"Es ist fünf nach zwölf", sagt Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie an der München Klinik Schwabing. Er betonte am Donnerstag in München, "dass die Notfallversorgung, wohlgemerkt in München, aber auch in Bayern, quasi an ihre Grenze kommt".
In wenigen Wochen könnte Triage nötig werden
Auch Axel Fischer, Geschäftsführer der München Klinik, sprach von einer "Notlage" der Kliniken wegen der kritischen Corona-Situation. Man sei derzeit Herr des Pandemiegeschehens, sagte Fischer in München - aber nur "weil schon 50 Prozent unserer planbaren Operationen und Eingriffe heruntergefahren sind". Der Punkt einer Triage, also das Priorisieren von medizinischen Notfällen aufgrund von Mangel an Ressourcen, könne "innerhalb weniger Wochen" erreicht sein, "wenn jetzt nicht gegengesteuert wird".
- Zum Artikel "Triage wegen Corona? Was man darunter versteht"
"2020 hatten wir sehr ähnliche Zahlen", sagt Wendtner. "Wir hatten eine Impfkampagne in Deutschland, in Bayern, in München und stehen im Prinzip wieder am Anfang." Da sei zunächst einmal nicht verständlich. Aber als Gründe nennt der Mediziner das aggressivere Verhalten der Delta-Variante, einen Nachlass der Immunisierung vor allem bei den zu Jahresbeginn geimpften Personen und eine zu niedrige Impfquote in der Gesamtbevölkerung.
Intensiv-Pfleger: "Es ist eine Minute vor zwölf"
In der Pressekonferenz der bayerischen Staatsregierung äußerte am Donnerstag ein Intensivpfleger der München Klinik Bogenhausen, Markus Schopper, dass die Pflege im Moment an der absoluten Belastungsgrenze arbeite. "Wir haben im Moment in der pandemischen Situation eine Minute vor zwölf", so Schopper. Jetzt müssten unbedingt Maßnahmen ergriffen werden, die zur Eindämmung der Pandemie führen, "weil die Intensivstationen kaum mehr Kapazitäten haben, überhaupt Patienten aufzunehmen".
Die Intensivstation, in der er arbeite, sei eine von vier Maximalversorgern in München: "Wir sind die letzten, die überhaupt noch den Regelbetrieb aufrechterhalten". Alle anderen Intensivstationen seien bereits belegt und somit "handlungsunfähig". Das Problem sei, dass die ganzen nicht dringend notwendigen Operationen nicht mehr gemacht werden könnten. "Wir müssen geraden den Spagat finden, wen können wir jetzt am besten versorgen", so der Intensivpfleger.
Nach seiner Arbeitserfahrung sind im Moment fast 90 Prozent der Covid-Patienten auf Intensiv ungeimpft. Und es gebe einige Impfdurchbrüche, weil Menschen immungeschwächt seien. Schopper plädierte für die Booster-Impfungen und mahnte: "Es kann jeden treffen. Diese Pandemie ist nicht vorbei." Jeder könne grundsätzlich für sich selber entscheiden, ob er sich impfen lasse, solle sich aber auch über Long Covid informieren. Bei ihnen an der Klinik sei ein Mann 110 Tage auf der Intensivstation behandelt worden und heute immer noch arbeitsunfähig.
Infektiologe Wendtner: Mit Impfung steigt die Hoffnung
Dass in Deutschland 67 Prozent vollständig geimpft sind, reicht nach Aussage Wendtners nicht. "Wir müssen davon ausgehen, dass wir eine 85-prozentige Impfquote benötigen für die Gesamtbevölkerung", betont der Mediziner. Das Virus unterscheide nicht zwischen Kindern und Erwachsenen. Sollte die Impfquote steigen, steigt auch die Hoffnung. "Das ist unsere Chance, die Dinge zu beenden", so Wendtner.
Impfstoff wird in Oberbayern knapp
Entsprechend solle das Impfangebot "selbstverständlich" ausgebaut werden, wie Gesundheitsreferentin Beatrix Zurek bestätigte. Doch derzeit werde der Impfstoff in Oberbayern knapp. Der Freistaat bemühe sich jedoch um Nachschub, wie Zurek sagte. Für das Wochenende könnten deshalb Probleme an Impfstellen entstehen. An Impfwillige hat sie einen Rat: "Lassen sie sich impfen, aber stellen Sie sich vielleicht erst nächste Woche Dienstag an."
Aufruf für "Pflege-Pool Bayern"
Im Katastrophenfall, wie er seit Donnerstag in Bayern gilt, können Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen mit dringendem Bedarf Unterstützung vom "Pflegepool Bayern" bekommen. Für diesen Pflegepool sucht die Vereinigung der Pflegenden in Bayern (VdPB) noch Pflegekräfte. Der Einsatz ist nur während der Corona-Pandemie. Ähnlich wie bei der Feuerwehr oder dem THW werden die Pflegekräfte von ihrem Arbeitgeber für die Hilfseinsätze freigestellt und bekommen ihren normalen Arbeitslohn weiterbezahlt.
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