Ministerpräsident Markus Söder
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Söder: Aiwanger hat Fragen zu Flugblatt-Affäre erhalten

Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger hat den Fragenkatalog zu den Vorwürfen gegen ihn erhalten. Er solle rasch antworten, forderte Ministerpräsident Söder. Auch die Bundesregierung verlangt Aufklärung. Aiwanger beklagt eine "Schmutzkampagne".

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Nach dem Krisentreffen der bayerischen Regierungskoalition hat die CSU mittlerweile ihren Fragenkatalog an Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger zusammengestellt und sie dem Freie-Wähler-Chef übermittelt. Es dürfe kein Verdacht übrig bleiben, alle Fragen müssten zweifelsfrei geklärt werden, sagte Söder in Greding. "Wir haben 25 Fragen gestellt." Diese umfassten "auch die neuen Vorwürfe, die jetzt bekannt geworden sind".

Die Klärung müsse "in einem fairen Verfahren stattfinden", sagte der Ministerpräsident. Aiwanger habe nun die Gelegenheit, sich zu äußern - "und zwar vernünftig, fair und aber auch umfassend". Nötig sei, eine "zeitnahe und maximal transparente Antwort" zu erhalten, "sodass wir dann auch eine glaubwürdige Diskussion darüber führen können, wie wir das bewerten". Er hoffe sehr, dass am Ende alles zweifelsfrei geklärt werde. "Denn eines ist klar: Solche Vorwürfe dürfen nicht weiter im Raum stehen." Söder hatte am Dienstagmittag nach einem Sonder-Koalitionsausschuss, zu dem er die Freien Wähler um Aiwanger einbestellt hatte, den Fragenkatalog angekündigt. Die bisherigen Erklärungen des Ministers reichten "definitiv nicht aus".

Vorwürfe von Mitschülern

Nachdem es tagelang nur anonyme Vorwürfe gegen Hubert Aiwanger gegeben hatte, äußerte sich am Dienstagabend im BR-Interview erstmals ein Ex-Mitschüler offen vor der Kamera: Aiwanger habe damals Hitler imitiert und Juden-Witze erzählt, erinnerte sich Mario Bauer. Ein weiterer Schulkamerad berichtete BR24, Hubert Aiwangers politische Haltung sei "damals auf jeden Fall deutlich rechts der CSU angesiedelt und von nationalsozialistischem Gedankengut geprägt" gewesen. Rund um einen KZ-Gedenkstätten-Besuch bei einer Klassenfahrt habe Aiwanger "einen Witz über Juden gemacht", der "mir als sehr abstoßend in Erinnerung geblieben ist".

Am Wochenende hatten Vorwürfe gegen Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger im Zusammenhang mit einem den Holocaust verharmlosenden Flugblatt aus seiner Schulzeit ein landespolitisches Beben ausgelöst. Zwar bekannte sich anschließend Aiwangers Bruder Helmut dazu, Verfasser des Papiers gewesen zu sein. Noch immer steht aber zumindest eine Beteiligung von Hubert Aiwanger im Raum. Schließlich hatte gegen ihn die Schule vor 35 Jahren ein Disziplinarverfahren angestrengt, nachdem in seiner Schultasche ein oder mehrere Exemplare gefunden worden waren, wie er selbst einräumte. Ob er es verteilt hat, daran erinnert er sich nach eigenen Angaben nicht mehr.

Reporterinnen und Reporter des BR hatten in den vergangenen Tagen mit zahlreichen Mitschülern Aiwangers gesprochen. Ihre Schilderungen waren sehr unterschiedlich, nicht jeder erinnerte sich an rechtes Gedankengut - zitiert werden wollten sie nicht.

Kanzler Scholz: "Sehr bedrückend"

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte nach der Kabinettsklausur in Meseberg: "Alles das, was bisher bekannt geworden ist, ist sehr bedrückend." Deswegen müsse alles aufgeklärt werden, es dürfe nichts vertuscht und verwischt werden. Anschließend müssten die notwendigen Konsequenzen daraus gezogen werden. Vize-Kanzler Robert Habeck (Grüne) kritisierte Aiwangers Umgang mit den Presseberichten zu seiner Jugend als "unaufrichtig". Somit gehe die Frage an Ministerpräsident Söder, "ob er mit einem Kollegen, der so agiert" in Zukunft zusammenarbeiten wolle. "Ich finde es schwer vorstellbar."

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) bezeichnete die Vorwürfe gegen Aiwanger als "bestürzend". "Und der Umgang und die Aufklärungsbereitschaft sind in meinen Augen bislang nicht glaubwürdig." Daher müsse dringend Klarheit geschaffen werden - mit den dann gegebenenfalls notwendigen Konsequenzen, "die er selber ziehen muss oder der bayerische Regierungschef".

Aiwanger: "Angriffe, die wehtun"

Aiwanger selbst äußerte sich am Dienstagabend in einer Rede beim Steinbrünninger Herbstfest im Landkreis Berchtesgaden zu den Vorwürfen gegen ihn und dankte den Anwesenden für Rückendeckung in schwierigen Zeiten. "Sie wissen ja, in der Politik kommt der Wind nicht immer von hinten, sondern auch mal von vorne." Er stehe aktuell unter Druck und "Angriffen, die wehtun, wenn man mit Dingen konfrontiert wird, die über 35 Jahre zurückliegen". Aber es gelte, nach vorne zu schauen und "dieses Land stabil zu regieren".

Am Morgen veröffentlichte Aiwanger erstmals seit Tagen wieder einen Post im Kurznachrichtendienst X (früher Twitter): "Schmutzkampagnen gehen am Ende nach hinten los."

Krisensitzung der Freie-Wähler-Spitze

Im Landtag kamen die Spitzen von Partei und Fraktion der Freien Wähler zusammen, um über das weitere Vorgehen zu diskutieren. Dabei stellten sie sich hinter Aiwanger. Die bayerische FW-Generalsekretärin Susann Enders kritisierte Rücktrittsforderungen als lachhaft. Landesvorstand, Fraktion und Kabinettsmitglieder stünden hinter Aiwanger. Umweltminister Thorsten Glauber kann sich nicht vorstellen, auf welcher Grundlage Aiwanger überhaupt entlassen werden sollte, da sich ja sein Bruder zu dem antisemitischen Flugblatt bekannt habe. Für Fraktionsvize Bernhard Pohl ist eine Koalition aus CSU und Freien Wähler ohne Aiwanger nicht vorstellbar: Man werde mit ihm weitermarschieren.

Fraktionschef Florian Streibl stellte im BR24-Interview klar, die Freie-Wähler-Fraktion habe sich immer gegen Antisemitismus gestellt. Der Hubert Aiwanger, den er kenne, sei nicht derjenige, der heute durch die Gazetten gezogen werde. Als fragwürdig wertete der Fraktionsvorsitzende, dass die Schoah dazu genutzt würde, einen Politiker fertigzumachen. Auf die Frage, ob die Freien Wähler bei einem möglichen Platzen der Koalition in der Opposition weitermachen würden, sagte Streibl: "Wir waren zehn Jahre in der Opposition, das ist etwas, was wir bestens können. Aber natürlich machen wir es lieber mit unserem Koalitionspartner." Die Landtagsabgeordnete Gabi Schmidt räumte allerdings Fehler bei der öffentlichen Krisenkommunikation in der Flugblatt-Affäre ein.

Söder hatte am Dienstag bekräftigt, auch nach der Landtagswahl weiter mit den Freien Wählern koalieren zu wollen. Zugleich sagte er aber: "Koalitionen hängen übrigens auch nicht an einer einzigen Person. Es geht mit oder ohne eine Person im Staatsamt ganz genauso."

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