Dass im Wahlkampf auch gezielt junge Leute und Erstwähler über die Social-Media-Kanäle angesprochen werden sollen, ist eigentlich nichts Neues. Seit der letzten Bundestagswahl im September 2017 hat sich aber etwas verändert: Junge Menschen unter 25 sind jetzt vor allem auf TikTok unterwegs – die Video-App aus China zählt neben Instagram und Youtube gerade zu den drei Platzhirschen unter den Social Media-Plattformen.
Kein Wunder also, dass sich auch immer mehr Politiker und Parteien dort aufhalten. Immerhin gibt es nach Schätzungen des Statistischen Bundesamtes rund 2,8 Millionen Erstwählerinnen und Erstwähler zur Bundestagswahl – und die sollen erreicht werden.
Aber kommt ihr Content bei dieser Zielgruppe auf TikTok überhaupt an? Und welche Strategien verfolgen einzelne Parteien und Politiker in der App?
Warum Landtagsreden auf TikTok nicht zünden
Martin Fuchs berät Parteien und Politiker in digitaler Kommunikation und ist Dozent für Social Media und Politik. Er sagt: Ob die politischen Inhalte auf TikTok ankommen, hängt ganz davon ab, wie sie präsentiert werden.
"Wenn ich eine Partei wäre, würde ich nicht als Partei auftreten. Gerade Institutionen funktionieren auf TikTok ganz schlecht. Die Plattform lebt von der Persönlichkeit der Creator, die dort aktiv sind." Martin Fuchs, Dozent und Berater für Politik und Social Media
Die Freien Wähler in Bayern sind beispielsweise schon seit März 2020 auf TikTok aktiv. Sie waren sogar die erste Partei in Deutschland, die dort einen offiziellen Account hatte. Trotzdem haben sie bislang vergleichsweise wenige Follower, knapp 1.100 Menschen sind es aktuell. Ihr letzter Post: Eine Rede ihres Vorsitzenden Hubert Aiwanger – hochgeladen im Querformat.
Kein Erfolgsrezept, analysiert Martin Fuchs: "Was überhaupt nicht funktioniert auf TikTok, ist Zweit- und Drittverwertung von Material, das man für andere Kommunikationswege oder andere Social-Networks produziert hat."
Virale Hits auch ohne große Community möglich
Auch die CSU betreibt seit Frühjahr 2021 einen offiziellen TikTok-Account und verzeichnet knapp 56.000 Follower. Rund 7.800 Menschen folgen der AfD.
Im Gegensatz zu anderen Plattformen ist die Anzahl der Follower auf TikTok jedoch nicht so relevant. Der Algorithmus funktioniert so, dass auch ohne große Community virale Hits und große Reichweiten möglich sind.
CDU, FPD und Grüne haben keinen offiziellen Auftritt ihrer Partei auf TikTok und setzen weiterhin vor allem auf Instagram, um junge Menschen zu erreichen. Die Grünen haben dort mit knapp 175.000 Abonnentinnen und Abonnenten den größten Kanal von allen Parteien. (Zum Vergleich: Die FDP hat rund 107.000 Abonnenten auf Instagram, Linke: 104.000, AfD: 102.000, CDU: 95.000 und die CSU: 50.000.)
Zwei FDP-Politiker aus Bayern werden zu TikTok-Influencern
Im Gegensatz zu den älteren Plattformen Facebook und Instagram gibt es auf TikTok noch nicht so viele Politiker, die dort einen privaten Account führen. Doch ausgerechnet zwei – etwas ältere – FDP-Politiker aus Bayern starten auf TikTok so richtig durch: Thomas Sattelberger (72 Jahre) und Wolfgang Heubisch (75 Jahre) erreichen mit ihren Videos Millionen.
Letzte Woche hat der 61-jährige CDU-Abgeordnete Uwe Dorendorf sogar eine Reichweite von 1,9 Millionen erzielt, mit nur einem Video.
- Zum Artikel: Wolfang Heubisch mischt TikTok auf
Martin Fuchs erklärt, was die drei Politiker anders machen und warum gerade sie es schaffen, junge Menschen mit ihren Videos anzusprechen: "Die haben das schon sehr gut verstanden. Die haben verstanden, wie die Logik ist, wie die Kultur bei TikTok ist."
Und das bedeute eben auch, dass Politiker auf TikTok nicht ganz so ernst und seriös rüberkommen sollten. Und genau das spreche viele junge Menschen an: "Das Spannende ist auch, dass es sich dabei um alte bis ganz alte weiße Männer handelt. Weil die auch verstanden haben, die Logiken dieser Plattform zu bespielen und dann auch authentisch sind. Sie wissen, wie man Menschen in ein Video reinzieht und sie nehmen sich selbst auch nicht so ernst. Das ist ganz ganz entscheidend auch bei Sattelberger und Heubisch – dass sie halt für jeden Spaß zu haben sind."
Auf TikTok funktionieren vor allem Persönlichkeiten, nicht Parteien
Auch die CSU versucht, ihrem Account auf TikTok ein Gesicht zu geben. Neben Videos mit Markus Söder sind immer wieder junge Frauen zu sehen. "Was die CSU in Bayern macht, ist schon ganz smart, dass man versucht, diesen Account maximal zu personalisieren", sagt Martin Fuchs.
Dennoch ist laut Fuchs da immer noch das Problem, dass keiner weiß, wer da genau dahinter steht. "Man sieht zwar diese junge Person, die für die CSU spricht. Aber man weiß eben nicht, ob ihr das jemand aufgeschrieben hat und ob es ihre eigene Meinung ist."
"Am Ende des Tages wird ein Partei-Account immer schlechter performen als ein Personenaccount auf Tiktok." Martin Fuchs, Dozent und Berater für Politik und Social Media
Wie politisch ist TikTok?
TikTok versteht sich selbst als "Joy and Fun"-Plattform, deshalb ist klassische Wahlwerbung, also bezahlte Werbeposts, die dann zielgruppenorientiert an bestimmte Nutzerinnen und Nutzer ausgespielt werden, verboten. Dennoch ist TikTok auch eine politische Plattform, beobachtet Fuchs.
"Ich bin fest davon überzeugt, dass Tiktok – auch wenn sie selber davon sprechen, dass sie keine politische Plattform sein wollen, eine extrem politische Plattform geworden sind." Viele der großen gesamtgesellschaftlichen Bewegungen – also die Klimabewegung, "Black Lives Matter" oder Feminismus – fänden auch auf TikTok sehr breit statt, so Martin Fuchs.
"TikTok ist sehr politisch und junge Leute wollen auch Politik auf TikTok haben. Gerade große globale Gerechtigkeitsthemen finden da sehr guten Anklang. Große emotionalisierbare politische Themen funktionieren dort extrem gut." Martin Fuchs, Dozent und Berater für Politik und Social Media
Politische Meinungen hinter scheinbar neutralen Accounts
Obwohl bezahlte Wahlwerbung auf TikTok verboten ist, gibt es Accounts, die bestimmte politische Meinungen vertreten. Und gerade bei diesen verdeckten Accounts ist es schwierig, so der Social-Media-Experte, herauszufinden, wer dahintersteckt. "Es gibt kein Impressum, es gibt keine Möglichkeit herauszufinden, wer das Geld gegeben hat.". Damit werde Tür und Tor geöffnet, dass politische Inhalte gekauft auf TikTok auftreten.
Laut Fuchs gibt es dafür ein sehr prominentes Beispiel, wo die Öffentlichkeit noch immer nicht genau weiß, wer dahintersteht: der Account "btw21". Er ist zwar noch immer sichtbar auf TikTok, seit Oktober 2020 werden dort aber keine neuen Videos mehr hochgeladen.
Das Besondere daran: Die Aufmachung irritiert auf den ersten Blick. Es sieht so aus, als gäbe es dort objektive Informationen zur Bundestagswahl 2021 – tatsächlich wurden dort aber ausschließlich Videos der AfD oder solche, die damit in Verbindung stehen, veröffentlicht.
"Man weiß nicht, wer da dahintersteckt. Ich vermute mal, Menschen, die der AfD nahe stehen, aber nicht die Partei selber. Und das ist laut der Community-Regeln von TikTok auch erlaubt", erklärt Fuchs. Der Social-Media-Experte geht davon aus, dass es eine ganze Reihe von nicht gekennzeichneten Accounts oder Inhalten gibt, die auf diese Art und Weise politische Parteiwerbung betreiben.
Künstliche Intelligenz schlägt Videos vor
User sehen auf TikTok nicht nur die Inhalte der Seite, die sie abonniert haben. Auf der sogenannten "For-You-Page" werden durch einen ausgefeilten Algorithmus Nutzern die Videos angezeigt, die sie sehen wollen – oder sollen.
David ist 16 Jahre alt und hat keine politischen Accounts auf TikTok abonniert. Trotzdem werden dem Schüler aus München immer wieder auch Videos mit politischen Botschaften auf seiner For-You-Page empfohlen. Das kann mal ein Video mit Söder sein, so der Schüler, oder aber auch mal Inhalte der AfD.
"Was mir angezeigt wird, sind eigentlich immer so Gründe, irgendeine Partei nicht zu wählen. Vor allem Gründe, nicht die Grünen zu wählen. Oder ein Video mit Alice Weidel, das war jetzt auch letztens Mal auf der For-You-Page." David aus München, 16 Jahre
Immer wieder Vorwürfe der Zensur
Seit sich die Plattform in Europa verbreitet hat, gibt es auch immer wieder Vorwürfe der Zensur. Beispielsweise sind in der Vergangenheit in einigen Ländern bestimmte Hashtags, zum Beispiel aus der LGBTQ-Bewegung, nicht mehr in der Suche aufgetaucht.
Entsprechende Inhalte wurden mit einem sogenannten "Shadowban" versehen, das heißt, sie waren weiterhin auf der Plattform, konnten aber nicht mehr gezielt gesucht werden.
Ob Inhalte zur Bundestagswahl auf diese Weise "unsichtbar" werden und dadurch ihre Reichweite eingeschränkt wird, lässt sich nicht eindeutig sagen, so die Einschätzung von Martin Fuchs.
Fakt ist jedoch, so Fuchs, dass in der Vergangenheit immer wieder auch politische Themen der Moderation auf der Plattform zum Opfer gefallen sind, zum Beispiel über den Umgang mit Uiguren in China oder zuletzt beim Thema "Black Lives Matter".
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