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Hochzeit mit 111 Jahren – Zweites Leben für Dampflok 70/083

Vor über 100 Jahren war die Dampflok mit der Nummer 70/083 in Niederbayern unterwegs. Bald soll sie wieder fahren. Daran arbeitet der 21-jährige Ingenieur Max Umlauft in seiner Freizeit. Er ist einer der Jüngeren im Localbahnverein in Landshut.

Über dieses Thema berichtet: Abendschau - Der Süden am .

Es kommt unerwartet, wenn in einer entlegenen Sackgasse, einige hundert Meter vom Landshuter Hauptbahnhof, ein Bus vorfährt. Noch dazu an einem Wochenende und besonders dann, wenn der Fahrer persönlich aussteigt und in einer unscheinbaren Halle verschwindet. Hierher verirrt man sich nicht, wird er später sagen. Hier trifft man sich gezielt – beinahe abgeschieden von der Außenwelt.

Der Fahrer des Busses heißt Richard Taschner. Er ist Werkstattleiter der Halle, dem Zuhause des Bayerischen Localbahnvereins. Taschner kommt in seiner Mittagspause als Busfahrer, um "seine Jungs" bei der Arbeit zu besuchen. "Wir haben alle verschiedene Berufe", sagt Taschner. Ein Ziel hätten aber alle gemeinsam: Sie wollen die Nummer 70/083 wieder zum Leben erwecken.

100 Jahre alte Dampflok soll wieder fahren

Diese Nummer steht für die letzte ihrer Art: eine Dampflok aus dem Jahr 1913. Vor mehr als 100 Jahren war sie schon in Niederbayern unterwegs – oft auf der Strecke zwischen Landshut und Rottenburg an der Laaber. Die Gleise für diese Route gibt es heute nicht mehr. Die Dampflok aber soll wieder aus eigener Kraft fahren. Deswegen sitzt Max Umlauft in einem Kessel, dort schleift er am Metall, um ihn herum fliegen Funken.

"Das ist das Herzstück", sagt Umlauft, "hier wird später die Kohle verbrannt, der Dampf erzeugt, der wird dann auf die Zylinder geleitet und so funktioniert dann die Dampflok." So war es früher schon, so soll es auch in einigen Monaten wieder funktionieren.

Max Umlauft ist angehender Ingenieur. Mit 21 Jahren ist er einer der Jüngeren im Localbahnverein. Der wurde 1975 gegründet, damals in Tegernsee. Der Verein befasst sich mit der Geschichte der Eisenbahn in Bayern, sammelt historische Züge und veranstaltet Ausflugsfahrten, nun lange schon von Landshut aus. Die Werkstatt dort ist zur Heimstätte geworden.

Harte Arbeit im Lokschuppen als Hobby

"Einen kompletten Samstag in einem Lokschuppen verbringen, um dort hart zu arbeiten, da versteh ich jeden, der sagt, das sei ein skurriles Hobby", sagt Jens Bolduan. An diesem Sommertag - bei drückender Hitze in Landshut - ist das aber egal. Es ist ein besonderer Tag, Werkstattleiter Richard Taschner spricht sogar von einer "Hochzeit". So nennen sie es, wenn die beiden wichtigsten Komponenten zusammenkommen: Kessel und Fahrgestell.

Längst hätte das schon passieren sollen, sagt Max Umlauft, der die "Hochzeit" koordiniert. "Immer wieder hatten wir aber Probleme, einzelne Teile waren fehlerhaft, es musste nachgebessert werden, mehrfach hätte es schon zur 'Hochzeit' kommen sollen und dann ist doch etwas schiefgegangen." Zwei Jahre habe das gekostet – jetzt aber soll es so weit sein.

Millimeterarbeit mit schwerem Gerät

Der etwa acht Tonnen schwere Kessel wird mit vier Hebeböcken langsam angehoben. Das Fahrgestell wird dann mit einer elektrischen Lokomotive - auch sie ist schon 94 Jahre alt - langsam unter den Kessel geschoben. Millimeterarbeit mit schwerem Gerät. "Es ist schon spannend, ob alles passt. Passen die neuen Teile zu den alten? Da ist schon eine gewisse Anspannung da. Hoffen wir mal, dass alles klappt und die Lok am Abend wieder aussieht, wie sie tatsächlich aussehen soll", sagt Umlauft.

Restaurierung kostet ein kleines Vermögen

Lange sieht es nach einem reibungslosen Ablauf aus – bis einer der vier Hebeböcke plötzlich stillsteht. Kein Hoch und kein Runter – unter der Last des tonnenschweren Kessels. "Das sollte so nicht passieren". Jens Bolduan schüttelt den Kopf: "Wenn wir den Hebebock jetzt weiter elektrisch bewegen, kann es sogar sein, dass der Motor durchbrennt. Und dann haben wir ein richtiges Problem."

Jeder Notfall kann den Verein in finanzielle Schwierigkeiten bringen. Alleine die jahrelangen Nachbesserungen bis zur "Hochzeit" haben ein kleines Vermögen gekostet. Für die Restaurierung hat sich der Localbahnverein Geld geliehen. Einiges kommt auch mit Ausflugsfahrten zusammen. Wegen der Pandemie mussten die historischen Züge aber lange stehen.

Nach der Hochzeit: Blick nach vorne

Stress löst der stehende Hebeblock bei Max Umlauft noch nicht aus, "die Anspannung sinkt jetzt aber auch nicht gerade", lacht er. Manuell lässt sich nichts bewegen, auch die Entlastung der Anlage bringt nichts. Eine Situation, in der manchmal das für den Ingenieur Unerklärliche hilft: "Wir haben die Stromkabel und die Steuerungskabel einmal durchgewechselt. Jetzt läuft wieder alles." Jens Bolduan atmet auf. Und der Kessel fährt langsam herunter – bis jedes Teil ineinandergreift und die Dampflok wieder annähernd so aussieht wie auf den mehr als 100 Jahre alten Bildern.

Auch mit mehr als 111 Jahren lässt sich "Hochzeit" feiern. Werkstattleiter Richard Taschner freut sich, "alles hat wunderbar so geklappt, wie wir uns das vorgestellt haben. Jetzt geht der Blick nach vorne."

Dampflok soll bald wieder fahren

Viele Arbeitsschritte stehen für "die Jungs vom Localbahnverein" noch an, Wassertanks fehlen gänzlich, viele Bedienelemente für den Lokführer müssen auch noch angebracht werden. Es geht nicht nur um technische Details, auch die Optik muss stimmen. Die Verkleidung des Kessels kommt zum Schluss, dann wird außerdem lackiert und poliert. In gut einem Jahr soll es aber so weit sein. Dann soll Nummer 70/083 aus dem Landshuter Lokschuppen rollen – ohne fremde Hilfe, so wie damals im Jahr 1913.

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