In vielen Orten in Bayern fehlen Pflegeeltern, die Kinder und Jugendliche ein Zuhause geben.
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In vielen Orten in Bayern fehlen Pflegeeltern, die Kinder und Jugendliche ein Zuhause geben.

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Jugendämter suchen dringend Pflegeeltern - überall in Bayern

Pflegeeltern nehmen Kinder auf, die bei den leiblichen Familien nicht bleiben können. Doch in Ballungsräumen, aber auch in ländlichen Gegenden fehlen Pflegeeltern. In manchen Fällen ist die Suche besonders schwierig - es gibt aber auch Lichtblicke.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Franken am .

Schon im April hat das Jugendamt in Neustadt an der Aisch-Bad Windsheim Alarm geschlagen: Man suche dringend Pflegeeltern. Nun, fast ein halbes Jahr später, hat sich die Lage nicht entspannt: "Wenn wir in die Zukunft schauen, macht uns das schon Sorgen, ob wir genug Familien finden", sagt Sigrid Mosé, die sich seit 39 Jahren beim Jugendamt Neustadt an der Aisch um die Pflegekinder kümmert.

Besonders schwer, so erzählt sie, sei die Suche nach Familien für Kinder, die durch Alkohol in der Schwangerschaft geschädigt wurden. Und auch für ältere Kinder ein dauerhaftes Zuhause zu finden, sei kompliziert: "Eine 13-Jährige hat mal zu mir gesagt: 'Frau Mosé, ich möchte einfach nochmal erleben, wie das ist, Mama und Papa zu haben!'"

Von Passau bis Bamberg: Pflegefamilien fehlen

In vielen Jugendämtern in Bayern ist die Situation so wie im Landkreis Neustadt an der Aisch-Bad Windsheim: Auf Anfrage des BR bestätigt das Bayerische Landesjugendamt ein "Defizit an Pflegeeltern, vor allem in den Ballungsregionen". Die aktuellsten Zahlen sind aus dem Jahr 2021. Damals waren laut Bayerischem Landesamt für Statistik 7.587 Kinder in Pflegefamilien in Bayern untergebracht. Als Alternative hierzu kommen Kinder und Jugendliche oft in Heimen oder betreuten Wohngruppen unter.

Das Jugendamt im oberpfälzischen Neumarkt in der Oberpfalz erklärt: "Um unseren voraussichtlichen Bedarf zu decken, benötigen wir noch mindestens fünf bis sechs Bereitschafts– und Dauerpflegefamilien." Aktuell habe man aber für die kommenden Monate nur zwei Familien in Aussicht. Und auch das Stadtjugendamt Bamberg bestätigt, eine größere Anzahl an Pflegefamilien sei "wünschenswert". Auch in Niederbayern kennt man das Problem: "Wir stellen fest, dass der Bedarf an Pflegefamilien steigt und gleichzeitig die Bereitschaft, sich ehrenamtlich als Pflegefamilie zu engagieren, deutlich weniger wird", teilt das dortige Jugendamt mit.

Missstand hat Folgen für Jugendämter

Die Folge dieser Entwicklung bekommt man im Landratsamt Nürnberger Land bereits zu spüren: Dort nähmen aktive Pflegefamilien mehr Kinder auf als ursprünglich angedacht, um den Missstand auszugleichen. In Würzburg, so heißt es aus dem dortigen Landratsamt, würden sich als Folge der Entwicklung mittlerweile "Wohngruppen für Kleinkinder in Heimeinrichtungen" etablieren.

Junges Paar nahm Zwillinge zur Pflege zu sich

Gerade junge Familien interessierten sich mittlerweile seltener für eine Pflegschaft, erzählt Sigrid Mosé vom Neustädter Jugendamt. Doch natürlich gibt es auch Ausnahmen: Vor dem Landratsamt trifft sie Julia und Jonas, ein junges Paar aus der Region. Die beiden 29-Jährigen haben vor rund eineinhalb Jahren Zwillinge bei sich aufgenommen. Am Anfang sei das eine Herausforderung gewesen. "Nach zwei Wochen war es dann so, als wäre es nie anders gewesen. Als hätte man sich ein Leben ohne diese Kinder nicht mehr vorstellen können", sagt Julia. Ihr Mann fügt an: "Ich denke, es kommt auf die Motivation an, die man für so etwas hat. Und uns war klar: Wir wollen helfen, wo wir können!"

Das Paar ist für das Team im Jugendamt Neustadt an der Aisch ein echter Glücksfall. Pflegekinder im Kleinkindalter sind dennoch eher die Ausnahme als die Regel. Laut Statistischem Landesamt waren nur rund acht Prozent der Kinder, die 2021 in Pflegefamilien lebten, unter drei Jahre alt. Mit knapp 19 Prozent war der Großteil der Pflegekinder zwischen zwölf und 15 Jahre alt.

Paar nahm auch zwei Jugendliche auf

Aber auch diese Erfahrung haben Julia und Jonas schon gemacht: Bei ihnen hat zeitweise schon eine 14-Jährige gewohnt, auch eine 16-Jährige hat bei den beiden ein vorübergehendes Zuhause gefunden.

Die Zwillinge dürfen nun bleiben, bis sie 18 Jahre alt sind. Regelmäßig gibt es Treffen mit den leiblichen Eltern der Kinder. Diese Termine bedeuten Organisations- und Planungsaufwand, sie seien nicht zu unterschätzen, sagt das Jugendamt. Für Julia und Jonas gab es kurz nach der Aufnahme der Zwillinge noch eine ganz besondere Überraschung: Julia wurde schwanger. Heute haben die beiden neben den beiden Pflegekindern auch noch eine leibliche Tochter. "Wir machen da aber keine Unterschiede. Das sind unsere Kinder, Punkt!", sagt Jonas und lacht.

Schicksale von Vernachlässigung und Gewalt

Jedes Kind habe seinen "Rucksack", erzählt Sigrid Mosé: Schicksale von Vernachlässigung, sexueller Gewalt, Traumatisierungen oder das Zusammenleben mit suchtkranken oder psychisch kranken Eltern. Am besten, davon ist sie überzeugt, helfe diesen Kindern eine feste Bindung, eine echte Familie.

Immer wieder klopfen ehemalige Pflegekinder an ihre Bürotür und teilen ihre Geschichten, so Mosé. Manchmal denke sie dann: "Wow! Was aus diesem Kind geworden ist! Das ist einfach pure Freude, weil ich dann auch weiß, das ist dem Engagement der Pflegeeltern zu verdanken", sagt Sigrid Mosé. "Weil die auch dann geblieben sind, als es schwierig war, und ihre Kinder nie im Stich gelassen haben."

Im Video: Jugendämter suchen dringend Pflegefamilien

Jugendämter suchen dringend Pflegefamilien
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Jugendämter suchen dringend Pflegefamilien

Dieser Artikel ist erstmals am 25. September 2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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