Oberbürgermeister Dieter Reiter hat den Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker, Valery Gergiev, aufgefordert, sich von der russischen Invasion der Ukraine zu distanzieren. Ansonsten drohe dem Chefdirigenten die Kündigung, so der Münchner Oberbürgermeister. Reiter wörtlich: "Ich habe gegenüber Valery Gergiev meine Haltung klargemacht und ihn aufgefordert, sich ebenfalls eindeutig und unmissverständlich von dem brutalen Angriffskrieg zu distanzieren, den Putin gegen die Ukraine und nun insbesondere auch gegen unsere Partnerstadt Kiew führt. Sollte sich Valery Gergiev hier bis Montag nicht klar positioniert haben, kann er nicht länger Chefdirigent unserer Philharmoniker bleiben." Gergiev ist wegen seiner Nähe zu Putin seit Jahren umstritten.
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Das Schreiben des OB an Gergiev im Wortlaut:
Wir dokumentieren hier das Schreiben Dieter Reiters an Valery Gergiev im Wortlaut:
"Die aktuelle Situation in der Ukraine beunruhigt mich zutiefst, die Ereignisse seit heute schockieren mich. Kiew ist Partnerstadt Münchens und ich habe mich öffentlich deutlich dazu positioniert:
'Mit großer Bestürzung mussten wir alle zur Kenntnis nehmen, dass Russland jetzt einen offenen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt. Ich bin fassungslos über diesen barbarischen Akt des russischen Machthabers Putin, der seine nationalistischen Ziele mit aller Brutalität und ohne Rücksicht auf Menschenleben verfolgt. Diese schreckliche, völkerrechtswidrige Aggression muss schnellstmöglich gestoppt werden. Unsere Sorge gilt dabei ganz besonders unserer Partnerstadt Kiew, die, wie viele andere Orte in der Ukraine, bereits gezielt beschossen wurde. Selbstverständlich werden wir zivile und humanitäre Unterstützung zur Verfügung stellen, um das Leid der Menschen vor Ort bestmöglich zu lindern.'
Gemeinsam mit den Orchestervertretern der Münchner Philharmoniker erwarte ich von Ihnen als Chefdirigent des Orchesters jetzt ein deutliches Zeichen der Distanzierung von den völkerrechtswidrigen Angriffen gegen die Ukraine, und damit ein klares Signal an die Stadtspitze, die Öffentlichkeit, die Musikerinnen und Musiker der Münchner Philharmoniker und ihr Publikum bis Montag, 28. Februar. Anderenfalls werden wir das Vertragsverhältnis als Chefdirigent beenden müssen.“
Freundschaft zu Putin bereits früher Auslöser für Konflikte
Gergiev stand bereits in der Vergangenheit immer wieder wegen seiner Nähe zu Russlands Staatschef Wladimir Putin in der Kritik. So kam es bereits vor seinem offiziellen Antritt als Leiter der Philharmoniker 2013 zu Widerstand und offenen Demonstrationen. Damals ging es um das von Putin verhängte Gesetz zur Unterdrückung von Homosexuellen. Auch als im März 2014 bekannt wurde, dass Gergiev in einem offenen Brief zusammen mit weiteren russischen Kulturschaffenden die Annexion der Krim unterstützt hatte, gab es Proteste.
Der 68 Jahre alte Gergiev ist seit 2015 Chefdirigent der Münchner Philharmoniker, eines städtischen Orchesters. Der Musiker aus dem Kaukasus gilt als einer der bekanntesten Dirigenten der Welt. Neben der Leitung des russischen Prestigetheaters Mariinsky, die er seit Jahrzehnten innehat, dirigiert er immer wieder einige der größten und bekanntesten Orchester auf dem Globus.
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Auch andere Orchester ziehen Konsequenzen
Nun aber dürfte er es im Westen ohne eine Distanzierung von seinem mächtigen Freund in Moskau schwer haben. Der Putin-freundliche Stardirigent wird beispielsweise auch nicht wie geplant mit den Wiener Philharmonikern in der New Yorker Carnegie Hall auftreten - "aufgrund jüngster Ereignisse in der Welt". Zudem hieß es nach Medienberichten, dass auch die Mailänder Scala Gergiev ein ähnliches Ultimatum wie Reiter in München stellte. In den sozialen Netzwerken werden diese Meldungen überwiegend positiv aufgefasst.
Festspielhaus Baden-Baden erwartet klare Stellungnahme von Gergiev
Auch das Festspielhaus Baden-Baden erwartet jetzt eine klare Stellungnahme gegen die russische Invasion in der Ukraine. Intendant Benedikt Stampa äußerte sich schockiert über den Kriegsausbruch. Gergiev sei einer der zentralen kulturpolitischen Akteure Russlands. Man werde ihm natürlich Gelegenheit geben, sich zu äußern, so Stampa. Die zwei Konzerte Ende Juli und ein neues Festival "Russischer Winter" im Dezember mit Gergijew bleiben zunächst auf dem Programm.
Der Intendant des mit 2500 Plätzen größten deutschen Opernhauses betonte die Bedeutung der russischen Kultur. "Es ist uns wichtig, dorthin weiter Brücken zu bauen." Bedacht werden müsse bei allem Entsetzen, dass in Russland kaum noch eine freie Meinungsäußerung möglich sei und sich Kritiker in Lebensgefahr brächten. "Dennoch werden wir die rote Linie, die derzeit um Waleri Gergijew als politische Person gezogen wird, mit tragen und solidarisch mit allen Demokratinnen und Demokraten im Sinne einer klaren Haltung agieren."
Ziel war ursprünglich Verbesserung des deutsch-russischen Verhältnisses
Dabei hatte Gergiev in der Vergangenheit versucht, die Öffentlichkeit von seiner pazifistischen Haltung zu überzeugen. Kurz vor seinem Einstandskonzert in der bayerischen Landeshauptstadt 2015 sagte Gergijew der "Süddeutschen Zeitung", er wolle sich für eine Verbesserung der deutsch-russischen Beziehungen einsetzen. "Wir müssen alles tun, was es braucht, um einen weiteren großen tragischen Konflikt zu vermeiden", sagte er damals. "Groß meint: bis hin zu einem Dritten Weltkrieg, von dem ich hoffe, dass er nie, nie geschieht."
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