Als 13-Jähriger ist Esam A. alleine nach Deutschland geflohen. Heute verdient er seinen Lebensunterhalt als ausgebildeter Kfz-Mechatroniker bei einem Autohaus in Dinkelsbühl. Nach nur wenigen Tagen Praktikum kam der Firmenchef damals auf den Jugendlichen zu und bot ihm eine Ausbildungsstelle an. Es habe vor allem im zwischenmenschlichen Bereich sofort alles gepasst. Es mache ihm einfach Spaß, mit den Kollegen im Team zu arbeiten, sagt Esam A. und:
"Der Betrieb ist wie eine Familie." Esam A., Kfz-Mechatroniker
Seine eigene Familie in Ägypten hat er aus Angst verlassen. Auch heute noch befürchtet der 25-Jährige von der ägyptischen Armee eingezogen zu werden. Sein Cousin sei beim Militär zu Tode gekommen, und einer seiner Brüder habe schlimme Misshandlungen dort erlebt, so Esam A.
Ehrenamtliches Engagement
Nach elf Jahren in Deutschland soll der Kfz-Mechatroniker nun abgeschoben werden und das, obwohl er hier offenbar angekommen und integriert ist. Das bestätigt auch seine Integrationspatin Claudia Schilling, aus dem Helferkreis Wilburgstetten im Landkreis Ansbach. Esam A. sei aktiv im Helferkreis, helfe beim Möbel schleppen, wenn es erforderlich ist und packt an, wo man ihn brauche, sagt Schilling.
Der 25-Jährige hat auch an einem Programm teilgenommen und eine Fortbildung zum Kultur- und Sprachmittler gemacht. Er unterstütze andere Geflüchtete, die noch Verständigungsprobleme haben und begleitet sie beispielsweise zu Arztbesuchen. Neben seiner Arbeit finde er auch immer wieder Zeit, ehrenamtlich in der Fahrradwerkstatt zu helfen, so Schilling weiter.
Chancenaufenthaltsgesetz als Perspektive
Das Problem: Von den Ausländerbehörden ist Esam A. nur geduldet. Sein Asylantrag wurde in letzter Instanz abgelehnt. Da er inzwischen aber eine Ausbildung und einen festen Arbeitsplatz hat, ermöglicht ihm das Chancenaufenthaltsgesetz des Bundes, dauerhaft hier zu bleiben – unter der Voraussetzung, seine Identität zu klären.
Das bayerische Innenministerium teilt in einer Stellungnahme mit: "Nach dem erfolgreichen Abschluss der Ausbildung hätte Herr A. zudem die Möglichkeit gehabt, seinen Aufenthalt vollständig zu legalisieren und eine Aufenthaltserlaubnis für die Bundesrepublik Deutschland zu erhalten. Hierzu wäre aber (...) die Vorlage eines Passes oder Passersatzes notwendig gewesen."
Reise nach Kairo
Um einen Pass zu bekommen, muss Esam A. in Ägyptens Hauptstadt Kairo reisen. Doch dort, so befürchtet er, würde man ihn nie wieder nach Deutschland ausreisen lassen. Deshalb hat Esam A. in den letzten Jahren viele Versuche unternommen, seinen Pass über die ägyptische Botschaft in Deutschland zu erhalten – bislang erfolglos. Die bayerischen Behörden bleiben hartnäckig. Dem 25-Jährigen droht nun die Abschiebung.
Fachkräfte dringend gesucht
Sein Arbeitgeber hat dafür kein Verständnis. Gerade im Nutzfahrzeuge-Bereich sei es schwer, Fachkräfte mit der nötigen Qualifikation zu finden, sagt Tobias Mader, Serviceleiter des Autohauses in Dinkelsbühl. Mit Esam A. sei ein junger Mann ausgebildet worden, den der Betrieb händeringend suche. Mader fordere von der Politik das umzusetzen, was sie in den Medien immer sage: Dass es verschlankte Prozesse gebe und dass man auch Fachkräfte integrieren müsse.
"Ich denke, Esam ist das lebende Beispiel dafür, dass es klappen kann und jetzt merkt man eben, dass man doch nur Hürden hat und einem die Hände gebunden sind und man nix mehr machen kann", so Mader. Die Ausländerbehörde in Ansbach räumt Esam A. eine letzte Chance zur Klärung seiner Identität ein. Hier will er all seine Bemühungen der letzten Jahre – einen Pass zu beschaffen – vorlegen.
"Mein Wunsch wäre, dass ich meinen Reisepass kriege, hier im Betrieb bleiben darf und ein ganz normales Leben führe." Esam A.
1.399 Abschiebungen aus Bayern
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat Anfang August Halbjahresbilanz gezogen, wie viele Menschen in ihr Heimatland abgeschoben wurden. Demnach fanden in den ersten sechs Monaten dieses Jahres 1.399 Abschiebungen in bayerischer Zuständigkeit statt, heißt es in einer Mitteilung. Die meisten Abschiebungen fanden in die Herkunftsländer Irak, Moldau, Türkei und Nigeria statt.
Auch die Zahlen im Bereich der freiwilligen Ausreisen seien erneut gestiegen: "Im Vergleich zum ersten Halbjahr 2023 von 5.739 auf 7.539 zum ersten Halbjahr 2024. Das entspräche einer Steigerung um rund 31 Prozent", erklärte der Minister. Insgesamt haben damit fast 9.000 ausreisepflichtige Ausländer im ersten Halbjahr 2024 Bayern wieder verlassen.
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