penzberg im Landkreis Weilheim-Schongau hält man die Futterausgabe ebenfalls eher anonym, man wolle die Menschen nicht verscheuchen, erklärt die Vorsitzende des Tierschutzvereins Karin Ratzek-Endreß. "Wir versuchen so unbürokratisch wie möglich zu helfen, es ist schlimm genug, dass die Menschen hier hingehen müssen." Die Leute seien froh und dankbar, dass es die Tierfutterprojekte gibt. Bei der letzten Ausgabe habe das Futter gar nicht gereicht, sagt sie. Doppelt so viele Menschen wie sonst waren gekommen, über 30 statt der üblichen 14 bis 16 Leute. Die Lager seien ständig leer, obwohl man die Abstände der Ausgabezeiten von sechs auf vier Wochen verringert habe.
Die Not der Menschen wächst
Man spürt, dass die Not der Menschen größer wird, doch die Ehrenamtlichen der Tiertafeln und Futterausgabestellen in Bayern versuchen dagegenzuhalten. Karin Ratzek-Endreß: "Wenn sich da jemand eine Vogelbadewanne für drei Euro wünscht, weil er sich die selbst nicht leisten kann, dann wird einem bewusst, wie gut es einem selber geht. Und wenn’s einem gut geht, dann kann man das auch weitergeben."
Ukrainerin wird von der Kundin zur Mitarbeiterin
Das sieht auch Diana aus Kiew so. Die 39-jährige Ukrainerin ist nur mit einem Rucksack und ihrem Labrador im Gepäck nach Deutschland geflohen und in Würzburg gelandet. Über eine ihr bekannte Dolmetscherin hat sie von der Würzburger Tiertafel gehört – und ist von der Kundin zur Mitarbeiterin geworden. Aus lauter Dankbarkeit hat sie dort angefangen als Ehrenamtliche zu helfen und versucht jetzt für die neuen Kunden aus der Ukraine zu dolmetschen. Die Tiertafel war ihre Rettung, sagt Diana. Denn ihr Hund sei für sie alles, was sie noch habe – also "ihr Leben".
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