Bei strahlendem Sonnenschein und friedlicher Stimmung sind am Sonntagvormittag rund 600 Radlerinnen und Radler zum Gedenkort am Fliegerhorst in Fürstenfeldbruck geradelt, um der zwölf Getöteten des Terroranschlages von 1972 zu gedenken.
Mit dabei waren auch viele Menschen aus Israel und jüdische und israelische Sportvereine. Für einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer war es eine erstmalige Gelegenheit, die jeweils "anderen" besser kennenzulernen.
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Selig Storch: "Ich wollte es meiner Frau erzählen, aber ich konnte nicht"
Mit dem Entzünden der Original-Makkabi-Fackel aus Tel Aviv eröffnete Selig Storch die Gedenk-Radlfahrt. Selig Storch ist ein ehemaliger Schießsportler aus Israel - und ein Überlebender des Terrorangriffs von 1972 in München. Heute, so erzählte er im Interview mit BR24, kann er darüber sprechen, was damals passiert ist. Doch das war nicht immer so.
"Es war sehr schwierig für mich, als ich das erste mal wieder hier war. Das war 1996 mit meiner Frau, 24 Jahre danach. Ich wollte meiner Frau erzählen, was passiert ist, aber ich konnte nicht. Ich musste weinen." Selig Storch, Überlebender (Übersetztes Zitat)
Nach seinem ersten Besuch in München sei er jedoch immer wieder nach Bayern gekommen, berichtete Storch weiter. Sieben oder acht Mal sei er bislang in München gewesen, zuletzt im Jahr 2018. Immer wieder habe er auch Touren für Menschen aus Israel hierher organisiert, um ihnen den Ort des Attentats und der Olympischen Spiele zu zeigen.
Fackel wandert von Tel Aviv nach Fürstenfeldbruck - dann weiter nach Ruhpolding
Die Fackel aus Tel Aviv wurde nach dem Entzünden mit dem Rad nach Fürstenfeldbruck gebracht, und zwar von dem Israeli Asaf Stolarz. Zusammen mit seinem Freund Peter Hajdu startete er schon vor 13 Tagen in Budapest. Jeden Tag ihrer Fahrt hatten sie einen der getöteten israelischen Sportler von 1972 gewidmet.
Die Fackel aus Israel soll anschließend weiter nach Ruhpolding wandern, wo im Januar 2023 die ersten Makkabi-Spiele seit dem Zweiten Weltkrieg stattfinden werden.
- Zum Artikel: Makkabi WinterGames 2023 im bayerischen Ruhpolding
Gemütliche und friedliche Radlfahrt in blau-weißen T-Shits
Die Gedenk-Radlfahrt organisierte das Israelische Generalkonsulat in München zusammen mit dem ADFC. Das Sicherheitsaufkommen war hoch, Polizeibeamte sicherten die Strecke bis nach Fürstenfeldbruck.
Besonders beliebt bei den Radlerinnen und Radlern waren die blau-weißen-T-Shits, die am Startpunkt im Olympiapark kostenlos verteilt wurden. Auf jeden T-Shirt war jeweils ein Name eines Opfers des Attentats groß aufgedruckt - auf Deutsch und Hebräisch.
Die Fahrt war rund 25 Kilomater lang und wurde in Sachen Tempo und Strecke von Seiten der Organisatoren so gewählt, dass auch Familien mit Kindern und ältere Menschen gut teilnehmen konnten. Um kurz vor 13 Uhr kam die Radlgruppe dann geschlossen am Fliegerhorst an, zuvor hatten sie noch eine kurze Verschnaufpause eingelegt.
Radler legen in Fürstenfeldbruck Steine nieder
Mit von der Partie waren neben den Radfahrern auch Persönlichkeiten aus Sport, Politik und Kultur - wie Kabarettist Christian Springer, Münchens 2. Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne), FC-Bayern-Präsident Herbert Hainer, die israelische Generalkonsulin Carmela Shamir oder Familienministerin Ulrike Scharf (CSU).
Shamir zeigte sich besonders erfreut darüber, dass heuer auch so viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Israel gekommen sind. Viele Radlerinnen und Radler legten bei der Ankunft am Gedenkort in Fürstenfeldbruck, direkt vor dem Hauptgang zum Fliegerhorst, nach jüdischem Brauch Steine nieder.
Spaenle: "40 Jahre Verdrängen, Schweigen, Wegschieben."
Deutliche Worte fand während der Veranstaltung Ludwig Spaenle, Bayerns Antisemitismus-Beauftragter: "Ich habe vor 50 Jahren, als 11-Jähriger, die Maschinen aufsteigen hören. Was dann passiert ist, war ein Staatsversagen! Internationaler Terrorismus hat hier stattgefunden, aber leider haben die Sicherheitsbehörden versagt. Was danach stattgefunden hat, waren 40 Jahre Verdrängen, Schweigen, Wegschieben." Und weiter: "Dass wir gerade noch die Kurve gekriegt haben, das ist ein Gefühl, dass eine Wunde die Chance hat, sich zu schließen."
"Happy Birthday" auf Hebräisch und gemeinsame Pausen
Vielleicht hat ja diese Radlfahrt dazu beigetragen, die "Wunde", wie es Ludwig Spaenle in seiner Rede formulierte, ein bisschen zu schließen. Viele Israelis und Deutsche zeigten sich nach der Ankunft in Fürstenfeldbruck jedenfalls dankbar über die Möglichkeit, sich durch Veranstaltungen dieser Art besser kennenzulernen. "Es war einfach schön, so viele Sprachen zu hören", sagte beispielsweise eine Teilnehmerin aus Fürstenfeldbruck, Alexa Zierl. Besonders berührt habe sie, als eine Gruppe junger Frauen aus Israel in der gemeinsamen Pause plötzlich "Happy Birthday" auf Hebräisch anstimmte, als sie erfuhr, dass ein Teilnehmer der Radltour heute Geburtstag habe. Die Angestellte im Landratsamt will nächstes Mal auf jeden Fall wieder mit dabei sein und andere motivieren, sich auch anzumelden: "Das ist das erste Mal für mich, das war sehr eindrucksvoll. Auch diese riesige Menge. Natürlich ein wunderbares Wetter, aber auch, dass man viele verschiedene Sprachen hört und merkt, dass viele verschiedene Leute aus vielen Ecken kommen."
Ähnlich äußerte sich ein junger Radler aus Haifa/Israel, als er am Ziel lächelnd vom Radl stieg: "Die Tour war gar nicht mal so schwer, ich habe es sehr genossen."
Kein Unfall, keine Panne - alle Teilnehmer wohlbehalten am Ziel
Nach einer Erfrischungs-Pause in Fürstenfeldbruck mit einer kleinen Brotzeit und Getränken ging es für die meisten Radlerinnen und Radler dann in Kleingruppen wieder zurück nach München. Laut einem Sprecher des Roten Kreuzes wurde auf der Gedenk-Radlfahrt von München nach Fürstenfeldbruck keine Teilnehmerin und kein Teilnehmer verletzt, es gab keine Pannen und alle Radler seien wohlbehalten am Ziel angekommen.