Es geht um einen der wichtigsten Posten in der Gedenkstätte Dachau: Die Leitung der pädagogischen Abteilung mit mehr als 60 Beschäftigten. Seit Monaten ist die Stelle vakant. Zwar gab es im Herbst ein ordentliches Auschreibungsverfahren, doch das wurde durch die Stiftung Bayerische Gedenkstätten gestoppt. Wegen Corona, wie es heißt, und weil die Bewerber nicht überzeugten. Vor wenigen Wochen setzte der Direktor der Stiftung, der CSU-Politiker und Landtagsvizepräsident Karl Freller, dann per Verfügung seine bisherige Büroleitern Erika Tesar als neue Bildungschefin ein – ohne Gedenkstättenleitung und Personalrat in seine Entscheidung einzubeziehen. Und gegen deren Willen.
Dachau steht weltweit für den Terror der Nazis
Seither schlagen die Wellen hoch. Der Personalrat hat ein Protestschreiben initiiert und angekündigt, Rechtsmittel gegen Frellers Entscheidung einzulegen. Das Kultusministerium wurde eingeschaltet. Die Landtagsopposition intervenierte. Und inzwischen melden sich mehr und mehr Dachau-Überlebende, deren Nachfahren und Opfer-Organisationen zu Wort. Einig sind sich die Beteiligten in einem Punkt: Das Ansehen der KZ-Gedenkstätte Dachau, die wie kaum ein anderer Ort für das Terrorregime der Nationalsozialisten steht und bis zur Pandemie jährlich von rund einer Million Besuchern aus aller Welt besichtigt wurde, ist schwer beschädigt worden. Ansonsten gehen die Meinungen teils weit auseinander.
Eingesetzte Leiterin weder Historikerin noch Pädagogin
Klar ist: Die von Karl Freller eingesetzte neue Leiterin ist weder Historikerin noch Pädagogin, wie es für die Leitung der Bildungsabteilung eigentlich Voraussetzung wäre. Freller argumentiert nun vor allem mit dem familiären Hintergrund seiner Büroleiterin. Mehrere Vorfahren seien in deutschen Konzentrationslagern ermordet worden, einer davon im Dachauer Außenlagerkomplex Kaufering. Zudem habe die promovierte Politikwissenschaftlerin jahrelange Expertise in der Erinnerungsarbeit.
Unterstützung vom KZ-Überlebenden Abba Naor
Unterstützung erhält Freller von dem Kaufering-Überlebenden Abba Naor, Vizepräsident des Internationalen Dachau Komitees. Auch er argumentiert damit, dass Tesar aus einer Opferfamilie stamme und fordert, dass die Nachkommen der Dachau-Überlebenden in die Gedenkstättenarbeit eingebunden werden müssten. Zur Qualifikation gehörten neben dem historischen Wissen auch Empathie und Haltung, so Naor in einer schriftlichen Erklärung, die von der Gedenkstättenstiftung verbreitet wurde. Darin schreibt er: "Es empört mich, wie in dem Streit um diese Stellenbesetzung die jüdische Perspektive auf die NS-Verbrechen ausgerechnet in Dachau mit leichter Hand vom Tisch gefegt wird."
Für was steht Dachau?
Naors Stellungnahme verweist auf eine grundsätzliche Auseinandersetzung, die in den vergangenen Jahren immer wieder aufflammte. Dabei geht es um die inhaltliche Ausrichtung der Gedenkstätte und insbesondere die Frage: Für was steht Dachau? Denn das KZ Dachau war zwar auch Tatort des Holocaust: So wurden hier nach der Reichspogromnacht tausende Juden inhaftiert und in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs mussten in den Außenlagerkomplexen Mühldorf und Kaufering zehntausende Jüdinnen und Juden Zwangsarbeit leisten, wobei unzählige ermordet wurden. Doch die Nazis richteten Dachau vor allem dafür ein, politische Gegner wie Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschafter auszuschalten. Deren Vermächtnis ist jedoch zuletzt mehr und mehr in den Hintergrund gerückt und wird immer mehr überlagert durch die Erinnerung an den Holocaust.
Ausgebremst und unterfinanziert
Gedenkstättenleiterin Gabriele Hammermann will im Zuge einer geplanten Erweiterung und Neukonzeption der Gedenkstätte die Verfolgung politischer Gegner wieder stärker betonen. Doch Hammermann, so scheint es, wird ausgebremst. Die Gedenkstätte ist seit Jahren unterfinanziert, so dass manche Gebäudeteile mehr und mehr verkommen. Im Corona-Jahr 2020 klaffte ein Loch von einer halben Million Euro im laufenden Haushalt, so dass Pflege- und Instandhaltungsmaßnahmen verschoben werden mussten. Und nun ist Hammermann von Stiftungsdirektor Freller mit seiner eigenmächtigen Postenvergabe auch noch regelrecht vorgeführt worden.
"Frellers Entscheidung rückgängig machen"
Während Freller dafür zwar Unterstützung vom Überlebenden Abba Naor erhält, kommen von Opferseite auch ganz andere Stellungnahmen. Frellers Personalentscheidung müsse rückgängig gemacht werden, fordert etwa die Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes (VVN), zu deren Gründern zahlreiche politisch verfolgte Dachau-Häftlinge zählten. Stellenbesetzungen in der KZ-Gedenkstätte sollten ausschließlich nach den Kriterien der Ausschreibung erfolgen, heißt es in einer Pressemitteilung der VVN. Notfalls müsse die Leitung der Bildungsabteilung eben neu ausgeschrieben werden.
Offener Brief an Piazolo
Gleiches fordert auch Andrea Halbritter, eine Vertreterin der Enkelgeneration der Dachau-Häftlinge. Ihr Großvater, ein Augsburger Kommunist, war jahrelang in Dachau inhaftiert, der erste Mann ihrer Großmutter, der KPD-Politiker Leonhard Hausmann, wurde im Frühjahr 1933 in Dachau ermordet. Andrea Halbritter hat sich per offenem Brief an Kultusminister Michael Piazolo (FW) gewandt und fordert darin nicht nur eine Rücknahme der umstrittenen Personalentscheidung, sondern auch eine Reform der Gedenkstättenstiftung. Im Gegensatz zu Bayern, wo mit Karl Freller ein Politiker als Stiftungsdirektor fungiert, würden vergleichbare Stiftungen in anderen Bundesländern von Historikern geleitet. "Dies würde ich mir als Nachfahrin von Verfolgten des NS-Regimes auch für die Bayerische Gedenkstättenstiftung wünschen."
Protestbrief der Belegschaft an den Minister
Inzwischen ist zumindest nicht mehr ausgeschlossen, dass durch den aktuellen Streit nicht nur das Ansehen der Gedenkstätte Dachau Schaden nimmt, sondern auch die Gedenkstättenstiftung und ihr Direktor. Das Vertrauen der Belegschaft der Gedenkstätte zur Stiftung jedenfalls ist tief erschüttert. Das Vorgehen von Freller stehe "im eindeutigen Widerspruch zu unseren demokratischen Werten", heißt es in einer Pressemitteilung des Personalrats. Zwei Drittel der Mitarbeitenden haben einen Protestbrief an Kultusminister Piazolo unterzeichnet und sich darin für ein neues Besetzungsverfahren ausgesprochen. Nur durch eine Neuausschreibung könne das beschädigte Vertrauen in die Stiftungsleitung wieder hergestellt werden.
Kultusministerium am Zug
Stiftungsdirektor Freller will das inzwischen zumindest nicht mehr komplett ausschließen und erklärt, nun müsse "in Frieden" diskutiert werden, weil sonst der Ruf Dachaus beschädigt werde. Am Zug ist jetzt erst einmal das Kultusministerium. Dort wird aktuell geprüft, ob die Gedenkstättenstiftung mit ihrem Vorgehen Mitbestimmungsrechte des Personalrats und der Gedenkenstättenleitung verletzt hat – und auch die des Stiftungsrats. Denn der muss laut Gesetz eigentlich in die Vergabe von wichtigen Posten einbezogen werden. Vorsitzender des Stiftungsrates ist Kultusminister Michael Piazolo.
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