Eine Ordensschwester vor Gericht – weil sie Flüchtlingen Kirchenasyl gewährt – für den Jesuitenpater Dieter Müller von der Bundesarbeitsgemeinschaft "Asyl in der Kirche" ist das eine neue Eskalationsstufe. Bislang seien Ermittlungsverfahren gegen Kirchenleute immer wegen Geringfügigkeit eingestellt worden, so der Jesuitenpater: "Man muss also nicht weiter ermitteln und auch keine Strafen verhängen."
Dieter Müller zufolge gab es seit 2017 bayernweit mehrere 100 solcher Ermittlungsverfahren. Dass man jetzt juristisch einen Schritt weitergeht, wundert auch andere Kenner der Kirchenasylszene wie Rechtsanwalt Franz Bethäuser. Er vertrat die Oberzeller Franziskanerin Schwester Juliane Seelmann vor Gericht. Anfang Juni wurde sie zur Verwarnung mit einem Bußgeld in Höhe von 500 Euro mit Strafvorbehalt verurteilt, weil sie zwei Nigerianerinnen vor der Abschiebung und Zwangsprostitution bewahren wollte. "Es fällt halt auf, dass derzeit nur in Bayern Kirchenasylfälle vor Gericht verhandelt werden. In den anderen 15 Bundesländern gibt’s meines Wissens keine Fälle", so der Jurist.
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Bayerische Behörden strenger als anderswo?
Deutschlandweit weiß die Bundesarbeitsgemeinschaft "Asyl in der Kirche" von derzeit 323 aktiven Kirchenasylen. Jesuitenpater Müller geht davon aus, dass mehrere Dutzend davon in Bayern sind. Strafrechtlich verfolgt wird nach der Beobachtung von Rechtsanwalt Bethäuser momentan aber hauptsächlich in Nordbayern: "Das ist auffällig, dass sich das jetzt auf das Gebiet der Generalstaatsanwaltschaft Bamberg beschränkt hat." In Südbayern sei das derzeit nicht der Fall.
Kirchenjuristin bezweifelt Strafbarkeit von Kirchenasylgewährung
Diese regionalen Unterschiede fallen auch der Juristin Bettina Nickel auf, die für das Katholische Büro regelmäßig im Austausch mit Kirchengemeinden und Ordensgemeinschaften ist, die Kirchenasyl gewähren. Dabei gelte die Strafprozessordnung doch für ganz Deutschland. Allerdings sei noch nicht einmal geklärt, ob man sich strafbar mache, wenn man einen Flüchtling ins Kirchenasyl aufnehme, so Nickel. "Mal vorsichtig gesagt: drei Juristen, fünf Meinungen. Solange wir keine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung haben, ist es höchst umstritten, ob die Gewährung von Kirchenasyl einen Straftatbestand erfüllt oder nicht."
27 Verfahren in Bayern wegen Gewährung von Kirchenasyl
Die meisten Kirchenasyle fußen auf einer Vereinbarung zwischen Innenministerium und Kirchenleitung. Vom bayerischen Innenministerium heißt es, man respektiere das Kirchenasyl und übe entsprechende Zurückhaltung. Die Staatsanwaltschaften, die gegen Kirchenasyle gerichtlich vorgehen, sind an das Justizministerium angebunden. 27 solcher Verfahren wurden demnach im vergangenen Jahr eingeleitet. Agieren die beiden Ministerien hier unterschiedlich streng?
Rechtsanwalt Franz Bethäuser vermutet einen Zwist zwischen den Ministerien. Innenminister Joachim Herrmann habe schon vor einiger Zeit gesagt, man wolle in Kirchenasylfällen nicht vollstrecken, so Bethäuser. Das habe der Minister kürzlich in einem Zeitungsbericht bekräftigt. "Das zeigt schon, dass im Innenministerium eine etwas liberalere Haltung offensichtlich vertreten wird als im Justizministerium."
Justizministerium verweist auf Strafbarkeit von Kirchenasyl
Zu potentiellen Meinungsverschiedenheiten hält man sich in den Ministerien bedeckt. Das Justizministerium verweist auf ein Urteil des Oberlandesgerichts München von 2018 zur grundsätzlichen Strafbarkeit, Kirchenasyl zu gewähren. Diese entfalle nur, wenn sich die Kirchen an bestimmte Abmachungen hielten.
Ähnlich äußert sich der Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Bamberg, Oberstaatsanwalt Thomas Goger. Es sei "sicher nicht richtig", dass in Ober- und Unterfranken besonders hartnäckig gegen Kirchenasyle vorgegangen werde. Es gebe eine Verabredung der bayerischen Generalstaatsanwälte, die im Wesentlichen vorgebe, wann Kirchenasyl verfolgt werden müsse und wann nicht. "An diesen Rahmen halten sich selbstverständlich auch die Staatsanwaltschaften in Ober- und Unterfranken."
Kritiker vermuten hinter Strafverfahren eine "Drohgebärde"
Kenner der Szene wie Jesuitenpater Dieter Müller wundern sich dennoch über die regionalen Unterschiede in der Handhabung des Kirchenasyls und sehen im bayerischen Weg eine "Drohgebärde". Sie vermuten, durch Strafverfahren sollten Kirchengemeinden möglichst abgeschreckt werden, jemanden ins Kirchenasyl zu nehmen.
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