Als die Bergwacht Mittenwald am Sonntagabend den Anruf bekommt, dass vier Wanderer am Mittenwalder Gjaidsteig steckengeblieben sind, ist schnell klar: Das wird eine riskante Rettungsaktion. "Der Wetterbericht hatte schon Tage zuvor schlechtes Wetter vorausgesagt", sagt Johannes Zollner, Geschäftsführer der Bergwacht in der Region Hochland. Am Gjaidisteig, einem hochalpinen Steig in der nördlichen Karwendelkette, habe es entsprechend stark geschneit.
Die Bergwacht Mittenwald und auch ihre österreichischen Kollegen aus Scharnitz versuchen zwar, die vier Verstiegenen noch in der Nacht vom Sonntag über den Landweg zu retten – doch das Risiko für die Retter sei zu groß gewesen, erzählt Zollner: "Es herrschte große Lawinengefahr".
In den Morgenstunden gelingt die Rettung per Hubschrauber
Auch die Rettung per Hubschrauber ist in den Abendstunden wegen des Wetters nicht möglich. Und so müssen die vier Wanderer eine Nacht am Berg ausharren – im hüfthohen Schnee. Dann, am Montagmorgen reißt der Himmel kurz auf – ein Hoffnungsmoment. "Wir wurden um kurz vor sieben angerufen", erinnert sich Hubschrauber-Pilot Stephan Knödler von der Crew des ADAC Rettungshubschraubers "Christoph Murnau". "Wir hatten dann ein relativ schmales Zeitfenster von einer Stunde, um die Verstiegenen vom Berg zu holen".
Knödler und seine Kollegen schaffen es, gemeinsam mit einem Retter der Bergwacht Mittenwald die vier Wanderer aus ihrer Lage am Berg zu befreien. "Die Geretteten waren stark unterkühlt", sagt Knödler, einige hätten Schüttelfrost gehabt. Knödler und das Team bringen die vier Menschen sofort ins Krankenhaus Garmisch-Partenkirchen. Alle vier überleben.
Experten beobachten Zunahme von brenzligen Situationen am Berg
"Das hätte aber auch anders ausgehen können", sagt Johannes Zollner von der Bergwacht Hochland. Die vier Wanderer hätten enormes Glück gehabt. Zollner, aber auch ADAC-Pilot Knödler beobachten tendenziell eine Zunahme solcher Situationen in den Bergen: Dass Wanderer sich überschätzen oder die Bedingungen vor Ort unterschätzen und dann in brenzlige Lagen kommen.
Erst letzten Sommer wurden vier Geschwister aus Traunstein bei einer Alpenüberquerung vom Schnee überrascht und mussten von der österreichischen Bergwacht aus den Zillertaler Alpen gerettet werden. Im Frühsommer wurde ein Bergsteiger in der Nähe des Zugspitzgipfels von einem Schneerutsch erfasst und verunglückte tödlich. Die Liste ließe sich noch mit weiteren Beispielen ergänzen.
Beim Wetterbericht nicht nur kurz auf die Symbole schauen
Aber: Wie können sich Wanderer im Winter am Berg richtig verhalten, ohne sich und andere in Lebensgefahr zu bringen? Für Winni Kurzeder, Bergführer bei der Sektion Oberland des Deutschen Alpenvereins (DAV), geht es schon bei der Planung los: "Man sollte sich im Vorhinein über die Wetterverhältnisse erkundigen", sagt der Bergexperte. Dabei sollte man es aber nicht nur bei einem kurzen Check der Wettersymbole belassen, sondern genauer hinschauen: Liegt schon Schnee, und falls ja, wie viel? Ist es eisig am Berg? Weht starker Wind oder regnet es?
Kurzeders Tipp: Bei Windstärken über 20 km/h und Niederschlag ab vier bis fünf Millilitern pro Stunde werde es eher ungemütlich am Berg. Außerdem sollte man immer die aktuelle Jahreszeit im Hinterkopf haben: "Die Wandersaison im Hochgebirge ist jetzt eigentlich vorbei", sagt Johannes Zollner, Regionalgeschäftsführer der Bergwacht Hochland. Über 2.000 Meter sollte man als Hobbywanderer eigentlich nicht mehr wandern gehen, findet er.
Bei gut ausgestatteten Wanderern sollte ein Biwaksack nicht fehlen
Wer einen guten Überblick über das Wetter hat, kann dann entsprechende Ausrüstung einpacken: Festes Schuhwerk, ein Anorak, Handschuhe und genug zu trinken gehört zur Minimalausstattung dazu. Bei entsprechendem Wetter seien aber auch eine Thermoskanne für einen warmen Tee und Grödel sinnvoll, also Zacken für die Schuhe, sagt Kurzeder. Außerdem sollte bei einem gut ausgestatteten Wanderer nie ein Biwaksack fehlen: "Damit kann man dann einen Schutz einrichten und die schlimmste Wetterlage abwarten", so Kurzeder. Die einfachsten Modelle bestehen aus Thermoplast mit einer Aluminiumbeschichtung auf der Innenseite und sind schon ab etwa 25 Euro erhältlich.
Am Berg selbst gäbe es einige Hinweise, bei denen die inneren Alarmglocken schrillen sollten, sagt Bergführer Kurzeder: "Wenn ich langsamer vorankomme als erwartet oder wenn das Wetter wesentlich schlechter ist als gedacht, sollte man ans Umdrehen denken", sagt er. Und es gelte, einen Zeitplan zu haben und zu wissen, wie lange der Rückweg dauert, damit man noch bei Tageslicht unten ankommt.
Wann ist der richtige Zeitpunkt, um die Bergwacht anzurufen?
Die Bergwacht sollte man nur dann anrufen, wenn man nicht mehr aus eigener Kraft vom Berg runterkommt, sagt Kurzeder. Pilot Stephan Knödler vom ADAC will aber vermeiden, dass die Leute aus Scham zu spät anrufen: "Ich freue mich eigentlich immer, wenn die Leute anrufen, bevor es lebensgefährlich wird, statt sich nicht die Blöße geben zu wollen", sagt er.
Allgemein gilt: Bei der Planung von Winterwanderungen ist es sinnvoll, die eigenen Ambitionen lieber ein wenig runterzuschrauben, statt mit zu großem Anspruch an den Berg zu gehen. Dann macht das Wandern auch Spaß – und endet nicht in potenziell lebensbedrohlichen Situationen.
- Zum Artikel: Party am Berg: DAV kritisiert Missbrauch von Winterräumen
Im Video: Hilfe aus der Luft: Frankens neuer Rettungshubschrauber
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