"Der vierte Tag der Woche heißt Donnerstag", sprechen Lehrerin Tanja Kärpf und ihre Schüler im Chor. Mit 14 Kindern sitzt die Klassenleiterin der 1c in einem Kreis im Klassenzimmer. Rund 260 Kinder besuchen die Friedrich-Rückert-Schule in der Schweinfurter Innenstadt – 90 Prozent von ihnen haben einen Migrationshintergrund. So treffen in der Grundschule über 40 Nationen aufeinander. Viele Kinder stammen aus Syrien, Afghanistan und der Ukraine.
Erstklässler im Fach Deutsch in drei Leistungsgruppen eingeteilt
Bei Tanja Kärpf konnten rund 40 Prozent ihrer Schülerinnen und Schüler bei der Einschulung kein oder kaum Deutsch. In den beiden Parallelklassen waren es sogar bis zu 90 Prozent. Um allen Kindern beim Unterrichten gerecht zu werden, egal ob mit oder ohne Migrationshintergrund, haben sie die beiden Klassen 1a und 1b im Fach Deutsch zusammengelegt.
Die Kinder wurden dann je nach Deutschkenntnissen in drei Leistungsgruppen eingeteilt. Somit können sie auf ihrem jeweiligen Niveau unterrichtet werden. "So ist kein Kind überfordert und kein Kind unterfordert", betont Tanja Kärpf.
Besonders hoher Migrationshintergrund-Anteil an Mittelschulen
In der Stadt Schweinfurt liegt der aktuelle Anteil aller Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund in Grundschulen bei rund 70 Prozent. Der Anteil in Grundschulen in ganz Bayern lag im vergangenen Schuljahr (2023/2024) laut Bayerischem Kultusministerium bei 32,7 Prozent. An Realschulen betrug der Anteil im letzten Schuljahr 20,5 Prozent und an Gymnasien 18,1 Prozent. Besonders hoch lag der Anteil an Mittel- und Hauptschulen mit 48,3 Prozent.
Doch laut Bayerischem Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) wird das Bildungssystem an einigen Schulen dem hohen Migrationsanteil in Klassen nicht gerecht. Das liegt zum einen an fehlenden Lehrkräften, zum anderen fehlen oft die Möglichkeiten, Unterrichtskonzepte für Schülerinnen und Schüler individuell umzusetzen. Die Folgen: Lehrer geraten an ihre Grenzen. Einzelne Kinder kommen im Unterricht nicht mit. Das Bildungsniveau in Klassen sinkt, so der BLLV.
Migrationshintergrund-Anteil in den letzten Jahren immer weiter angestiegen
Laut dem Bayerischen Kultusministerium ist der Anteil an Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund in den letzten Jahren immer weiter angestiegen. Im Schuljahr 2015/2016 waren es in Bezug auf alle bayerischen Schularten 16,7 Prozent. Vergangenes Schuljahr ist er auf 28,0 Prozent geklettert. Am höchsten im Freistaat war der Anteil im vergangenen Schuljahr in Nürnberg mit 55,4 Prozent, am niedrigsten im Landkreis Freyung-Grafenau mit 11,5 Prozent.
Der hohe Migrationshintergrund-Anteil wirkt sich auch auf die Übertritte auf weiterführende Schulen aus. Aus der Friedrich-Rückert-Grundschule gingen letztes Jahr 53 Prozent der Viertklässler auf die Mittelschule – fast doppelt so viele wie im bayernweiten Durchschnitt mit 28,7 Prozent. 16 Prozent schafften es auf die Realschule, 30 Prozent aufs Gymnasium. Im restlichen Bayern treten durchschnittlich 28,2 Prozent auf die Realschule und 39,9 Prozent auf das Gymnasium über.
Bessere Ergebnisse durch Unterrichtskonzept der Schweinfurter Grundschule
Sabrina Neckov, Rektorin der Friedrich-Rückert-Grundschule wertet ihr Unterrichtskonzept dennoch als Erfolg. Viel mehr Kinder würden es dadurch schaffen, an weiterführende Schulen zu kommen und diese erfolgreich abzuschließen. "Ohne unser Konzept würden viele vermutlich erhebliche Schwierigkeiten haben, das jeweilige Pensum zu meistern", fügt sie hinzu.
Das Unterrichtskonzept hat die Schulleiterin gemeinsam mit ihrem Lehrkräfteteam entwickelt. Es lässt sich jedoch nicht eins zu eins auf andere Schulen übertragen, so die Rektorin. Denn jede Schule ist anders – unterscheidet sich durch die Lehrer, Eltern und Schüler. Außerdem fordert es von den Lehrerinnen und Lehrern der Friedrich-Rückert-Grundschule viel Engagement und Eigeninitiative über das normale Maß hinaus – bis hin zu unbezahlten Überstunden.
Im Video: Welche Folgen? Hoher Migrationsanteil an bayerischen Schulen
Klassenleiterin Tanja Kärpf übt mit ihren Schülerinnen und Schülern der Klasse 1c die Wochentage.
Dieser Artikel ist erstmals am 11.2.2025 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!