Groß, drahtig, im Training stets Schwarz gekleidet – Johannes Jurkowski ist 18 Jahre alt und liebt Ballett. Das Balletttanzen nimmt einen großen Teil seiner Freizeit ein. Angefangen hat Johannes mit fünf Jahren im Eckentaler Tanzzentrum. Schon damals war er der einzige Junge unter vielen Mädchen. Gestört hat in das nie, im Gegenteil: "Es ist ganz praktisch, ich hatte schon immer meine eigene Umkleidekabine!"
- Zum Hintergrund: Zu Respekt: Mobbing – der alltägliche Hass
Mobbing in der sechsten Klasse
Die Verbindung aus Musik, Bewegung, Vollkommenheit und Unvollkommenheit, Geschichten und Emotionen tänzerisch zu vermitteln, das habe ihn schon von Anfang an fasziniert, sagt Johannes. Dass sich Mitschüler an seinem Hobby stören könnten, auf diese Idee wäre er nie gekommen. Warum auch. Dennoch eckt der Eckentaler Schüler als Heranwachsender an. Am schlimmsten, so Johannes, war es in der sechsten Klasse. Einige Mitschüler mobbten ihn massiv wegen seiner Leidenschaft fürs Tanzen.
"Ich wurde mit Sandsäcken beworfen, bespuckt, als schwule Sau beschimpft!" Johannes Jurkowski
Schulleitung greift ein
Es handelte sich um eine kleine Gruppe, darunter ein Rädelsführer, die Johannes zusetzt, ihn immer wieder beschimpft. Der damals schüchterne, zierliche Junge zieht sich mehr und mehr zurück, spricht mit niemandem über das belastende Mobbing. Im Tanzzentrum erleben ihn alle fröhlich, niemand stört sich daran, dass Johannes der tänzerische "Hahn im Korb" ist.
Erst nach einiger Zeit vertraut sich Johannes seinen Eltern an. Die wenden sich an die Schulleitung, die einschreitet. Das Mobbing hat ein Ende. Seine Mittänzerinnen wussten derweil nichts von den Anfeindungen. Für sie war Johannes immer Teil der Gruppe, das Geschlecht habe dabei keine Rolle gespielt. Man sei zusammen groß geworden, teile ein Hobby. Johannes habe immer zum Team gehört, so der Tenor in der Ballettgruppe.
Vorbehalte kein Einzelfall – immer wieder Druck auf Tänzer
Johannes sei kein Einzelfall, sagt die Leiterin des Tanzzentrums Eckental, Eva Grote. Noch immer kämpften balletttanzende Jungen oft gegen gewisse Vorbehalte. Die Eltern unterstützen zwar das Hobby ihrer Söhne, würden gleichzeitig aber nicht wollen, dass ihr Kind damit gehänselt werde oder sich dauernd erklären müsse. Es sei verständlich, dass sie dann die Konsequenzen ziehen.
"Wir hatte einige Jungs, die hier unter Tränen kündigten. Den Eltern war der Druck zu groß." Eva Grote, Tanzzentrum Eckental
Solche Fälle des Mobbings sind unter Jugendlichen generell kein Einzelfall, erklärt Marica Münch, Bildungsreferentin am Caritas-Pirckheimer-Haus in Nürnberg im Gespräch mit BR24. Laut der Expertin soll jeder sechste 15-Jährige von Mobbing betroffen sein, wie verschiedene Studien zeigen.
In den vergangenen Jahren habe sich das Mobbing verändert. Früher sei primär auf dem Schulweg und in der Schule gemobbt worden. Heutzutage sei der Leidensdruck viel größer. Seit es Social Media gibt und Jugendliche Smartphones besitzen, könnten Menschen 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche von Mobbing betroffen sein. Zudem würden sich Mobber im Internet auch Dinge trauen, die sie von Angesicht zu Angesicht nicht gewagt hätten.
Positiv sei, dass Schulen sich inzwischen der Problematik bewusster seien als früher. Im Rahmen des Projekts "Mobben stoppen" berät Münch an Schulen und Hochschulen zum Thema Mobbing und hilft so bei der Prävention.
Hobby zum Beruf gemacht
Das Ballett aufzugeben, daran hat Johannes nie eine Sekunde auch nur gedacht. Egal, wie oft er beleidigt wurde und werde. Er ist inzwischen sogar beruflich in eine ähnliche Richtung gegangen.
Johannes besucht in Sulzbach-Rosenberg eine Berufsfachschule für Musik, Schwerpunkt Musical. Hier kann er seine künstlerische Ader voll ausleben. Tanzen und Singen ist Teil seiner Ausbildung und der einzige Mann ist er hier definitiv nicht mehr.
Im Video: Johannes Jurkowski tanzt leidenschaftlich Ballett
Dieser Artikel ist erstmals am 23. Januar 2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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