Veterinärmediziner Dr. Kai Braunmiller von der Landesarbeitsgemeinschaft Fleischhygiene und Tierschutz in Bayern (LAG) hält es "für ein Armutszeugnis, dass es der Überwachung nicht gelungen ist, den schweren Tierschutzverstoß an dem Schlachthof in Unterfranken zu entdecken".
Stark geschwächtes Tier in Schlachtung getrieben
Ein stark geschwächtes Tier, das nicht mehr in der Lage war, aus eigener Kraft den Hänger zu verlassen, wurde unter Einsatz von etwa 100 Stromstößen in die Schlachtung getrieben, das zeigen Videoaufnahmen. "Das Tier hätte noch auf dem Transportfahrzeug von seinen Leiden unmittelbar erlöst werden müssen", sagt Braunmiller.
Neben dem Versagen der Kontrolle durch den Schlachtbetrieb und den amtlichen Tierarzt hätten hier auch Transporteur und Landwirt rechtswidrig gehandelt. Denn Rinder, die aus eigener Kraft nicht mehr aufstehen können, dürfen laut Transportverordnung nicht transportiert werden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt derzeit.
Wie kommt es zu kranken, nicht mehr transportfähigen Rindern?
Eine häufige Ursache für kranke, nicht mehr transportfähige Tiere hat ihren Ursprung in den Ställen: Lahmheiten, also krankhafte Veränderungen an den Klauen der Rinder, die so weit fortgeschritten sind, dass es keine Aussicht mehr auf Heilung gibt. "Solche chronischen Zustände gibt es leider viel zu oft", sagt Veterinär Kai Braunmiller. "Nicht generell, sondern bei einigen Betrieben gar nicht, auf manchen Betrieben alarmierend häufig."
Ein Rinderhalter sei dazu verpflichtet, seine Tiere täglich zu kontrollieren. Dabei müssten lahme Kühe frühzeitig erkannt werden. Um ihnen weitere Schmerzen zu ersparen und sie stattdessen möglichst lange als Milchkuh im Stall zu behalten, ist die Klauenpflege sehr wichtig: Auffällige Tiere in einen Klauenstand bringen und die Klauen fachmännisch ausschneiden. "Bei einem guten Management funktioniert das sehr gut, das heißt, es gibt dann so gut wie keine Lahmheiten", erklärt Braunmiller.
Doch offensichtlich werden lahme Kühe nicht auf allen Betrieben rechtzeitig entdeckt und die Klauenpflege nicht überall entsprechend durchgeführt. Das ergab auch eine großangelegte Studie der Tierärztlichen Fakultät München und der Tierärztlichen Hochschule Hannover.
- Zum Video: So funktioniert die Klauenpflege bei Rindern
Was passiert, wenn ein Rind als nicht mehr transportfähig eingestuft wird?
Liegt ein Tier fest und kann im Stall aus eigener Kraft nicht mehr aufstehen, muss der Tierarzt hinzugerufen werden. Besteht keine Aussicht auf Heilung, wird das Tier auf dem Hof von seinen Leiden erlöst. Das kann der Landwirt oder der Tierarzt tun. Zunächst muss das Rind ordnungsgemäß betäubt werden. Dazu wird ein Bolzenschussgerät an der Stirn des Rindes angesetzt und durch den Schuss das Gehirn irreversibel geschädigt. Dadurch wird es empfindungslos gemacht, danach kommt es durch Entbluten zum Tod.
Bei frischen Verletzungen kann das Tier zum Beispiel als Hausschlachtung vor Ort notgetötet, verarbeitet und das Fleisch nach der Fleischuntersuchung selbst verzehrt werden. Oder es könnte in Absprache an einen Verarbeitungsbetrieb transportiert werden, wo nach der Fleischuntersuchung die Zerlegung und Vermarktung stattfindet. Dass es im Anschluss noch weiterverkauft werden kann, hält Kai Braunmiller "mittlerweile für höchst unwahrscheinlich".
Ist der krankhafte Zustand des Tieres schon länger andauernd, so ist der menschliche Verzehr ausgeschlossen. Dann wird es getötet, in die Tierkörperbeseitigungsanlage gebracht und dort zu Tiermehl verarbeitet.
Werden kranke Tiere mitunter an Schlachthöfe geliefert?
Veterinär Kai Braunmiller stuft den Vorfall im Landkreis Miltenberg, wo kranke Tiere geschlachtet worden sein sollen, nicht als Einzelfall ein. Er vermutet ein System dahinter und eine Dunkelziffer. Für den einen oder anderen Landwirt könnte aus finanziellen Gründen ein Interesse bestehen, ein krankes Tier doch noch an den Schlachthof transportiert zu bekommen. "Offensichtlich ist in der Szene bekannt, welcher Transporteur, aber auch welche Schlachtstätte da großzügiger verfährt."
Eine Schlachtkuh bringt derzeit einen Erlös von etwa 1.400 Euro. "Ein krankes Tier bringt nie Erlös, es kostet. Daher ist Gesunderhaltung oberstes Ziel", so der Sprecher des Bayerischen Bauernverbands, Markus Drexler. Auf Anfrage des BR, ob und wie oft ein nicht mehr transportfähiges Tier an einen Schlachthof in Bayern geliefert wurde, antwortet das bayerische Umweltministerium, dass Daten dazu nicht zentral erfasst würden.
Nicht immer aber scheint es eindeutig zu sein, ob ein Tier transportfähig ist oder nicht. "In unklaren Fällen kann das mit dem Hoftierarzt geklärt werden, aber generell sind die Tierhalter in der Lage, die Transportfähigkeit zu beurteilen", sagt Markus Drexler vom BBV. Dem Bauernverband sind keine Zahlen von Zuwiderhandlungen bekannt. "Wir hoffen sehr, dass es sich um einen Einzelfall, eine absolute Ausnahme handelt", so BBV-Sprecher Drexler gegenüber BR24.
Wie kann verhindert werden, dass nicht mehr transportfähige Rinder im Schlachthof landen?
Kai Braunmiller schlägt ein mehrstufiges Tierschutz-Monitoring vor, um zu verhindern, dass nicht mehr transportfähige Tiere zum Schlachthof gebracht werden. Dazu würden in den Schlachthöfen abweichende Schlachtbefunde systematisch erfasst und an den Landwirt rückgemeldet, wenn der Zustand seiner Tiere über drei Monate deutlich schlechter ist als der von anderen Landwirten, die ihre Tiere anliefern. Er wäre dann verpflichtet, in dem auffälligen Befund die Tiergesundheit zu verbessern.
In das Monitoring mit einbezogen werden müsste aber auch die Tierkörperbeseitigung. "Das war bislang das schwarze Loch, wo Tiere gelandet sind, die nicht ordentlich gehalten und vernachlässigt wurden, und dort verschwanden, ohne dass das Konsequenzen hatte." Gäbe es auch hier ein bayernweites Monitoring, müssten Tiere, die tierschutzwidrige Symptome aufweisen, gemeldet werden.
Bis jetzt gibt es nur eine Anzeigepflicht für Tierseuchen. Aber Hofbesucher sind nicht verpflichtet, Auffälligkeiten beim Tierschutz zu melden. "Das ist unverständlich. Das fordern wir von der LAG schon seit Jahren", so Kai Braunmiller. "Es gibt sehr viele Landwirte, die vorbildlich mit ihren Tieren umgehen, aber es gibt auch einige schwarze Schafe. Die Einstellung der ganzen Szene, da wegzuschauen und nichts zu unternehmen, das ist mir unbegreiflich und muss dringend geändert werden."
Mehr Kooperation durch Landwirtschaftsministerium und Bauernverband
Braunmiller wünscht sich auch mehr aktive Zusammenarbeit mit dem bayerischen Landwirtschaftsministerium und den Verbänden. Denn am Ende treffe der Schaden, wenn ein Schlachthof aufgrund eines Tierschutzskandals dauerhaft geschlossen werden müsse, die gesamte Kette vom Tierhalter über Schlachthofmitarbeiter bis zum Ansehen des Produkts "Fleisch".
Für Landwirte, die mit ihrer Arbeit überfordert seien, müssten frühzeitiger Hilfsangebote greifen, so Braunmiller weiter. Und auch am Schlachthof müsste etwas passieren. Verpflichtende Videoüberwachung, in allen relevanten Bereichen, fordert der Tiermediziner. Egal ob Großschlachthof oder kleiner Metzgereibetrieb. Alles Maßnahmen, die Veterinäre schon seit vielen Jahren vorschlagen. Nur am Willen, sie auch umzusetzen, fehle es bislang. Zumindest im Koalitionsvertrag der Ampel ist von "standardisierten kameragestützten Überwachungssystemen in besonders tierschutzrelevanten Bereichen in Schlachthöfen ab einer relevanten Größe" die Rede.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.