Ein altehrwürdiges Kirchenschiff derart zu verunstalten, das ist aus heutiger Sicht schwer zu verstehen. Die zwei großen Glockentürme – weg damit, der schöne Chor im Osten - bis auf die Grundmauern abgetragen. Und schon stand da keine Kirche mehr, sondern eine unheilige Halle für gute Geschäfte. 1818 war das, in der Zeit der Säkularisation, die manche mit großem Eifer betrieben. Ein reicher Kaufmann aus München, Alois von Fleckinger, ließ aus dem Gotteshaus ohne viel Federlesens eine Brauerei machen.
Heilige Hallen werden zur Brauerei
Und die Handwerker stemmen auftragsgemäß große Löcher in die Wände, für Balken, auf denen neue Zwischendecken eingezogen werden. In die Grundfesten der einstigen Türme ziehen sie eine gewaltige Darre ein, in der im Rauch aus einem Ofen das Malz getrocknet wird. Wo nötig, werden Mauern durchbrochen oder Seilzüge angebracht. In ein Seitenschiff kommt das Zimmer des Braumeisters, in den Eingangsbereich stellen die Arbeiter die Sudkessel.
"Kein Segen auf dem Gebräu": Viele lehnten das Bier ab
Manchen tut das heute noch weh, zum Beispiel den "Freunden von Herrenchiemsee". Die Vereinigung erforscht die Geschichte der Insel und engagiert sich für den Erhalt all der prächtigen Bauwerke in ihrer Heimat. Ein unglaublicher Frevel sei das gewesen damals, sagt Wolfgang Berka, ein Frevel, der sich nicht ausgezahlt habe. Man sehe die Wunden der Vergangenheit noch, aber sie seien vernarbt.
Tatsächlich war die Brauerei wohl nur mäßig erfolgreich. Viele Menschen in der Region lehnten das Gebräu der "Königlichen Bierbrauerei Herrenwörth" aus tiefer Überzeugung ab, weil darauf kein Segen liegen konnte. 1917 wurde die Erzeugung des bayerischen Nationalgetränks eingestellt – und in dem verstümmelten Bauwerk wurde es still. 100 Jahre lang geschah nichts, außer einigen Ausbesserungen, damit das Gewölbe nicht völlig verfiel. Bei archäologischen Grabungen wurden Reste der Vorgängerkirche aus dem 7. Jahrhundert und Skelette mit Grabbeigaben gefunden.
Ein Gang durch die Geschichte Bayerns
Eine wahrlich bewegte Geschichte, von der ältesten Klosteranlage Bayerns über den Sitz des Bistums Chiemsee, mit Zeugnissen romanischer, gotischer und barocker Bauphasen – bis zu einer Fabrik. Geschichte, die jetzt begangen werden kann: auf breiten Stegen aus schwarzem Stahl durch das Sudhaus, über schmale Treppen in die niedrigen Malztennen und Lagerräume auf den Zwischendecken im Kirchenschiff, und mit einem Aufzug bis unter die Decke der ehemals heiligen Hallen. Die Vergangenheit wurde nicht wieder verändert bei dieser Erschließung: Alle Stationen der Historie bleiben sichtbar.
So steht man nun auf dem obersten Zwischendeck direkt unter dem Stuck und den Malereien an der Decke und ist den farbenfrohen Heiligenfiguren so nah wie in keiner Kirche. In einer Ecke haben die Restauratoren die Inschriften von Brauereiarbeitern stehen lassen. In altdeuscher Schrift sind da Sätze zu lesen wie: "Verloren seist Du, weil Du aus dem Haus des Herrn das Bräuhaus gemacht hast." Oder Anmerkungen während des 70ger Krieges, dass der Feldherr von der Tann Orleans erobert hat. So nah kommt einem Geschichte selten.
Besichtigung nur nach Anmeldung
Der Inseldom kann nur in Führungen besichtigt werden, in Gruppen von höchstens 10 Personen. Ab 1. April ist an Wochenenden und Feiertagen geöffnet. Anmeldung per Mail an die Schlossverwaltung Herrenchiemsee oder über die Homepage des Tourismusverbandes Chiemsee Alpenland.
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