Klima-Aktivisten der "Letzten Generation" laufen in Bayreuth über den Hohenzollernring.
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Die "Letzte Generation" setzt künftig, wie zuletzt in Bayreuth, auch auf Protestmärsche.

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Neue Protestformen: "Letzte Generation" nimmt Bayern ins Visier

Die "Letzte Generation" will künftig mit neuen Protestformen für eine konsequentere Klimapolitik kämpfen. Ein Schwerpunkt der Aktionen soll in Bayern liegen. Dabei will die Bewegung wachsen und juristisch weniger angreifbar werden.

Über dieses Thema berichtet: Regionalnachrichten Franken am .

Die "Letzte Generation" setzt auf neue Protestformen. Wie zuletzt in Bayreuth und Bamberg sollen unangemeldete Protestmärsche das Repertoire der Widerstandsbewegung künftig ergänzen. Die Klima-Aktivisten erhoffen sich so mehr Akzeptanz und Beteiligung in der Bevölkerung und weniger Gerichtsverfahren.

Protestmärsche: "Letzte Generation" setzt auf Integration

Niklas Huth ist einer der Bayreuther Aktivisten. Er sagt im Gespräch mit BR24, dass Protestmärsche im Vergleich zu Klebe-Aktionen weniger "Repressionspotenzial" böten und "anschlussfähiger" seien. "Integration ist nicht alles, aber ohne Integration ist alles nichts!", schreiben die Klima-Aktivisten auch auf ihrer Seite im Internet. "Nur wenn wir in der Integration neuer Menschen erfolgreich sind, können wir im September mit vielen Menschen einen sozialen Wendepunkt erschaffen."

Demnach sollen im Herbst verstärkt Protestaktionen in Berlin stattfinden. Zuvor allerdings nehmen die Klima-Aktivisten Bayern ins Visier. Dort sei der Widerstand gegen Klebe-Aktionen bundesweit am größten und solle daher zuerst gebrochen werden. Zudem befänden sich die Parteien im Vorfeld der Landtagswahl am 8. Oktober im Wahlkampf und müssten sich daher in besonderem Maße die Frage stellen, wie sie die gemeinsamen Lebensgrundlagen künftig schützen wollten.

Für vermehrte Aktionen in Bayern werden daher 100 Aktivisten gesucht. Konkret heißt es: "Wir suchen 100 für Bayern – einhundert Menschen, die als Vorbild vorangehen. Sie sind das Sprungbrett für den sozialen Kipppunkt, den wir diesen Herbst schaffen müssen." Der soziale Kipppunkt, damit ist die zuletzt schlechte Stimmung in der Bevölkerung den Aktivisten gegenüber gemeint, die schließlich ins Positive kippen soll.

Nur jeder achte Bürger hält Klebe-Aktionen für gerechtfertigt

Denn ein Problem der "Letzten Generation", nicht nur in Bayern, ist: Obwohl deutschlandweiten ARD-Umfragen zufolge fast die Hälfte der Befragten, nämlich 44 Prozent, der Ansicht sind, dass der Klimaschutz schnellere Veränderungen braucht, lehnt eine große Mehrheit, genauer: 85 Prozent, die bisher von den Klima-Aktivisten angewandten Protestformen ab. Nur etwa jeder Achte hält das Blockieren von Straßen und Verkehr demnach für gerechtfertigt.

Damit ist die Zustimmung von Straßenblockaden gegenüber früheren Umfragen weiter gesunken. 2019 fanden noch 24 Prozent solche Aktionen gerechtfertigt. Straßenblockaden waren damals allerdings weit weniger verbreitet als heute.

Klebe-Aktionen erregen hohe Aufmerksamkeit

Allerdings sagt auch der Bayreuther Aktivist Niklas Huth: Weil durch Klebe-Aktionen der Verkehr für einige Zeit komplett zum Erliegen komme, errege diese Protestform deutlich mehr Aufmerksamkeit als reine Protestmärsche. Klebe-Aktionen sollten daher weiter durchgeführt werden. Protestmärsche sollen das Repertoire der Aktivisten lediglich ergänzen.

So erklärt das auch Ronja Künkler aus dem Regioteam Bayern der "Letzten Generation". Die sogenannten Regioteams gelten als die strategischen Keimzellen der Bewegung. Künkler selbst hatte zuletzt Mitte Juli für Aufsehen gesorgt, als sie sich bei den Schlossfestspielen in Regensburg an die Bühne geklebt hatte – mitten in einer Vorstellung.

"Gemeinschaftszeit" bei der "Letzten Generation"

Von der offiziellen Pressestelle der "Letzten Generation" gibt es derzeit keine Antwort auf die Frage, ob die Protestmärsche die umstrittenen Klebe-Aktionen künftig mehr und mehr ablösen sollen. Die Pressestelle sei derzeit nicht besetzt, heißt es auf Anfrage. Grund sei eine noch bis 6. August dauernde "Gemeinschaftszeit". Dabei richte die Bewegung derzeit ihren Fokus auf "die Integration neuer Menschen". Zwar fänden weiterhin Proteste statt, die Aktivisten konzentrierten sich aber auf Treffen und "die Einbindung neuer Leute". Ziel sei es demnach, die Bewegung "spürbar wachsen" zu lassen.

Ein besonderer Fokus liege auf dem Aufbau von Netzwerken mit Glaubensgemeinschaften, Arbeitern und anderen Klima-Aktivisten. "Dies soll besonders durch neue Protestformen geschehen, welche mit den Akteuren gemeinsam ausgearbeitet werden", schreiben Vertreter der "Letzten Generation" dazu im Netz. Und weiter: "Eine besonders gute Einstiegsmöglichkeit sind Protestmärsche! Wir wollen in immer mehr Städten mittwochnachmittags einen Protestmarsch starten." Ziel sei es, dass jeweils über 100 Menschen daran teilnehmen.

Auch Regio-Strategin Ronja Künkler sagt, die Protestmärsche böten die Möglichkeit, die Klima-Aktivisten "niedrigschwellig" kennenzulernen oder sich wegen der jüngsten Verurteilungen im Schnellverfahren mit ihnen zu solidarisieren.

Solidarisierung nach Urteilen im Schnellverfahren

Aber sind Protestmärsche juristisch tatsächlich weniger angreifbar als Klebe-Aktionen, wie Aktivisten es behaupten, wenn sie von weniger "Repressionspotenzial" sprechen? Ja, heißt es dazu auf Nachfrage von BR24 beim Deutschen Anwaltverein (DAV). Der Grund: Ob Straßenblockaden oder Protestmarsch, beide Protestformen seien zunächst einmal als politische Versammlungen zu betrachten und somit vom Versammlungsrecht geschützt.

Erst, wenn die Polizei eine solche Versammlung auflöse, sich die Teilnehmer dem aber nicht fügten, beginne möglicherweise der Straftatbestand der Nötigung anderer Verkehrsteilnehmer, sagt Rechtsanwalt Stefan Conen vom DAV. Im Falle der "Klima-Kleber" bedeutet das: Erst wenn festgeklebte Aktivisten der Aufforderung nach Beendigung der Versammlung nicht folgen könnten, sei deren Blockade nicht mehr vom Versammlungsrecht gedeckt.

Kleben ist "vorgelagerter Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte"

Erschwerend komme hinzu, dass sich die Klima-Aktivisten im Falle einer Klebeblockade mit dem Wissen festklebten, einem möglichen Platzverweis durch die Polizei nicht folgen zu können. Juristisch spreche man in einem solchen Fall von einem "vorgelagerten Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte", sagt Conen.

Insofern seien Protestmärsche juristisch deutlich unproblematischer. "Wenn ich laufe, kann ich nach Auflösung der Versammlung einfach zur Seite gehen und habe alle Weisungen eingehalten", sagt Rechtsanwalt Conen.

Gerichte bewerten Straßenblockaden nicht immer als Nötigung

Allerdings ist die Rechtslage selbst bei Straßenblockaden längst nicht immer eindeutig. Während mit Verweis auf eine klare Sachlage in Bamberg unlängst Klima-Aktivisten nach Klebe-Aktionen im Schnellverfahren verurteilt wurden, hatte ein Berliner Landgericht Ende Mai eine Straßenblockade nicht als Nötigung eingestuft. Zur Begründung hieß es: Weil die Klima-Aktivisten zuvor Blockaden angekündigt hatten, hätten Autofahrer auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen oder mehr Fahrtzeit einrechnen können.

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