An diesen Satz von Markus Söder erinnert sich Aykan Inan, einer der Sprecher des "Islamforum Bayern", noch genau: "Die jungen Türkinnen und Türken gehören mittlerweile zu dieser Stadt und auch der Islam ist ein Teil von Bayern geworden." 2012 hatte Söder, damals noch nicht Ministerpräsident, sondern gerade Finanz- und Heimatminister geworden, das öffentlich in einem Grußwort so gesagt. Bei einem Fest des immer wieder umstrittenen türkisch-islamischen Ditib-Verbands in Nürnberg.
Muslime fühlen sich nicht anerkannt
"Der Islam ist ein Teil von Bayern geworden", für Aykan Inan ist dieser Satz des heutigen Ministerpräsidenten in der Rückschau nur eine Phrase. Denn: Offiziell anerkannt – als Religionsgemeinschaft – sind Muslime auch in Bayern nicht.
Und das hat Folgen fürs religiöse Alltagsleben – und für die Integration der Menschen, die teilweise schon seit Jahrzehnten im Freistaat leben, häufig hier geboren sind, sagt Inan, der viele Jahre auch Sprecher von Ditib in Südbayern war. "Diese Anerkennung wäre ein wichtiger Schritt, denn dann würden sie sich mehr als Teil der Gesellschaft fühlen."
Islamstudie 2018: Was wurde aus den Empfehlungen?
Vor fünf Jahren veröffentlichte die Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen eine umfassende Islamstudie für Bayern. Der Tenor: Grundsätzlich seien die damals geschätzt gut 500.000 in Bayern lebenden Muslime gut integriert. Oft jedoch gepaart mit einem Gefühl, man könne sich anstrengen, wie man wolle, es reiche einfach nicht, um wirklich anerkannt zu sein. Inzwischen leben um die 800.000 Muslime im Freistaat.
Auftraggeber der Studie war die Bayerische Akademie der Wissenschaften. Das Ziel: Handlungsempfehlungen für die Bayerische Staatsregierung zu formulieren. Und die Studienmacher um den Islamwissenschaftler Mathias Rohe hatten 2018 eine Fülle an Vorschlägen, wie die Religionspolitik mit Blick auf die Muslime in Bayern verbessert werden könnte.
"Zum Beispiel für den Bereich der politischen Bildung, wo wir große Informationsdefizite sehen", sagt Mathias Rohe. "Wir haben Empfehlungen zum islamischen Religionsunterricht und islamischer Theologie abgegeben, konkrete Maßnahmen für die Religionspraxis, das Bestattungswesen, aber auch zu Fragen der Radikalisierung und Extremismusbekämpfung."
Islamwissenschaftler Rohe: "Ausbau von Islamunterricht dringend erforderlich"
Die Bilanz, die Rohe jetzt, fünf Jahre später, für Bayern zieht, fällt gemischt aus. Bestattungen nach islamischem Ritual sind inzwischen zwar grundsätzlich möglich, doch vielerorts gibt es praktische Hürden. Und der Islamunterricht ist mittlerweile über den Status eines Modellversuchs hinausgekommen. Aber: "Der dringend erforderliche Ausbau stagniert", sagt Rohe, "der größte Teil der muslimischen Schülerschaft wird nicht mit diesem so wichtigen Unterricht erreicht".
Hinzu komme eine bayerische Besonderheit: Der Islamunterricht ist kein Religionsunterricht – sondern eine Art Islamkunde. Laut Kultusministerium handelt es sich um ein "entkonfessionalisiertes Konzept, das islamkundliche Inhalte mit Wertebildung verbindet". Ethik plus Wissen über den Islam sozusagen.
Muslimische Verbände dürfen sich nicht einbringen, obwohl Religionsgemeinschaften laut Grundgesetz und Bayerischer Verfassung das Recht auf einen konfessionellen Religionsunterricht haben.
Staatsregierung: Ansprechpartner bei Muslimen fehlt
Das Argument der Staatsregierung: auf muslimischer Seite fehle ein Ansprechpartner. Weil die muslimischen Verbände auch deshalb bislang nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt sind, greifen Grundgesetz und Verfassung hier eben auch nicht, erklärt der Verfassungs- sowie Staats-Kirchen-Rechtler Heinrich de Wall. Er hält das bayerische Modell deshalb für "vernünftig" und – mit Abstrichen – "religionsfreundlich".
Das unterstreicht auch das bayerische Kultusministerium. Der Islamunterricht sei ein "Erfolgsmodell", elf Prozent der muslimischen Schülerinnen und Schüler würden daran teilnehmen, was einer höheren Quote als in anderen Bundesländern entspreche.
Aykan Inan widerspricht. Er empfindet das Modell dennoch als Einschränkung, denn, "die Praxis in den Moscheen ist leider ganz anders, als die Theorie in den Schulen". Es fehle die Anbindung an die Religionsgemeinschaften. Und: in kaum einem Bundesland hätten Muslime weniger Mitsprache beim Schulunterricht, als in Bayern. Obwohl fast alle muslimischen Verbände auch in anderen Bundesländern keinen Körperschaftsstatus haben. Dort aber hat man andere Wege gefunden – über besondere Verträge, Stiftungen, Kommissionen. Seine Schlussfolgerung: "Wenn der Wille der bayerischen Staatsregierung da gewesen wäre, hätte man längst einen Weg gefunden."
Islamischer Religionsunterricht: andere Bundesländer offener?
Tatsächlich ist beispielsweise die Ditib einer von sechs Verbänden, die seit 2021 in einer Kommission für das Schulministerium in Nordrhein-Westfalen den islamischen Religionsunterricht inhaltlich konzipieren und die Lehrerlaubnis an Pädagogen vergeben. In Bayern undenkbar.
Nach israelfeindlichen Äußerungen der türkischen Religionsbehörde Dyianet, der Ditib auch in Deutschland untersteht, steht diese Zusammenarbeit in NRW nun allerdings auch auf dem Prüfstand. Staatskanzleichef Nathanael Liminski hat unter anderem ein Bekenntnis zum Existenzrecht Israels eingefordert.
Aykan Inan sagt dazu nur so viel: Es sei "ermüdend", immer wieder betonen zu müssen, sich natürlich auf dem Boden des Grundgesetzes zu bewegen.
Religion im öffentlichen Raum: Prävention vor Radikalisierung?
Bis zu diesem Jahr war Matthias Belafi in der Staatskanzlei von NRW für religionspolitische Fragen zuständig. Seit wenigen Monaten leitet er nun das katholische Büro in Bayern, hat quasi die Seiten gewechselt und ist Religions-Lobbyist. Belafi hält sehr viel vom konfessionellen Islamunterricht – analog zu dem der christlichen Kirchen. Er sieht aber aufgrund der "aktuellen Debatte, um Einfluss aus dem Ausland, dass das irgendwo Grenzen hat".
Im Gespräch mit BR24 plädiert der neue Leiter des katholischen Büros aber dafür, Religion in den öffentlichen Raum zu holen. Eine gewisse öffentliche Kontrolle religiöser Sozialisation sei Prävention vor Radikalisierung – und zwar nicht nur bei Muslimen, das gelte auch für den kirchlichen Bereich.
"Muslime": Fehlanzeige im Koalitionsvertrag
Ein Blick in den Landtag zeigt: Die meisten Fraktionen haben einen religionspolitischen Sprecher benannt, der sich um alle Belange rund um Kirchen, Religionsgemeinschaften und Weltanschauungen kümmern soll. Anders die CSU. Die hatte zwar zuletzt jeweils einen Fach-Sprecher für Fragen der evangelischen, der katholischen Kirche und der israelitischen Kultusgemeinden. Für den Austausch mit Muslimen war kein Posten vorgesehen.
Im aktuellen Koalitionsvertrag von CSU und Freien Wählern kommen die Worte "Islam" und "Muslime" ebenfalls nicht vor. In den Passagen zur Religionspolitik ist die Rede davon, dass man sich eng mit Kirchen, Religionsgemeinschaften und Verbänden austauschen wolle. Ein beständiges Format wie die Islamkonferenz, die jetzt auf Bundesebene wieder ins Leben gerufen wurde, gibt es dabei laut Staatsregierung in Bayern nicht.
Keine Gespräche aus Sorge vor Extremisten
In erster Linie zuständig für Muslime ist das Innenministerium – letztlich geht es in den Augen der Politik mehr um Integration, als um Religionspolitik. Der Kontakt ist sehr lose, zu groß ist die Sorge, sich Vertreter islamistischer Organisationen an den Tisch zu holen. So schreibt das Innenministerium, einige Vertreter der Verbände würden sich "nach außen offen, tolerant und dialogbereit" geben, innerhalb dieser Organisationen bestünden jedoch "mitunter antidemokratische, totalitäre und integrationsfeindliche Tendenzen".
Und weiter: "Im Grunde ist dies sehr bedauerlich." Denn so fehlten in der Integrationspolitik zentrale Ansprechpartner für die Belange der Muslime, erklärt das bayerische Innenministerium.
Islamwissenschaftler und Grüne fordern mehr Austausch
Islamwissenschaftler Mathias Rohe fordert hier dennoch mehr Engagement der Staatsregierung. "Man muss genau hinschauen, aber es gibt sehr viele, die sich wirklich um Verständigung bemühen", sagt Rohe. "Wir täten gut daran, solche Menschen und Organisationen zu unterstützen. Sodass man in der muslimischen Bevölkerung sieht, dass man angenommen wird." Andernfalls würde dadurch, laut Rohe, auch Vertrauen in den Rechtsstaat verloren gehen.
Doch das politische Bemühen "stagniert", so die Analyse des Islamwissenschaftlers. Er macht unter anderem das Erstarken der AfD und eine Diskursverschiebung hin zu islamfeindliche Positionen verantwortlich und vermutet: "Man ist furchtsam in der Politik, sich hier die Finger zu verbrennen".
Von einem blinden Fleck sprechen gar die Landtagsgrünen. Sie hatten im vergangenen Jahr im Landtag einen Antrag gestellt, einen Runden Tisch der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in Bayern einzurichten. Ohne Erfolg. Die religionspolitische Sprecherin der Landtagsgrünen, Gabriele Triebel, fordert nun erneut: "Einen stärkeren Fokus auf den interkonfessionellen Dialog. Eine Art Rat der Religionen wie München oder Augsburg – für den Freistaat wäre das ein großer Gewinn."
Die Staatsregierung verweist auf die Trennung von Staat und Religion. Und darauf, dass Bayern bereits zahlreiche Projekte für den interreligiösen Dialog finanziell fördere und unterstütze.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!