Den Brunnen im Garten zum Gießen nutzen, unbeschwert das Wasser aus der Leitung trinken – Alltag für viele Menschen in Bayern. Doch an immer mehr Standorten werden diese Selbstverständlichkeiten zum Problem: Böden, Gewässer und sogar das Grundwasser sind mit gesundheitsgefährdenden PFAS belastet.
Was sind PFAS?
Die Abkürzung PFAS steht für per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen oder -verbindungen. Früher wurden diese Stoffe auch oft PFC genannt – per- und polyfluorierte Chemikalien. Sie sind Industriechemikalien, die in der Natur nicht vorkommen und auch nicht abgebaut werden.
Es gibt mehr als 4.700 PFAS, die bestuntersuchten sind PFOS (Perfluoroktansulfonsäure) und PFOA (Perfluoroktansäure), die schon seit den 1950er Jahren produziert werden. Viele Industriebetriebe, Gemeinden und die Bundeswehr haben PFAS-haltige Produkte lange Zeit legal genutzt. Die Gefährlichkeit der Stoffe entdeckten Wissenschaftler erst später.
Warum wurden sie so vielseitig eingesetzt?
PFAS verleihen ganz unterschiedlichen Materialien wasser-, fett- und schmutzabweisende Eigenschaften, deshalb stecken sie in atmungsaktiver, aber wasserabweisender Outdoor-Kleidung, schmutzabweisenden Teppichen, Kaffeebechern aus Pappe oder Bratpfannen.
PFAS-haltige Feuerlöschschäume haben eine bessere Wirkung, weil durch den Zusatz auf brennbaren Flüssigkeiten oder auf geschmolzenen Oberflächen ein dünner Wasserfilm entsteht. Er hält brennbare Gase zurück, gleichzeitig schottet der Wasserfilm die Oberfläche gegenüber dem Feuer ab, was eine Rückzündung verhindert.
Wo in Bayern belasten PFAS Boden und Wasser?
Mittlerweile gibt es in jedem der sieben Regierungsbezirke Bayerns mehrere bestätigte Belastungen von Wasser und Boden durch PFAS. Die folgende interaktive Karte zeigt, wo sich bestätigte Verschmutzungen und Verdachtsfälle häufen und wer in der Verantwortung steht, die Schäden zu untersuchen und zu sanieren.
Wählen Sie einen Standpunkt aus, um zu erfahren, ob dort noch untersucht wird oder ob bereits eine Belastung bestätigt wurde:
Grafik: Wo in Bayern belasten PFAS Boden und Wasser?
Welche gesundheitlichen Folgen hat eine PFAS-Belastung?
Einige PFAS binden sich im Körper an Proteine im Blut, in den Nieren und der Leber. Einige werden sehr langsam ausgeschieden und können sich deshalb im Körper anreichern. Etliche PFAS gelten als giftig, krebserregend und können eine ganze Reihe verschiedener Gesundheitsschäden verursachen. Leberschäden, Nierenkrebs, erhöhtes Cholesterin: Das sind etwa Krankheiten, die laut einem Briefing der Europäischen Umweltagentur (EEA) mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Effekte von PFAS zurückzuführen sind.
Eine Belastung mit PFAS führt aber nicht zwangsläufig zu gesundheitlichen Problemen. Die Kommission Human-Biomonitoring (HBM) des Umweltbundesamtes hat einen unteren und einen oberen Schwellenwert für PFAS im Blutplasma festgelegt. Wird der untere überschritten, sind gesundheitliche Auswirkungen nicht ausgeschlossen – wird der obere überschritten, sind Schäden gut möglich, müssen aber nicht auftreten.
Das Bayerische Landesamt für Gesundheit hat im Sommer 2022 eine Studie zu Blutuntersuchungen in belasteten und nicht belasteten Gemeinden veröffentlicht. So wollte das Landesamt herausfinden, ob sich eine PFAS-Belastung in der Umwelt (Boden, Gewässer, Grundwasser) in der Bevölkerung niederschlägt. Das Ergebnis: Eine flächendeckende Aufnahme von PFAS über Trinkwasser oder Lebensmittel kann für die Bevölkerung in allen untersuchten Regionen ausgeschlossen werden – also auch den belasteten Gegenden.
Das Umweltbundesamt allerdings hatte vor zwei Jahren in einer repräsentativen Studie nachgewiesen, dass in Deutschland Kinder und Jugendliche zwischen drei und 17 Jahren zu viele der langlebigen Chemikalien im Blut haben. In einem Fünftel der untersuchten Proben lag die Konzentration für Perfluoroktansäure (PFOA) über dem von der Kommission Human-Biomonitoring festgelegten unteren Schwellenwert.
Und auch im Landkreis Altötting ist bekannt, dass die Belastung der Umwelt ebenfalls zu einer Belastung der Bevölkerung führte: Tests im Jahr 2018 ergaben, dass die Konzentration von PFOA im Blutplasma im Schnitt deutlich über dem Wert liegt, der als "möglicherweise gesundheitsgefährdend" gilt.
Wer ist für die Belastungen im Boden und Wasser verantwortlich?
Wie die Karte oben deutlich zeigt, lassen sich die meisten PFAS-Belastungen – bestätigte Fälle sowie Verdachtsfälle – in Bayern auf Industriebetriebe und aktuelle bzw. ehemalige Bundeswehr-Standorte zurückführen. Ehemalige Liegenschaften der Bundeswehr wie der Flugplatz Penzing gehören heute der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BIMA). Alle diese "Verursacher" haben PFAS-haltige Produkte lange Zeit legal genutzt und in die Umwelt eingebracht. Dass diese Stoffe gefährlich sein können, stellte die Wissenschaft erst später fest.
Die Kontaminationen bei der Bundeswehr und den ehemaligen Bundeswehr-Standorten kommen hauptsächlich von PFAS-haltigen Löschschäumen. Die Bundeswehrfeuerwehr setzte diese jahrzehntelang auf Flugplätzen ein. Dabei gelangten die PFAS in Böden, Gewässer und ins Abwasser in der näheren Umgebung. Mit dem Regen können sie aus Böden ins Grundwasser oder in Bäche und Flüsse geschwemmt werden und von dort aus weiter ins Meer.
Auch in großen Industriebetrieben oder bei Gemeinden und Landkreisen war die Quelle oftmals Löschschaum. Wenn PFAS mit der Abluft aus Industrieanlagen entweichen, gelangen sie nicht nur in die nähere Umwelt – an Partikeln haftende PFAS können in der Luft weit "reisen", weil die Substanzen chemisch extrem stabil sind. Mit Regen und Schnee landen sie deshalb auch in Böden und in Gewässern und im Meer weitab von Industrie und Siedlungen, sogar in den Polarregionen.
Was passiert mit PFAS, wenn sie einmal in Umlauf sind?
PFAS gehören zu den sogenannten "Ewigkeitschemikalien" – chemisch ausgedrückt: Sie sind persistent, werden also in der Umwelt nicht durch Sonnenlicht oder Mikroorganismen abgebaut.
Langkettige PFAS (z.B. PFOA und PFOS) verbleiben in Böden und Sedimenten und sie reichern sich entlang der Nahrungskette an, an deren Ende schließlich der Mensch steht. Trinkwasser ist nur dann eine Quelle, wenn es durch besondere Schadensfälle mit PFAS belastet wurde – wie etwa im Kreis Altötting.
Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes, sagte dem BR im Juni 2022: "Welche Schäden die langlebigen PFAS in der Umwelt auf Dauer anrichten können, ist häufig noch unerforscht. Wir versuchen daher, gemeinsam mit anderen europäischen Ländern, diese Stoffe in der EU so weit wie möglich zu verbieten. Dies ist aus Vorsorgegründen der richtige Schritt."
Die folgende Tabelle gibt eine Übersicht über alle dem Bayerischen Staatsministerium für Umwelt- und Verbraucherschutz und der Bundeswehr bekannten bestätigten Fälle von PFAS-Belastungen sowie die Verdachtsfälle in Bayern. Außerdem wird zusammengefasst, wer verantwortlich ist, welche Gewässer betroffen sind und wo die Aufarbeitung steht:
Tabelle: PFAS in Bayern
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Wie reagierten die verantwortlichen Stellen und Behörden bisher?
Die Problematik mit Löschschäumen ist schon länger bekannt. Der bekannteste Stoff, der in den Löschschäumen verwendet wurde, heißt PFOS. Er ist sehr toxisch und seit 2006 in der EU verboten, durfte aber unter anderem in Löschschäumen bis 2011 verwendet werden. Die Tabelle mit dem aktuellen Stand von Behörden und Bundeswehr zeigt: Vielerorts ist man im Jahr 2022 trotz dieses Wissens und des EU-Verbotes noch nicht über Untersuchungen und Gutachten hinausgekommen.
Die Bundeswehr etwa begann erst 2015 systematisch nach Kontaminationen zu suchen. Aktuell werden alle Standorte auf PFAS-Verunreinigungen überprüft. Ziel ist es laut Bundeswehr, festzustellen, ob für die bekannten Kontaminationen Gefahrenabwehrmaßnahmen erforderlich sind.
Sanierungen werden aktuell an keinem Standort der Bundeswehr deutschlandweit durchgeführt – mit drei Standorten befindet sich die Bundeswehr eigenen Angaben zufolge in der Sanierungsplanung. Am Flugplatz Manching etwa soll der Bundeswehr zufolge im Herbst 2023 mit der Sanierung begonnen werden. Zivile Flugplätze wie in Nürnberg oder Düsseldorf sanieren bereits seit Jahren.
Im Landkreis Altötting wurde die Belastung von Gewässern und Grundwasser mit PFAS im Jahr 2006 durch Mitglieder der Umweltschutzorganisation Greenpeace entdeckt. Sie war in einem Industriepark entstanden. Daraufhin folgten immer wieder Bodengutachten, Wassertestungen und auch Blutuntersuchungen der Bevölkerung – die letzte davon wurde im Sommer 2022 ausgewertet.
Die Belastung der Umwelt und auch der Einwohner mit PFAS ist mittlerweile bestätigt. Auch hier gab es viel Kritik am langsam Handeln der öffentlichen Stellen und der verantwortlichen Chemieunternehmen sowie am Vorgehen der örtlichen Behörden, wenn es darum ging, die Bürger und Bürgerinnen zu informieren.
Was kann man überhaupt gegen eine PFAS-Belastung tun?
Da PFAS extrem stabile "Ewigkeitschemikalien" sind, lassen sie sich nur bei sehr hohen Temperaturen zerstören. Die Temperatur beim Verbrennen sollte mindesten 1.000 bis 1.100 Grad betragen, sonst fliegen PFAS einfach weg. Sie sollten deswegen in Anlagen für Sondermüll verbrannt werden.
Setzt man Böden einer Behandlung unter solchen Temperaturen aus, verlieren sie alle typischen Bodeneigenschaften, sind biologisch tot und für das Pflanzenwachstum nicht mehr geeignet. Aus dem grobkörnigen Teil des Bodens lassen sich PFAS herauswaschen, das Waschwasser und die feinkörnige Fraktion müssen dann noch weiterbehandelt werden, zuletzt wieder in einer Verbrennungsanlage.
Grundwasser lässt sich mithilfe von Aktivkohlefiltern reinigen – ein solcher Filter wird etwa in der Gemeinde Burgkirchen im Landkreis Altötting eingesetzt. Allerdings sind die Filter bei einigen PFAS schnell "beladen" und müssen häufig ausgetauscht werden. Es wird an Verfahren geforscht, mit denen die Filter länger funktionsfähig bleiben.
Das Umweltbundesamt hält Ionenaustauscher für vielversprechend, aber auch die Behandlung des Wassers mit Ultraschall (Sonolyse), bei der die PFAS ohne unerwünschte Nebenprodukte vollständig zerstört werden. Umkehrosmose und Nanofiltration könnten sich eignen, wenn sie speziell für PFAS weiterentwickelt werden.
Welche weiteren Folgen und Kosten müssen Menschen aufgrund von Belastungen tragen?
Die Folge von PFAS-Kontaminationen sind für Anwohner häufig Auflagen durch die zuständigen Landratsämter. Bei Hausbauten kann es dadurch zu erheblichen Mehrkosten kommen. In Manching dürfen die Menschen seit Jahren in ihren Gärten nicht mehr mit Wasser aus ihren Brunnen gießen. Auch Landwirte haben an verschiedenen Orten mit PFAS-Verunreinigungen im Boden ein Bewässerungsverbot für Brunnen erhalten.
An betroffenen Orten wurden Lebensmittel-Monitorings auf PFAS-Rückstände durchgeführt. In Neuburg an der Donau gibt es eine Verzehrwarnung vom Landratsamt für Fische aus Weihern neben dem Flugplatz. In einigen Gemeinden im Landkreis Altötting können die Menschen erst seit der Installation von Aktivkohlefiltern wieder ohne Bedenken Leitungswasser trinken.
Gibt es Ersatzstoffe für PFAS?
Häufig wird versucht, langkettige PFAS durch kurzkettige PFAS oder andere fluorhaltige Chemikalien zu ersetzen. Diese reichern sich offenbar nicht so stark in der Nahrungskette an, sie sind aber ebenfalls persistent, gehören also zu den problematischen "Ewigkeitschemikalien".
Bei Textilien werben immer mehr Hersteller damit, dass ihre Produkte "PFC-frei" (also PFAS-frei) seien. Mehrere Alternativen sind bereits entwickelt und werden erforscht, etwa Stoffbeschichtungen, die auf langen Paraffinketten basieren oder Imprägniersprays mit Wachsen oder Silikonen.
In Erwartung eines generellen Verbots fluorhaltiger Feuerlöschschäume in der EU in wenigen Jahren haben die Hersteller fluorfreie Produkte für unterschiedliche Feuertypen entwickelt. Zur Befüllung von Handfeuerlöschern sind Schäume erhältlich, deren Inhaltsstoffe gut biologisch abbaubar sein sollen. Wenn allerdings große Mengen Benzin oder Heizöl brennen, ist die Feuerwehr wohl weiterhin auf Schäume mit Fluorverbindungen wie PFAS angewiesen.