Wie "kantig" war der historische Jesus? Diese Frage bewegt Oberammergau vor den Passionsspielen 2022. Antworten soll die Pressekonferenz geben, die als Auftakt der letzten Probenwoche die Konzentration auf den Feinschliff für 103 Aufführungen des großen Laien-Spiels legt. Das Neue Testament legt sich nicht fest, ob der Charakter des historischen Jesus von Nazareth etwas gemein hat mit den Eigenschaften der 2.100 Mitspielenden aus Oberbayern. Liebenswert, hart und herzlich werden die Oberammergauer charakterisiert – eben kantig. Und penetrant und beharrlich, wenn es um ihre Passion geht.
Oberammergau erfüllt alle zehn Jahre ein Gelübde von 1633
Die Stimmung ist zehn Tage vor der Premiere gut. Bürgermeister Andreas Rödl (CSU) sagt, dass sich jeder freut, dass die Spiele ohne Einschränkungen stattfinden können. Volles Haus – das heißt 4.500 Besucherinnen und Besucher dürfen nach den jetzigen Corona-Bestimmungen die Aufführungen erleben. Vom 14. Mai bis 2. Oktober macht der Ort das, was die Vorfahren nach der Pest 1633 geschworen haben: Wenn sie vor weiteren Opfern verschont blieben, würden sie alle zehn Jahre die Passion Christi aufführen. Das wird jetzt zum 42. Mal der Fall sein. Es waren nicht immer zehn Jahre Abstand. Genau vor 100 Jahren hatte die spanische Grippe dem Passionsspiel einen Strich durch die Rechnung gemacht. 1920 musste sie verschoben werden auf 1922, so wie jetzt von 2020 auf 2022.
Das Dorf rückt zusammen
Das Dorf mit 5.500 Einwohnern geht nicht mit den Jahreszeiten, sondern mit der Passion. Maria-Darstellerin Eva Reiser – im normalen Leben Flugbegleiterin – spricht davon, dass in Oberammergau vor oder nach der Passion geheiratet, getauft, das Haus gebaut oder gestorben wird. Sie freut sich sehr auf ihre Rolle als Maria, weil durch das Spiel die ganze Gemeinde wieder eng zusammenrückt.
Jesus – in Oberammergau leicht aggressiv im Ton
Jesus – alias Rochus Rückl – nimmt den Begriff vom kantigen Jesus bei seiner Interpretation auf. Bei den Proben verkörpert er gemeinsam mit dem zweiten Jesus Frederik Mayet (alle Sprechrollen sind doppelt besetzt) den kantigen Jesus. In den Dialogen mit den Jüngern der Jesus-Geschichte und den jüdischen Gelehrten im alten Jerusalem ist er leicht aggressiv im Ton. So, wie es Spielleiter Christian Stückl für 2022 vorgegeben hat. Ob das zeitgemäß sei, wird Rückl gefragt und antwortet: "Die Passion ist immer zeitgemäß", so der Student der Fahrzeugtechnik. "Das, was Jesus sagt, ist immer relevant – zu jeder Zeit, an jedem Fleck der Welt und zu jeder Stunde – und daran wird sich auch nichts verändern."
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