Seit fünf Jahren lebt Luisa mit dem Herz eines anderen Mädchens. Wer das Mädchen war, und wie es ausgesehen hat, wird Luisa nie erfahren. Denn per Gesetz bleiben Spenderin oder Spender bei einer Transplantation immer anonym. Die neunjährige Luisa hat trotzdem eine Vorstellung von dem Mädchen, dessen Herz in ihrem Körper schlägt: "Ich stelle mir das Mädchen mit schulterlangen Haaren vor. Sie sieht sehr freundlich aus, hat eine lila Hose an und ein pinkes T-Shirt mit roten Herzen drauf."
Auch in der Vorstellung ihrer Mutter Manuela ist es das Herz eines Mädchens, das Luisa bekommen hat. "Für uns war es immer ein Mädchen, die natürlich so alt war wie Luisa. Und wir könnten uns vorstellen, dass es ein Verkehrsunfall war."
Sechs Monate Wartezeit auf das rettende Herz
Derlei Gedanken mögen auch die bundesweit 32 Kinder haben, denen im Jahr 2023 – dem jüngsten Erhebungsjahr der Deutschen Stiftung Organtransplantation – ein Herz transplantiert wurde. Zugleich standen am Erhebungs-Stichtag 31. Dezember des gleichen Jahres 27 andere Kinder auf der Warteliste für eine Herztransplantation.
Luisa jedenfalls hatte Glück, sie musste nur ein halbes Jahr auf ein Spenderherz warten. 180 Tage ist sie im Krankenhaus. Am 14. November 2019 wird sie operiert und bekommt ein neues Herz. Sie nennt diesen Tag "Herzgeburtstag", weil sie da ihr Herz bekommen hat. "Das machen herztransplantierte Kinder ganz häufig, dass sie den Tag der Transplantation als zweites Leben feiern", erzählt Mama Manuela.
Alle drei Monate muss Luisas Herz in der Klinik untersucht werden. Es kann immer noch Komplikationen geben, denn der Körper kann das Herz auch noch nach Jahren abstoßen. Deswegen muss Luisa auch Medikamente nehmen.
Wer war dieser Mensch?
Immer öfter fragt die Neunjährige inzwischen nach, wer der Mensch war, dessen Herz in ihr schlägt. Marcus Fischer ist Transplantationsarzt im Klinikum Großhadern und kennt diese Fragen: "Gerade, wenn die Patienten älter werden, in die Pubertät kommen, beschäftigen sie sich mehr mit dem Thema. Wie war die Spenderin oder der Spender? Welche Wünsche und Träume hatte sie oder er? Übernehme ich Charaktereigenschaften?" Für den Mediziner ist die Antwort klar: "Da kann ich sagen: Nein, sie übernehmen nichts. Sie übernehmen nur ein sehr gut funktionierendes Herz."
Ein gutes Herz. Im medizinischen Sinn. Es wird mit Luisa mitwachsen und mit etwas Glück noch lange in ihr schlagen. Doch die Fragen werden wohl nie ganz aufhören.
Ihre Mutter Manuela erinnert sich: "Da gab es eine Streitsituation im Kindergarten und dann lagen wir abends im Bett und dann hab ich gesagt: 'Du hast doch ein gutes Herz, du kannst doch verzeihen. Und dann meinte sie zu mir: Aber was ist, wenn ich gar kein gutes Herz bekommen habe?'"
Ein Herz von einem Menschen mit all seinen Facetten. Das wird Luisa noch lange irgendwie begleiten. Und ihre Fragen dazu auch.
Mehr zum Thema "Herzenssache · Was Herz und Seele verbindet" in der Sendung STATIONEN in der ARD Mediathek.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
Sie interessieren sich für Themen rund um Religion, Kirche, Spiritualität und ethische Fragestellungen? Dann abonnieren Sie unseren Newsletter. Jeden Freitag die wichtigsten Meldungen der Woche direkt in Ihr Postfach. Hier geht's zur Anmeldung.