Fynn Alker hat zwar erst vor kurzem in Würzburg mit seiner Ausbildung zum Physiotherapeuten begonnen, auf WG-Suche ist er allerdings schon seit Mai. Eine Anzeige machte ihn besonders neugierig: "Inklusive WG sucht Mitbewohner." Ein Abenteuer? Oder eigentlich gar nichts besonderes? "Mir fiel das viel leichter mich hier vorzustellen, bei anderen WGs war es so gezwungen, hier so frei. Man konnte man selbst sein", sagt Fynn heute.
Ganz normales WG-Leben: Alles kann, nichts muss
Carlotta und ein weiterer Mitbewohner mit Handicap haben gemeinsam mit der Lebenshilfe e.V. die Anzeige inseriert und Fynn nach einem Treffen zugesagt. Seit fünf Wochen wohnt er jetzt hier. Heute kommt er von einem langen Tag voll Anatomie und Physiologie nach Hause. Eine der Mitbewohnerinnen sitzt gerade mit einer Tasse Tee am Esstisch. Wie Fynn ist auch Carlotta Herbert zum ersten Mal von zuhause ausgezogen. Heute kochen die beiden für die Vierer-WG zu Abend. Es gibt Nudeln mit Zucchini und Tomatensoße.
Single-Haushalte auf dem Vormarsch
Deutschlandweit wohnen rund 18 Millionen Menschen allein. Laut einer Umfrage der "Gesellschaft für Konsumforschung" liegt Würzburg im Ranking der Single Haushalte sogar auf Platz drei. Die Gründe seien vielfältig: Weniger Menschen heiraten und mehr ziehen in die Stadt zum Studium oder Karrieresprung. Dabei kann zusammen wohnen nicht nur gesellig sein, sondern auch praktisch, wie unter anderem die Lebenshilfe Würzburg mit ihrer inklusiven WG zeigt.
Suche nach dem perfekten Mitbewohner
So viele Bewerberinnen oder Bewerber wie auf andere WG-Zimmer in Würzburg hat es für das freie Zimmer in der inklusiven WG nicht gegeben. Bei der Entscheidung sind neben den Bewohnern der WG auch die Sozialpädagogen der Lebenshilfe e.V. beteiligt. Die Suche nach dem perfekten Mitbewohner war "eher schwierig tatsächlich", sagt Carlotta. "Vielleicht weil viele Angst davor haben, was inklusiv zusammenwohnen heißt, und sich nichts darunter vorstellen können.“
WG bedeutet selbstständig und selbstbestimmt leben
Für die 26-Jährige bedeutet das etwa selbstständig wohnen zu können. Nicht bei den Eltern oder in einem Wohnheim. "Man hat mehr Freiraum, was zuhause zum Teil anders ist. Und man kann kommen und gehen wann man will. Außerdem lernt man automatisch mehr Verantwortung zu übernehmen: Schon allein Wäsche waschen, kochen, sauber machen, also Sachen, die einem ja auch helfen."
Betreuer: "Das besondere ist, dass es nichts Besonderes ist."
Klar, Fynn hilft, wenn er kann – aber er muss nicht. Denn es gibt Assistenten, die mehrmals die Woche zum Unterstützen kommen. Philipp Schmitt ist einer von ihnen. "Ich glaube das Schöne an dieser WG-Form ist, dass es keinen Unterschied macht zu einer anderen WG. Hier wird genauso gemeinsam gekocht, hier gibt es genauso andere Interessen und Meinungen. Das Besondere ist, dass es nichts besonderes ist", sagt Philipp.
Unterstützung im Alltag durch Betreuer
Er sieht sich eher als Dienstleister, nicht als Betreuer. Haushaltsführung, Finanzplanung oder persönliche Krisen: Philipp und seine Kolleginnen und Kollegen möchten ihren Klientinnen und Klienten, wie er etwa die WG-Bewohner nennt, ein möglichst selbstbestimmtes Leben ermöglichen. So unterstützt er etwa einen der Bewohner beim Einkaufen, weil der eine Sehbeeinträchtigung hat. Er unterstützt die beiden Bewohner mit Handicap bei Wünschen und Bedürfnissen im Alltag.
Gleiche Miete - gleiche Pflichten
Miete zahlen hier übrigens alle dasselbe, ob mit oder ohne Handicap. Carlotta hofft deshalb, dass solche Wohnformen Vorurteile abbauen: "Ich finde Leute wie ich mit Handicap werden oft unterschätzt. Durch die WG zum Beispiel sieht man, was die alles können, womit man vielleicht nicht rechnet – und wir kriegen trotzdem da Hilfe, wo wir sie benötigen."
Für Menschen mit Handicap eine Möglichkeit, sich selbst einzubringen
Für die Lebenshilfe Würzburg ein Wohnmodell der Zukunft: "Der Vorteil ist, dass die Menschen mit Handicap hier mit Unterstützung allein wohnen können. Beide Bewohner hier sind glücklich, das es die Möglichkeit gibt.“ Die Möglichkeit, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Und das wiederum ist ja eigentlich gar nichts Besonderes.
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