Am Nachmittag wird es hitzig im Landtag. Auf der Tagesordnung stehen ein Gesetzentwurf der AfD für ein "Bayerisches Asylnotstandsgesetz" und ein AfD-Dringlichkeitsantrag mit dem Titel "Schluss mit den zahllosen Asyl-Attentaten". Aber viele Abgeordneten sprechen zuerst über etwas anderes.
Als der innenpolitische Sprecher der Grünen im Landtag, Florian Siekmann, ans Rednerpult tritt, wendet er sich schnell an die AfD. "Sie missbrauchen diese schreckliche Tat und all ihre Opfer", sagt er. "Nicht nur heute im Plenum. Nein, Sie haben die Dreistigkeit besessen, es selbst am Tatort zu tun." Der SPD-Abgeordnete und Vizepräsident des Bayerischen Landtags, Markus Rinderspacher, fragt, ob es der AfD ausschließlich darum gehe, "maximalen politischen Profit" aus dem Gedenken an die Opfer des Anschlags von München zu ziehen.
AfD-Politiker: "Das können wir gut verwerten"
Worum es geht: Seit Tagen kursiert ein Video in den Sozialen Medien. Ein AfD-Kommunalpolitiker hat es live bei YouTube gestreamt – am Sonntagmittag, drei Tage nach dem Anschlag in München, bei dem eine Mutter und ihr zwei Jahre altes Kind gestorben sind. Auf dem Video ist zu sehen, wie mehrere AfD-Politiker Blumen am Ort des Anschlags niederlegen wollen. Rund um den Gedenkort haben sich allerdings mehrere Gegendemonstranten zu einer Menschenkette aufgestellt und versperren den Weg. Zahlreiche Polizisten sind vor Ort und trennen die Gruppen. Nach mehreren Stunden einigen sie sich mit den AfD-Politikern, dass sie einige Meter entfernt ihre Blumen niederlegen können. Die AfD wartet, dass die Polizei diesen Ort sichert.
An dieser Stelle kommt die Szene, die in den Sozialen Medien verbreitet wird – und auf die sich die Abgeordneten im Landtag beziehen. Der Bundestagsabgeordnete und bayerische AfD-Landeschef Stephan Protschka dreht sich zu mehreren AfD-Politikern um und sagt: Es gehe ja nur darum, Blumen niederzulegen und wieder zu gehen. "Unsere Show haben wir gehabt." Der Landtagsabgeordnete Rene Dierkes sagt daraufhin: "Das können wir gut verwerten." Am folgenden Tag veröffentlichte die AfD-Fraktion im Bayerischen Landtag eine Pressemitteilung mit den Worten: "Polizei hindert AfD-Abgeordneten, am Münchner Anschlagsort zu trauern".
Kritik im Landtag: "Widerliche Verwertungslogik"
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) weist derlei Kritik zurück. Es wäre für alle Beteiligten völlig egal gewesen, ob sie Kerzen oder Blumen zehn Meter weiter rechts oder links ablegen. Julian Preidl von den Freien Wählern nennt das Verhalten der AfD "beschämend". Der Grünen-Abgeordnete Siekmann spricht von einer "widerlichen Verwertungslogik", der Landtagsvizepräsident Markus Rinderspacher von einer "niederträchtigen Verhöhnung".
Dabei weisen die Abgeordneten auch darauf hin, dass sich die Familie der Todesopfer explizit gegen eine Instrumentalisierung der Tat verwahrt. Angehörige der beiden Todesopfer des Anschlags in München hatten sich mit einem Brief an die Öffentlichkeit gewandt. Darin fordern sie, "dass der Tod und der Verlust nicht benutzt werden, um Hass zu schüren und ihn politisch zu instrumentalisieren".
AfD kritisiert "Versagen der Beamten"
Die AfD weist den Vorwurf der Instrumentalisierung zurück und kritisiert hingegen das Vorgehen der Gegendemonstranten und der Polizei. Der Landtagsabgeordnete Rene Dierkes, der auf dem Video zu sehen ist, schreibt auf BR-Anfrage: "Die Linken lachten darüber, dass wir nicht durchkamen, brüllten 'Refugees welcome', 'Nazipack' und Ähnliches. Teilweise tanzten ein paar von denen auch am Gedenkort." Dies sei die Situation gewesen, in der er sich geäußert habe.
Aus dem Video geht nicht hervor, ob die Gegendemonstranten zum Zeitpunkt der Aussage lachen oder tanzen. Die AfD-Politiker stehen einige Meter entfernt, umringt von Polizei. Gut zwei Stunden zuvor ist im Video jedoch zu sehen, dass die Gegendemonstranten singen: "Say it loud, say it clear, refugees are welcome here".
Der Bundestagsabgeordnete und bayerische Landeschef Stephan Protschka schreibt auf BR-Anfrage: "Wenn es von der Polizei München nicht erwünscht ist, dass die Opposition ihre Trauer ausdrücken kann, ja dann ist es eine Show und das muss öffentlich gemacht werden."
Polizei: Unangebrachtes Verhalten von beiden Seiten
Das Polizeipräsidium München sagte dem BR auf Anfrage, es sei nicht verhältnismäßig gewesen, die Menschenkette der Gegendemonstranten zu durchbrechen, damit die AfD-Politiker ihre Blumen niederlegen können – insbesondere nicht an einem solchen Ort. Beide Seiten hätten sich nicht angebracht verhalten.
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