Präventionsbroschüre zum Fall des Pfarrers und Missbrauchstäters Alfons Langwieder in Poing.
Bildrechte: BR/ Markus Kaiser

Nachdem die Gemeinde Poing erst jetzt erfahren hat, dass ihr ehemaliger Pfarrer ein Missbrauchstäter war, beginnt nun die Aufarbeitung.

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Pfarrer war Missbrauchstäter: Pfarrei erfährt es 38 Jahre später

Lange ahnten viele Gemeindemitglieder in Poing nicht, dass der anonyme "Fall 45" im Münchner Missbrauchsgutachten ihr ehemaliger Pfarrer ist. Jetzt wissen sie es - wie geht die Pfarrgemeinde damit um?

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Vor zwei Wochen versetzte das Erzbistum München und Freising die Pfarrgemeinde in Poing im Landkreis Ebersberg in Aufruhr: Das Bistum gab bekannt, dass ein ehemaliger Pfarrer, der 30 Jahre lang zwischen 1967 und 1997 die Pfarrei geleitet hatte, dort Missbrauch begangen hat.

Opfer ermöglicht Meldung an die Pfarrgemeinde

Anfang vergangenen Jahres wurde das Missbrauchsgutachten für die Erzdiözese München und Freising veröffentlicht. Die darin dokumentierten Fälle waren weitgehend anonymisiert. Doch jetzt wollte ein weiterer Missbrauchsbetroffener nicht mehr anonym bleiben. Er hatte sich bereits 2019 beim Erzbistum gemeldet und angegeben, mit 14 Jahren als Ministrant von Pfarrer Alfons Langwieder sexuell missbraucht worden zu sein. Erst mit seiner Zustimmung konnte jetzt die Gemeinde im Sonntagsgottesdienst informiert werden. Die Pfarrgemeinde ruft weitere Betroffene auf, sich zu melden.

Alfons Langwieder: "Fall 45" im Missbrauchsgutachten

Der "Fall 45" im Missbrauchsgutachten: Darin geht es um Pfarrer Alfons Langwieder, der von 1967 bis 1997 in Poing tätig war, davon zwölf Jahre lang als verurteilter Missbrauchstäter, ohne dass die Gemeindemitglieder von der Verurteilung erfahren haben.

1985 war Langwieder wegen sexuellen Missbrauchs an einem 15-jährigen Ministranten zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Der damalige Generalvikar Gerhard Gruber hatte vom Strafbefehl gewusst. Doch das Erzbistum München und Freising hatte trotz der Verurteilung keine Konsequenzen gezogen, hatte Alfons Langwieder nicht aus der Seelsorge entfernt, sodass er weiterhin Kontakt mit Kindern und Jugendlichen haben konnte. Pfarrer Langwieder blieb noch weitere zwölf Jahre in der Pfarrgemeinde. Dafür entschuldigte sich der jetzige Generalvikar Christoph Klingan kürzlich in Poing, wo er selbst drei Jahre lang Pfarrer war.

Als sich 2019 ein weiteres mutmaßliches Opfer von damals meldet, wurden die Gemeindemitglieder erneut nicht informiert, weil der Betroffene zu diesem Zeitpunkt anonym bleiben wollte.

Weitere Missbrauchsversuche kommen ans Licht

Erst 38 Jahre nach Langwieders Verurteilung erfuhren nun auch die Gemeindemitglieder von den Missbrauchstaten. Viele Gottesdienstbesucher, die dabei waren, beschreiben die Nachricht als "Schock". Ehemalige Mitglieder von Kirchenverwaltung und Pfarrgemeinderat sagen: "Wir haben nichts gemerkt." Manche Gläubige in Poing waren hingegen gar nicht überrascht: "Man hat gemunkelt, gewusst hat keiner etwas", sagt eine Gottesdienstbesucherin dem BR. Dass sogar ihr Sohn in seiner Zeit als Ministrant beinahe Opfer von Missbrauch geworden wäre, erfuhr sie erst jetzt.

"Er hat daheim nie etwas gesagt", erinnert sich die Mutter. Als sie erfahren habe, dass der Pfarrer ein Missbrauchstäter war, habe sie ihren Sohn angesprochen, habe gefragt, was damals in der Ministrantenzeit passiert sei. "Dann hat er erzählt, er und sein Cousin hätten ministriert, am Donnerstagabend. Dann sagte der Herr Pfarrer: 'Geht mal mit ins Büro.' Dort hat er dann gefragt: 'Möchtet ihr mal sehen, wie das da geht?'", schildert sie die Erinnerungen ihres Sohnes. Sie macht eine eindeutige Handbewegung in Richtung Unterleib. Ihr Sohn und sein Cousin seien daraufhin abgehauen. Deshalb erschüttere ihren Sohn die Nachricht vom Missbrauch durch Alfons Langwieder tatsächlich nicht.

Pfarrer: "Choleriker" mit "legendären" Bußgottesdiensten

Alfons Langwieder ist 2017 gestorben. Manche Poinger beschreiben ihn als Choleriker, der Kinder im Kommunionsunterricht geschlagen haben soll. Langwieder war in Poing auch bekannt für seine besonderen Predigten, für seine "legendären" Bußgottesdienste. Er soll ein Pfarrer gewesen sein, der in der Gemeinde viel gestemmt hat: den Kindergartenneubau, das Pfarrheim. "Aber, dass er so ein schlechter Mensch war und sich an Kindern vergangen hat – für mich unvorstellbar", sagt ein Gottesdienstbesucher. Es sei gut, dass sich Betroffene offenbart hätten und die Taten so ans Licht gekommen seien. "Es hat gut getan, dass man Kirche auch mal so erlebt: Zu den Fehlern zu stehen", sagt eine andere Gottesdienstbesucherin.

Trotzdem beschäftigt viele in Poing die Frage, warum die Gemeindemitglieder die ganze Wahrheit über ihren Pfarrer erst so spät erfahren haben. Relevante Unterlagen aus der Personalakte von Pfarrer Alfons Langwieder – über den sexuellen Missbrauch und seine Verurteilung 1985 – hatte der damalige Generalvikar Gerhard Gruber in seiner persönlichen Ablage aufbewahrt, wo sie bis 2010 lagerten.

Supervisor begleitet Pfarrei, um mit Situation umzugehen

Wie geht es in Poing nun weiter? Wie begleitet das Erzbistum München und Freising den Prozess der Aufarbeitung? Nachdem das Missbrauchsgutachten der Erzdiözese veröffentlicht worden war, hatte die Bistumsleitung versprochen, sie wolle Pfarrgemeinden mit dem Thema Missbrauch nicht mehr allein lassen. Laut Angaben des Ordinariats werde in Zukunft ein erfahrener, anerkannter Supervisor vonseiten der Erzdiözese in Poing vor Ort sein, um die Gemeinde dabei zu unterstützen, mit der Situation umzugehen, aber auch bei möglichen Aktionen in der Pfarrei.

Betroffenen, Angehörigen und Menschen mit Gesprächsbedarf stehe das Team der Stabsstelle für Beratung und Seelsorge für Betroffene von sexuellem Missbrauch kostenlos und auf Wunsch auch anonym zur Verfügung.

  • Zum Artikel: Schweigen und Vertuschen: Die Todsünden der katholischen Kirche

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