Ziemlich genau vor drei Jahren war das Thema Artenschutz in aller Munde. Am 17. Juli 2019 wurde im Bayerischen Landtag das Gesetz aus dem Volksbegehren "Rettet die Bienen", wie auch das Begleitgesetz verabschiedet. In dem Zuge hat sich die Staatsregierung das Ziel gesetzt, den Pestizid-Einsatz in Bayern bis zum Jahr 2028 zu halbieren.
Doch wie kann überprüft werden, ob das erreicht wird, wenn die Ausgangsmenge gar nicht bekannt ist? Landwirte müssen zwar genau dokumentieren, wann und wie viel Pflanzenschutzmittel sie einsetzen, aber die Mengen werden nicht zentral erfasst, sondern verbleiben auf den Höfen.
Pestizid-Menge für Bayern hochgerechnet
Um dennoch eine "Baseline" zu setzen, hat der Landesbund für Vogelschutz (LBV) eine Studie in Auftrag gegeben, die BR24 exklusiv vorliegt. Der Pestizid-Experte und Autor der Studie, Lars Neumeister, hat eine Menge von 3.600 Tonnen für Bayern als Ausgangsbasis ermittelt. "Das ist eine Umrechnung der bundesweit erhobenen Daten des staatlichen Julius Kühn-Instituts auf die bayerische Anbaufläche", so der Wissenschaftler.
Dabei handelt es sich um Durchschnittswerte von 1.300 Testbetrieben aus ganz Deutschland. Die seien eine sehr sichere Grundlage, um auch die bayerische Landwirtschaft realistisch abzubilden. Der LBV-Vorsitzende Norbert Schäffer möchte damit der Politik einen ersten Referenzwert liefern, "damit sie ihr selbst gesetztes Ziel mit einer messbare Grundlage erreichen kann."
Wie können chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel reduziert werden?
Besonders häufig gespritzt werden Kulturen, die mehrere Jahre auf ein und derselben Fläche wachsen. Dazu gehört der Apfelanbau mit knapp 30 Spritzungen. "Da unterscheidet sich Bayern nicht von anderen Bundesländern", so Pestizid-Experte Neumeister. Im Apfelanbau werde weltweit am häufigsten gespritzt. Danach kommen Wein und Hopfen, ebenfalls Dauerkulturen, mit etwa 18 beziehungsweise 13 Spritzungen. Auch Kartoffeln werden mit etwa elf Anwendungen relativ häufig behandelt.
Neumeister empfiehlt aber, das Augenmerk auf Kulturen zu legen, die schon jetzt nur wenig behandelt werden – aber insgesamt mehr ins Gewicht fallen. "Wenn man zum Beispiel bei Wintergerste, Weizen und Mais auf Herbizide verzichtet, dann hat man schon die Hälfte der bayerischen Pestizid-Menge eingespart". Bei diesen Kulturen sei es sinnvoll und möglich, auf null Behandlungen zu kommen – somit könnten große Flächen im Freistaat pestizidfrei werden.
Wie können Landwirte ohne Pestizide wirtschaften?
Landwirte seien ein Stück weit gefangen in einem System, das sie zwinge, Pestizide einzusetzen, so Neumeister. "Man muss den Landwirten unter die Arme greifen. Umweltfreundlich wirtschaften braucht finanzielle Förderung." Der Werkzeugkasten an Maßnahmen sei aber vorhanden. Dazu gehöre, sich nicht auf eine oder wenige Fruchtarten zu spezialisieren, sondern wieder mehr Vielfalt anzubauen.
Auch wenn Landwirte weniger anfällige Sorten wählen, können sie Chemie einsparen. Dafür braucht es aber auch regionale Partnerschaften mit den Mühlen, denn der Weltmarkt verlange standardisierte Ware. "Erzeuger und Verarbeiter in der Region zusammenzubringen, ist ein wichtiger Schritt", sagt Neumeister.
Die Initiative KraichgauKorn in Baden-Württemberg macht das vor. Hier wird schon seit vielen Jahren pestizidfrei Brotgetreide angebaut. "Die Kosten für das Getreide wirken sich so marginal auf den Brotpreis aus, da muss der Verbraucher nicht mehr bezahlen", so Neumeister. Damit weniger Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden, brauche es klare staatliche Rahmenbedingungen wie eine Pestizid-Steuer.
Braucht es eine nationale oder EU-weite Pestizid-Steuer?
Je giftiger und gefährlicher, desto höher die Steuer, schlägt Neumeister vor. "Das würde dazu führen, dass weniger giftige Mittel eingesetzt werden und nur dort gespritzt wird, wo es absolut notwendig ist."
Dagegen hält Stephan Sedlmayer, Präsident der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft, wenig von einer Pestizid-Steuer. Durch den Ukraine-Krieg hätten Landwirte bereits mit höheren Kosten zu kämpfen, Pflanzenschutzmittel seien außerdem sowieso schon teuer. Er sieht vor allem den Ausbau des Öko-Landbaus als eine wirksame Maßnahme, das bayerische Reduktionsziel zu erreichen. "Wir wollen den Öko-Landbau bis zum Jahr 2030 auf 30 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche ausbauen", sagt er BR24.
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Weniger Pestizide durch mehr Öko-Landbau in Bayern
Derzeit liegt die Öko-Landwirtschaft bei einem Flächenanteil von 13 Prozent in Bayern. Der Präsident der Landesanstalt für Landwirtschaft verweist aber auch auf die Politik. "Ob wir dieses ambitionierte Reduktionsziel erreichen, hängt auch davon ab, welche Förderung es dafür geben wird." Und auch der Verbraucher müsse sich beteiligen und teurere Öko-Produkte nachfragen. Zielführend sei ein Bündel an Maßnahmen: Mehr Öko-Landbau, moderne Roboter-Technik, die mechanisch Unkraut bekämpft oder altbewährte Pflanzenbautechniken.
Ob Bayern sein Ziel, den Pestizid-Einsatz zu halbieren, erreicht, will der Landesbund für Vogelschutz weiter kritisch beobachten. "Eine bloße Reduktion der Mengen macht keinen Sinn, da es unter Umständen nur dazu führen würde, dass wirksamere Pestizide in kleinerer Menge ausgebracht werden", so der LBV-Vorsitzende Schäffer.
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