Bayerns Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger spricht auf dem Karpfhamer Fest mit einer Besucherin.
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Bayerns Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger spricht auf dem Karpfhamer Fest mit einer Besucherin.

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Hubert Aiwanger: Applaus im Festzelt, Druck von Söder

Markus Söder verlangt schnelle Antworten, die Kritik ebbt nicht ab. In Festzelten aber wird der Vize-Ministerpräsident mit "Hubert, Hubert"-Rufen bejubelt - die Freien Wähler wittern Chancen, aus der Flugblatt-Affäre Profit zu schlagen. Eine Analyse.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

Das Karpfhamer Fest im niederbayerischen Bad Griesbach ist ein Heimspiel für Hubert Aiwanger. Als der bayerische Wirtschaftsminister und Vize-Regierungschef das Festzelt betritt, brandet Jubel auf. "Hubert, Hubert" rufen die Anhänger und Fans. Begleitet von Blasmusik läuft Aiwanger an voll besetzten Biertischen vorbei. Es wird gefilmt, fotografiert, applaudiert.

Der Freie-Wähler-Chef mag seit Tagen wegen der Flugblatt-Affäre unter Druck stehen, hier ist ihm das Publikum wohlgesonnen. "Danke für diesen wunderbaren Empfang, das tut mir gut!", sagt Aiwanger auf der Bühne. Er habe in seiner Jugend "Scheiß" gemacht. "Das Flugblatt war scheußlich, das ist nicht wegzudiskutieren."

Aiwanger in der Opferrolle

Dann geht Aiwanger in die Offensive und beklagt eine politische Kampagne. Es sei nicht in Ordnung, jemanden mit Dingen zu konfrontieren, die 35 bis 40 Jahre zurücklägen, "bis zu seiner beruflichen Existenzvernichtung". Es handele sich um eine von langer Hand geplante "Schmutzkampagne" gegen ihn, "vielleicht, um die Grünen in die Landesregierung zu bringen".

Anschließend macht Aiwanger Wahlkampf wie gewohnt und hält eine für ihn typische Bierzeltrede: frei, ohne Manuskript – mit viel Kritik an den Grünen und viel Verständnis für Landwirte, Handwerker und Häuslebauer. Die Unterstützung des Publikums spornt ihn an. Einige wenige Termine hatte er in den vergangenen Tagen abgesagt. Bei denen, die er wahrnimmt, sprechen Bürger ihm Mut zu und versichern: Sie stünden hinter ihm.

Rückendeckung von den Freien Wählern

"Er ist einfach zu unbequem und zu erfolgreich", verteidigt Alexander Hold seinen Parteikollegen Aiwanger. Die Lust an der Demontage sei sechs Wochen vor der Wahl sehr durchschaubar, sagt der frühere Fernsehrichter, der mittlerweile für die Freien Wähler im Landtag sitzt, nach einer Krisensitzung der Fraktions- und Parteispitzen. Von einer "Schmutzkampagne" spricht auch er. Die Freien Wähler stünden geschlossen hinter Aiwanger. Und das gelte weiterhin.

Ob sie mit dieser Rückendeckung für den umstrittenen Aiwanger nicht ihre liberalen Wähler verlieren, scheint kein Thema zu sein. In früheren Aiwanger-Debatten war das anders. Als dem Parteichef vorgeworfen wurde, Politik am rechten Rand zu machen, gab es durchaus Kritik aus den eigenen Reihen. In der Flüchtlingskrise 2015 etwa oder während der Coronapandemie, als Aiwanger sich als Impfskeptiker outete. Erst nach langem Zögern ließ er sich schließlich impfen.

Wer profitiert von der Flugblatt-Affäre?

Jetzt hoffen die Freien Wähler darauf, am Ende sogar von der Flugblatt-Affäre zu profitieren. Wenn nichts Belastendes mehr dazu kommt, Aiwanger sich seinen Anhängern weiter als Opfer präsentieren kann, scheint das tatsächlich möglich. "Überzogen" finden nicht wenige die Anschuldigungen. Andere sagen, was so lange her sei, sei nicht mehr relevant. Und wittern ein Komplott gegen Aiwanger, den "unbequemen, volksnahen" Politiker.

Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hingegen bringt die Causa Aiwanger in ein Dilemma. Am Rande eines Wahlkampftermins heute früh sagt er: "Die Entschuldigung ist notwendig und überfällig gewesen." Ob er an Aiwanger festhält oder ihn entlässt, will er noch nicht entscheiden. Dazu müsse er abwarten, bis Aiwanger die 25 Fragen schriftlich beantwortet hat, die er seinem Vize zugestellt hat. Das soll laut Söder zeitnah geschehen. "Und zeitnah heißt am besten noch heute, im Laufe des Tages."

Söders Dilemma: Entlassen oder nicht?

Erst dann könne er eine "faire, abgewogene und glaubwürdige" Entscheidung treffen. Aiwanger reagiert darauf beim Karpfhamer Fest: "Wir arbeiten dran, und wenn es nötig ist, kriegen wir das hin." Eigentlich sei das aber erst für nächste Woche geplant gewesen.

Damit steuert die Aiwanger-Affäre auf den Höhepunkt zu: Söder muss entscheiden, ob er Aiwanger entlässt oder an ihm festhält – und das wenige Wochen vor der Landtagswahl. Klar ist: Söder bräuchte sehr stichhaltige Argumente, um Aiwanger rauszuschmeißen. Drängt er ihn in eine Opferrolle, könnten die Freien Wähler bei der Landtagswahl im Oktober sogar profitieren, befürchtet die CSU.

Druck aus Berlin wächst

Doch Söder muss sich auch so weit distanzieren, dass er nicht mit Aiwanger in den Abgrund gerissen wird. Er steckt also in einem Dilemma. Druck kommt auch aus Berlin. Es dürfe nichts vertuscht und verwischt werden, fordert der Kanzler Olaf Scholz (SPD). Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, kritisiert Aiwangers Umgang mit den Vorwürfen. Er schade damit der Erinnerungskultur in Deutschland.

Die Beweislage wird unterdessen immer unübersichtlicher. Es haben sich Mitschüler zu Wort gemeldet, die Aiwanger beschuldigen. Sie hätten gesehen, wie er damals im Klassenzimmer ab und zu den Hitlergruß gezeigt habe. Andere versichern, Aiwanger sei nie in diese Richtung auffällig gewesen. Einen Hitlergruß hätten sie von ihm nie gesehen.

Opposition macht sich Hoffnung

Und die Opposition in Bayern?

Der kommt die Flugblatt-Affäre gelegen. Schon vor Monaten hatte Ministerpräsident Söder verkündet, er wolle weiter mit den Freien Wählern zusammenarbeiten. Jetzt gerät die Koalition ins Wanken. Eine Chance für die Grünen? Das ist unwahrscheinlich. Söder betont immer wieder, dass es keine schwarz-grüne Regierung in Bayern geben werde. Die Grünen machen sich trotzdem Hoffnung. Nach der Wahl könne das ganz anders ausschauen.

Die AfD spielt bei der Koalitionsfrage keine Rolle. Mit ihr will keine der bayerischen Landtagsparteien zusammenarbeiten. Die FDP wäre für die CSU sicherlich der bequemste Partner, wegen der inhaltlichen Nähe. Allerdings ist fraglich, ob die Liberalen überhaupt wieder ins Parlament einziehen. Bleibt noch die SPD: Ihr Fraktionschef Florian von Brunn hat Söder bereits angeboten, eine CSU-Minderheitsregierung zu tolerieren. Auch die SPD hofft auf eine spätere Koalitionsbeteiligung: In Umfragen kam sie zuletzt auf neun Prozent, für die konservativen CSU-Wähler wäre sie sicherlich aber auch kein Wunschpartner.

Keine Koalition ohne Aiwanger – oder vielleicht doch?

Am wahrscheinlichsten ist daher, dass die Freien Wähler nach der Wahl einfach ohne Hubert Aiwanger weitermachen und die Koalition mit der CSU so fortsetzen würden. Zwar heißt es jetzt noch aus Partei und Fraktion: Es gehe nur mit Hubert Aiwanger. Die Aussage von Fraktionschef Florian Streibl, Aiwanger werde "immer irgendwie dabei sein", lässt aber Raum für Spekulationen. Möglich ist zum Beispiel, dass Streibl ins Kabinett aufrückt und Aiwanger Fraktionschef wird.

Die Causa Aiwanger geht in jedem Fall weiter. Am kommenden Donnerstag hat der Landtag auf Antrag von Grünen, SPD und FDP eine Sondersitzung einberufen. Dann soll Aiwanger Rede und Antwort stehen.

Im Video: Söder reagiert auf Aiwangers Entschuldigung

Bayerns Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger spricht auf dem Karpfhamer Fest in Niederbayern
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Bayerns Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger spricht auf dem Karpfhamer Fest in Niederbayern

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