Es ist ein lebendes Denkmal, das Olympische Dorf im Norden von München. Als kurzfristige Unterkunft für die Athleten hat es zwar schon lange ausgedient, den Flair der Olympischen Spiele trägt es aber nach wie vor in sich.
Wenn Bruni Hülle durch das heutige Studentendorf schlendert, kommt bei ihr das Feeling, wie sie sagt, wieder zurück. Obwohl die kleinen Bungalows im ehemaligen olympische Frauendorf von 2007 bis 2009 von Grund auf saniert wurden, hat sich eigentlich nichts verändert, findet sie.
Bruni Hülle wohnte vor den Spielen im Dorf
Zum Frauendorf gehörte neben den kleinen Bungalows auch das direkt daneben stehende Hochhaus. Um zu sehen, ob alles funktioniert, durften von April 1971 bis März 1972 Studenten zur Probe in den damals 800 Würfelbungalows wohnen.
Die spätere Gymnasiallehrerin Hülle war eine von ihnen und genoss die Freiheiten, die diese kleinen schuhkartonartigen Bauten boten. Zwar war weder die U-Bahn fertig, noch gab es die Ladenzeile, dennoch genoss sie die Freiheiten, die diese Bungalows mit sich brachten. Damals wohnten viele Studentinnen zur Untermiete, Herrenbesuche waren dort oft nur bis 22:00 Uhr erlaubt. Dann klopfte die Hausherrin an die Tür und der Freund musste gehen.
Süditalienisches Armenviertel
In den neuen Bungalows mussten Studentinnen und Studenten keine Rücksicht auf Vermieter nehmen. Trotz der Vorteile, die graue Betonarchitektur weckte damals Kritik. Mit ein wenig Skepsis könne man sich vorstellen, dass das spätere Studentendorf einmal einem süditalienischen Armenbezirk ähneln könnte, heißt es beispielsweise in einem Fernsehbeitrag des Bayerischen Fernsehens aus dem Jahr 1971.
Süditalienisches Flair ja, Armenviertel nein, sagt Bruni Hülle. Auf die Studenten, die hier wohnen durften, seien viele neidisch gewesen. Ab März 1972 musste Bruni Hülle, wie alle anderen Studenten auch, ausziehen. Das Dorf wurde für die Olympischen Spiele bereit gemacht.
Frauendorf - "ein Refugium"
Um die kleinen Bungalows und das Hochhaus wird ein Zaun gezogen, der das Olympische Frauendorf vom oberen Männerdorf trennt. Wobei Walter Tröger, damaliger Bürgermeister des Olympischen Dorfes und späterer Präsident des Nationalen Olympischen Komitees, dies anders formulierte. Der Zaun, sagte Tröger dem BR damals, trenne nicht, sondern bilde nur ein Refugium für die Frauen. Ein bemerkenswerter Satz aus heutiger Sicht.
Olympia 1972 - Mehr Platz für die Männer
Was beim Blick auf das "Frauendorf" mit seinen kleinen Würfelbungalows auffällt, es ist viel kleiner als das "Männerdorf" mit seinen riesigen Wohnblöcken. Rund 7.000 Athleten waren bei den Olympischen Spielen 1972 dabei, nur ein siebtel waren Frauen.
Trotz Auszug - Bruni Hülle blieb im Dorf
Trotz ihres Auszugs blieb Bruni Hülle mit dem Olympischen Dorf verbunden. Sie wurde Olympia-Hostess. Das hellblaue Dirndl passt ihr heute noch. Während der Wettbewerbe war sie an unterschiedlichen Wettkampfstätten eingeteilt. Ab und zu schaute sie im Olympischen Dorf vorbei, fand es dort aber nur mäßig spannend.
Nach den Sommerspielen kam sie ins Studentendorf als Bewohnerin zurück und lernte dort ihren Mann Wolfgang kennen. 1975 zogen die beiden ins sogenannte Oberdorf, also in einen der großen, weißen Wohnblöcke, die oberhalb des Studentenbungalows liegen.
Der Vorteil im Dorf - es gibt keine Autos
Es war die futuristisch anmutende Bauweise des Dorfes, die es ihnen angetan hatte. Wohn-, Verkehr- und Spielbereiche sind voneinander getrennt. Der in den Untergrund verbannte Autoverkehr bietet den Vorteil, dass Fußgänger und Radfahrer an der Oberfläche für sich sind. Außerdem muss man wegen der fehlenden Autos an der Oberfläche keine Angst haben, dass die Kinder unter die Räder kommen. Einzig Parkplätze sucht man im Olympischen Dorf meist sehr lange. Die Balkone und Terrassen in den Wohnungen bieten neben ihrer enormen Größe noch einen weiteren Vorteil, sie sind so gebaut, dass sie vor neugierigen Blicken schützen. Geschäfte und Cafés sind in der zentral gelegenen Ladenzeile untergebracht.
Von außen betrachtet ist der Dorfcharakter nur schwer zu erkennen, doch die Idee, dass die kleinen Fußgängerzonen zum schlendern und plaudern anregen, funktioniert. Durch die besondere Bauweise entstand über die Zeit tatsächlich so etwas wie eine dörfliche Gemeinschaft.
Nach den Spielen stand das Dorf leer
660 Mark Miete zahlten Hülles für ihre erste richtige Wohnung. Was heute lachhaft günstig erscheint, war damals teuer. Leisten konnte sich das frisch verheiratete Paar die Miete nur, weil eine Freundin mit einzog. Allerdings war die Wohngemeinschaft im achten Stock anfangs recht allein. In mindestens fünf Etagen darunter wohnte niemand, erzählt Wolfgang Hülle. Teure Mieten und schlechte Presse, nur wenige zog es ins "Dorf in der Stadt". Das änderte sich erst ab 1975, meint Wolfgang Hülle im Rückblick.
Der Zahn der Zeit beginnt zu nagen
Trotz aller Vorteile, ab den 1980er Jahren begannen im Dorf die ersten Sanierungsarbeiten. In der Straßbergerstraße, dort wo Hülles ihre Wohnung haben, musste die Fußgängerzone neu gemacht werden. Mit der Zeit mussten auch die Fußgängerzonen in den anderen Straßenzügen saniert werden. Auch das futuristische Entsorgungssystem, bei dem die Bewohner ihren Hausmüll einfach in einen Schacht warfen, der dann von einer zentralen Müllsammelanlage im Dorf angesaugt und zusammengepresst wurde, gibt es nicht mehr.
Sanierungskosten betragen nur einen Bruchteil des Wiederverkaufswerts
Auf die Sanierungskosten angesprochen reagiert Wolfgang Hülle, der im Vorstand der Einwohner Interessensgemeinschaft ist, gelassen. Instandhaltungsarbeiten müssten bei jedem älteren Bauwerk gemacht werden. Die Sanierungskosten beliefen sich in ihrem Wohnblock auf geschätzt 200 Euro pro Quadratmeter in den letzten Jahren. Ein relativ geringer Betrag verglichen mit dem Wiederverkaufswert einer Wohnung hier, so Hülle.
Auswärtige haben es schwer - die Dörfler bleiben unter sich
Rund 6.000 Menschen wohnen im Olympischen Dorf. Allerdings, neue Bewohner, die von woanders ins Dorf reinziehen, sind selten. Die Dörfler tauschen lieber untereinander, die Gemeinschaft ist hier sehr stark. Nachdem viele Bewohner mit dem Angebot an Geschäften in der zentral gelegenen Ladenstraße unzufrieden waren, gründeten sie eine Genossenschaft. Die "Olywelt eG" kauft Geschäfte in der Ladenstraße auf. Nun habe man zum Beispiel einen tollen Metzger, schwärmt Bruni Hülle.
Die 50-Jahrfeier begehen die Dörfler mit einer Festwoche vom 13. bis zum 22. Mai. Daneben gibt es auch weitere Veranstaltungen und Ausstellungen.
Historische Fotos in der Bayerischen Staatsbibliothek
Eine besonders sehenswerte Ausstellung zu den Olympischen Spielen zeigt derweil die Bayerische Staatsbibliothek in der Münchner Ludwigstraße. Knapp 140 Fotografien aus den Jahren 1965 bis 1972 vermitteln einen Eindruck davon, wie die das Großereignis der XX. Olympiade der Neuzeit das Gesicht der bayerischen Landeshauptstadt veränderte. Die Impressionen zeigen Bauarbeiten für die Sportstätten ebenso wie für das Olympische Dorf und auch prominente Künstlerinnen und Künstler beim Kulturprogramm. Nicht zuletzt ist auch das Attentat vom 5. September 1972 ein wichtiges Thema der Ausstellung. Die Bilder stammen aus zahlreichen Fotoarchiven, die die Staatsbibliothek kuratiert, darunter Aufnahmen von Max Prugger, Karsten de Riese und aus dem unlängst erworbenen STERN-Fotoarchiv. Zu sehen sind spektakuläre Luftbilder, Werbefotos der Zeit, aber auch journalistische Schnappschüsse.
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