Zu Schichtbeginn in der Gepäckabfertigung am Nürnberger Flughafen legt Georgios Antoniadis seinen elektronischen Helfer an. Was entfernt an einen Rucksack erinnert, ist ein sogenanntes Exoskelett. In den Stützapparat schlüpft er mit seinen Armen, befestigt den breiten Gurt an seinem Bauch und die Beinstützen am Oberschenkel mit Klettverschlüssen. Nun sieht er aus wie ein Gepäckabfertiger im Superhero-Outfit.
Etwa acht Kilo wiegt sein elektronischer Helfer. Die Superkraft kommt von Motoren, die den Rücken des 45-jährigen beim Bücken und Aufrichten entlasten. Der stellvertretende Leiter der Gepäcksortierung am Flughafen Nürnberg arbeitet seit vier Wochen mit dem Exoskelett. "Es unterstützt beim Heben mit bis zu 30 Kilo. Links und rechts sind Elektromotoren drin, die helfen einem beim Heben und beim Absenken der Gepäckstücke", erklärt Antoniadis im BR-Interview.
Eine Tonne Gepäck pro Tag
Dutzende Koffer knallen in das Abfertigungsfach der Gepäcksortierung am Nürnberger Flughafen. Sie alle wollen mit ihren Besitzern nach Istanbul fliegen und müssen vorher auf Transportwagen gehievt werden. Diese Maschine fasst 189 Passagiere, die haben pro Person im Schnitt 20 Kilo Gepäck dabei. Das sind 3.780 Kilo, die von zwei Männern in die Wagen geschlichtet werden müssen. Draußen auf dem Rollfeld wird ein Teil der Koffer in den engen Bauch der großen Maschine geschlichtet – im Kriechgang.
Seit 25 Jahren wuchtet Georgios Antoniadis in Spitzenzeiten täglich bis zu einer Tonne Gepäck herum. Ein Knochenjob ist das. Einige seiner Kollegen sind schon monatelang wegen Bandscheibenvorfällen ausgefallen. Nun hat der Flughafen Nürnberg vier dieser Exoskelette angeschafft. Gekostet hat das einen sechsstelligen Eurobetrag. Nach Angaben des Herstellers Germanbionic aus Augsburg muss man mindestens mit 10.000 Euro pro Stück rechnen. Abhängig sei das von der Abnahmemenge, erklärt der Unternehmenssprecher Eric Eitel auf BR-Nachfrage.
Gesundheits-Prävention im Fokus
Doch für den Flughafen Nürnberg als Arbeitgeber gehe diese Rechnung auf, erläutert der Leiter der Gepäckabfertigung, Matthias Reubel. Ein Mitarbeiter, der lange ausfällt, sei für den Betrieb nicht produktiv und die Anschaffung der Exoskelette beweise, dass das eine tolle Sache sei, so Reubel. Die Unterstützung sei ja nicht nur für die Kollegen da, die etwas älter sind und schon lange den Job machen, so der Leiter der Gepäckabfertigung weiter. Es solle erst gar nicht zu gesundheitlichen Einschränkungen kommen. Damit seien die Exoskelette auch wichtig für die junge Generation und neue Mitarbeiter, die in dieses Metier hineinwachsen.
Unterstützungsgrad selbst wählen
Auf einem kleinen Bedienfeld auf Hüfthöhe kann Georgios Antoniadis selbst bestimmen, wie viel Zugkraft sein elektronisches Stützgerät übernehmen soll, wenn er sich zum Koffer beugen und mit dem Gepäck wieder aufrichten muss. Innerhalb der ersten Stunden seiner Schicht waren das schon knapp 700 Kilo. Die zupackenden Motoren, die dem 45-jährigen die Last teilweise abnehmen, werden mit einem wiederaufladbaren Akku betrieben, erklärt Joachim Fischer, Entwicklungsmanager von Germanbionic. Eine Akkuladung, so belegten es die Daten, reicht für eine Schicht, so Fischer. Dank eines Schnellwechselsystems könne ein leerer Akku gegen einen geladenen ausgetauscht werden, ohne, dass sich das Gerät ausschaltet.
Exoskelette in weiteren Branchen
Seit einem Monat läuft die Eingewöhnungsphase mit dem Exoskelett in Nürnberg. Manche Mitarbeitende sind noch etwas skeptisch, wollen den Stützapparat aber ausprobieren. Georgios Antoniadis ist nicht nur stellvertretender Leiter der Gepäckabfertigung, sondern auch der Exoskelett-Beauftragte in der Abteilung. Sein wichtigster Tipp für den Umgang mit dem Stützapparat: "Gerade am Anfang, in der ersten Woche, immer nur eine Stunde lang machen, damit auch der Körper sich daran gewöhnt". Das Exoskelett stelle den Körper schließlich komplett gerade, so Antoniadis, da bekomme man am nächsten Tag einen Muskelkater.
Die Unterstützung beim Heben und Absenken der Gepäckstücke soll die Mitarbeiter hier bei längerer Lebensarbeitszeit gesund halten und keine Stellen ersetzen. Darin sind sich der Hersteller aus Augsburg und der Arbeitgeber Flughafen einig. Germanbionic-Sprecher Eitel erklärte im BR-Interview, dass der zunehmende Fachkräftemangel und die demographische Entwicklung die Schaffung des Exoskeletts für die Arbeitswelt geradezu forciert hätten.
Die Superkräfte des elektronischen Helfers haben inzwischen auch andere Branchen entdeckt. Deshalb schnallen sich diese Exoskelette inzwischen auch Mitarbeitende auf dem Bau, beim Versand, bei Transportunternehmen und auch in der Pflege um.
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