Der Run von Ukrainerinnen und Ukrainern auf Sprach- und Integrationskurse in Bayern ist enorm. Jedoch fehlt es an Lehrern. Mit kleineren Klassen könnte effektiver gearbeitet werden.
Ukrainerin versucht, Deutsch zu lernen
Die Ukrainerin Ulyana lebt nun seit genau 121 Tagen mit ihrer Familie im niederbayerischen Iggensbach im Kreis Deggendorf. "Wir versuchen hier in Deutschland zu leben, die Sprache zu lernen - wir müssen etwas tun. Wir können nicht nichts tun." Doch jeden Tag denkt Ulyana an ihre Landsleute in der Ukraine, an ihre Heimat, bleibt über das Handy in Kontakt mit den Zurückgebliebenen. Fotos und Videos lassen die Grausamkeit des Kriegs in der Ukraine und das Leid der Menschen nur erahnen. "Es ist einfach nur furchtbar."
Weg vom Krieg - zurück auf die Schulbank
Alltag, Normalität, weg vom Krieg - das ist es, was die ukrainische Familie jetzt braucht. Während Ulyanas zwölfjährige Tochter Marija versucht, im bayerischen Schulleben anzukommen, drückt auch die 41-jährige Ulyana selbst wieder die Schulbank – nach mehr als 20 Jahren. Sie besucht einen Sprach- und Integrationskurs am Bildungszentrum ISA in Deggendorf: "Der Unterricht ist sehr interessant, wir lernen hier Wörter, die wir im Alltag brauchen können, wenn wir zum Beispiel einkaufen oder Menschen auf der Straße etwas fragen müssen."
Deutschlehrer wünscht sich Unterstützung
Deutschlehrer Eckhart Krupp bringt Ulyana und den anderen Kursteilnehmern Deutsch bei. Er spricht von motivierten Teilnehmenden, die alles mitschreiben, viel fordern. "Sie sind hochmotiviert - sie können und wollen", so Krupp. Der Kurs ist mit 25 Teilnehmern voll. Könnten die Klassen halbiert werden, könnte effektiver gearbeitet werden, so der Deutschlehrer.
"Ich bin hier nicht nur Lehrer, sondern auch ein Stück weit Sozialarbeiter und Lotse - ich helfe ihnen, hier Fuß zu fassen. Da würde ich mir wünschen, einen zweiten Lehrer an meiner Seite zu haben. So kann ich nicht allen gerecht werden." Eckhart Krupp, Deutschlehrer
Die enorm hohe Nachfrage nach Sprach- und Integrationskursen bestätigt auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Das Amt hat bisher bundesweit rund 120.000 Teilnahmeberechtigungen für die Kurse an Ukrainer erteilt, mehr als 40.000 Ukrainerinnen und Ukrainer haben bereits einen begonnen, wie es heißt.
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Hohe Integrationsbereitschaft bei Ukrainern: Wartelisten voll
Die Nachfrage nach den Kursen ist für Bildungseinrichtungen wie in Deggendorf herausfordernd – alle Kurse sind voll, weitere sind geplant. "Wir haben Leute auf der Warteliste und hoffen, dass wir ihnen einen Platz anbieten können", sagt Beatrix El-Badrawi vom Bildungszentrum ISA. Das Problem ist nur: "Wir bräuchten dringend Lehrer, aber das ist schwierig: Alle Lehrer in der Region sind bereits in Kursen. Wir haben unsere Lehrer akquiriert, die früher unterrichtet haben, pensionierte Lehrer, ob sie unterrichten wollen. Die sind aber mit der Pandemie aus dem Beruf raus oder trauen es sich gesundheitlich nicht zu."
BAMF: 16.000 Lehrer angeschrieben, um sie für Kurse zu gewinnen
Auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bestätigt El-Badrawis Aussage und hat bereits auf den deutschlandweiten Personalmangel reagiert: Auf Anfrage heißt es, dass das Amt vor Kurzem 16.000 zugelassene, aber nicht aktive Lehrerinnen und Lehrer angeschrieben hat, um sie für die Integrationskurse zu gewinnen.
Ob sich auch in Deggendorf jemand meldet? Beatrix El-Badrawi hofft es zumindest. Bis dahin heißt es für Lehrer wie Eckhart Krupp: Überstunden aufbauen. Doch der Deutschlehrer macht das mit Überzeugung, um Menschen wie Ulyana zu helfen.
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Herausforderung Personalmangel an bayerischen Schulen
Eine ähnliche herausfordernde Situation ist an den Schulen erkennbar: Ulyanas zwölfjährige Tochter geht seit Wochenbeginn aufs Deggendorfer Robert-Koch-Gymnasium. Ihre Lehrerin Maryna Breslavets kommt selbst aus der Ukraine, lebt seit einem Jahr in Deutschland – mit der gelernten Psychologin können die Kinder in der Willkommensklasse auch in ihrer Muttersprache reden.
Brückenklassen: 1.620 neue Stellen fürs neue Schuljahr
Doch wie geht es weiter? Schulleiter Heribert Strunz vom Robert-Koch-Gymnasium verweist auf den Beschluss des bayerischen Kultusministeriums – demnach soll es im nächsten Schuljahr keine Willkommensklassen mehr geben, sondern sogenannte Brückenklassen, die laut bayerischen Kultusministeriums aus Willkommensgruppen weiterentwickelt werden sollen. Ziel sei der möglichst rasche Spracherwerb, außerdem stehen Mathematik und Englisch verpflichtend auf dem Stundenplan.
Für die Integration ukrainischer Schüler sollen dafür kommendes Schuljahr 1.620 neue Stellen geschaffen werden.
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BLLV skeptisch wegen Lehrermangel: "Brauchen Köpfe dazu"
Der Bayerische Lehrerinnen- und Lehrer-Verband (BLLV) begrüßt zwar das Konzept, kritisiert aber: "Im Konzept sind 1.620 Stellen drin - wunderbar", so BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann. "Stellen, das ist Geld. Das macht aber keinen Unterricht. Wir brauchen Köpfe dazu!" Fleischmann ist gerade hinsichtlich des aktuellen Lehrermangels skeptisch, Lehrer für das neue Schuljahr zu bekommen.
Ukrainerin: "Ich bin dankbar – aber ich will nach Hause"
Von all diesen politischen Diskussionen bekommen Ulyana und ihre Tochter Marija nur wenig mit. Nach der Schule und dem Integrationskurs geht es für sie nach Hause, nach Iggensbach. Ulyana bereitet das Essen vor: Borschtsch. Eine traditionelle, ukrainische Suppe mit Roter Bete. Es ist ein Stück Heimat für die Ukrainerinnen. "Auf der einen Seite bin ich sehr glücklich und dankbar, dass meine Tochter und ich hier sein können, in Sicherheit. Aber ich will nach dem Krieg heim. Ich will nur nach Hause."
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