David Spectra Jeldrikl Blackwell sitzt vor einem Schminktisch mit einem Schminkpinsel in der Hand.
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Blackwell ist nichtbinär, identifiziert sich also weder als Mann, noch als Frau.

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Pride Weeks: Was bedeutet es, nichtbinär zu sein?

Pride Weeks in Nürnberg: Die Stadt feiert die Vielfalt. Und dazu gehören neben Schwulen, Lesben und trans Personen auch nichtbinäre Menschen. Wie lebt es sich, wenn man sich weder als Mann noch als Frau fühlt?

Über dieses Thema berichtet: Frankenschau aktuell am .

Bei den Nürnberger Pride Weeks steht die Vielfalt im Mittelpunkt. Dazu gehören neben Schwulen, Lesben und trans Personen auch nichtbinäre Personen. Bekanntheit hat diese Personengruppe unter anderem durch den "Eurovision Song Contest" (ESC) in diesem Jahr erlangt. Dort räumte die nichtbinäre Person "Nemo" mit dem Song "The Code" den ersten Platz ab. "Nemo" singt: "Mein Herz schlägt irgendwo zwischen Null und Eins". Aber was bedeutet das?

Was ist nichtbinär?

"Nichtbinär ist ein Oberbegriff für Menschen, die sich weder dauerhaft in die Schublade 'männlich' noch 'weiblich' einordnen lassen wollen", sagt Norman Anja Schmidt. Schmidt war die erste Person in Nürnberg, die den Geschlechtseintrag zu "divers" geändert hat. 2019 war das – inzwischen leben acht weitere Menschen mit diversem Geschlechtseintrag in Nürnberg, erklärt die Stadt. Die Zahl der nichtbinären Personen ohne neuen Geschlechtseintrag dürfte höher sein, Zahlen gibt es dazu aber nicht. "In Deutschland gibt es keine Studie, die zuverlässige Aussagen über den Anteil nichtbinärer Menschen an der Gesamtbevölkerung geben kann", schreibt der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) auf seiner Website. Internationale Studien kämen auf einen Anteil von 0,1 bis ein Prozent.

Beim Nichtbinär-Sein geht es um die Geschlechtsidentität und weniger um Körpermerkmale, das Erscheinungsbild, die sexuelle Orientierung oder Geschlechterrollen. So geht es auch Schmidt: Die Person möchte nicht das natürliche Geschlecht ändern, es geht eher um das Innenleben. Schmidt schildert: "Ich hatte immer ein sachliches Verständnis dafür. Aber mit 14 hab ich gemerkt, dass ich kein eigenes Gefühl fürs Geschlecht hab. Ich habe in mich reingehört – und da habe ich nichts gehört." Den Begriff "nichtbinär" gab es damals noch nicht. Geoutet hat sich Schmidt erst viel später. "2018 war das, nachdem das Verfassungsgericht die dritte Geschlechtsoption geschaffen hat."

Die nichtbinäre Person David Spectra Jeldrik Blackwell.
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Was bedeutet es, nichtbinär zu sein?

Wie spricht man nichtbinäre Personen an?

Für Menschen, die nicht weiblich oder männlich sind, gibt es im Deutschen keine Pronomen. Das macht die Sache schwierig. "Generell müsste man die Menschen immer fragen, wie sie gerne angesprochen werden möchten", sagt Schmidt. Es gibt verschiedene Varianten: In Briefen kann man zum Beispiel einfach "Guten Tag" schreiben. Komplizierter wird es, wenn man über eine Person redet. Manche nichtbinäre Personen verwenden die Pronomen "they, them" also das englische "sie, ihr" (Plural) anstelle von "er" oder "sie". Schmidt sagt: "Ich hab' am liebsten gar keine Pronomen." Das geht, indem man, wie auch in diesem Text, einfach immer den Namen nennt.

Aber warum sind die kleinen Wörtchen nichtbinären Personen überhaupt so wichtig? Schmidt erklärt, wie sich die Personen fühlen, wenn jemand falsche Anreden benutzt: "Das ist jedes Mal so ein kleiner Stich." Betroffene würden sich in dem, was ihnen wichtig ist, was sie ja auch ausmacht, nicht ernst genommen fühlen. "Das ist problematisch für das Selbstwertgefühl", sagt Schmidt.

"Gemeinsam eine Lösung finden"

David Spectra Jeldrik Blackwell, ebenfalls eine nichtbinäre Person aus Nürnberg, schildert: "Wenn mich Leute absichtlich falsch ansprechen, stört es mich." Blackwell hat sich vor vier Jahren als nichtbinär geoutet. Blackwell ist groß, hat lilafarbene Haare und ein breites Grinsen im Gesicht. Eine wirklich gute Lösung, wie man Menschen ohne Geschlecht in die deutsche Sprache integrieren kann, hat Blackwell aber auch nicht. Blackwell versteht, dass sich viele Menschen mit der Debatte um die inklusive Sprache schwertun. Denn: "Ich kann nicht als kleinste Minderheit von der Masse verlangen, dass sie nach meinem Willen handelt." Um Rücksichtnahme bittet Blackwell aber trotzdem. Und findet: "Wir müssen einfach alle gemeinsam als Gesellschaft eine Lösung finden."

Auf Briefen von Ämtern steht inzwischen "Sehr geehrte Person Blackwell". Im Pass steht inzwischen ein X bei "divers" und darüber Blackwells voller Name: "David Spectra Jeldrik Blackwell". Seit sechs Jahren können Personen ihren Geschlechtseintrag zu "divers" ändern. David musste dafür noch ein Attest vom Arzt vorlegen. Mit einem neuen Gesetz, dem "Selbstbestimmungsgesetz" über das der Bundestag im April abgestimmt hat, sollen Menschen künftig die Möglichkeit haben, ihren Geschlechtseintrag und ihren Vornamen per Selbstauskunft beim Standesamt ändern zu können, schreibt der Bundestag. Wer eine zweite Änderung will, muss dann aber erst einmal ein Jahr warten.

Wechselt das Geschlecht?

Ob die Tendenz bei Blackwell mehr zum Männlichen oder zum Weiblichen geht, sei tagesformabhängig. "Manchmal stehe ich morgens auf und habe Lust auf Make-up und Rock, manchmal eher auf Jeans und T-Shirt." An Blackwells Identität selbst gebe es aber nichts zu rütteln. "Ich werd’ nicht eines Morgens sagen: Jetzt ist mein Geschlecht männlich oder weiblich. Da haben ja viele Leute Angst vor. Aber ich habe mein Geschlecht und das werde ich behalten."

Die Erfahrung hat bislang auch Udo Uebersohn, Leiter der Bürgerdienste in Nürnberg, gemacht. Er erklärt: "Uns ist in Nürnberg kein Fall bekannt, in dem sich eine Person diesem Verfahren in der Vergangenheit wiederholt unterzog."

Und selbst, wenn Menschen durch das neue Gesetz ihr Geschlecht mehrfach wechseln: Schmidt findet das nicht schlimm. Junge Menschen sollen schließlich die Möglichkeit haben, viel auszuprobieren, um sich selbst besser kennenzulernen. Schmidt erzählt: "Ich kenne einige junge Menschen, die sich eine Zeitlang als nichtbinär bezeichnet haben, sich am Ende aber dann doch in einem 'binären' Geschlecht besser wiederfinden."

Der Unterschied zwischen transgender und nichtbinär

Bei nichtbinären Personen geht es um die Geschlechtsidentität. "Das ist so etwas wie ein eingebautes Selbstverständnis des Geschlechts", erklärt Norman Anja Schmidt. Menschen, die "trans" sind, identifizieren sich nicht mit den Geschlechtsmerkmalen, mit denen sie geboren wurden. Schmidt erklärt: "Es gibt eine Schnittmenge zwischen nichtbinär und trans." Viele trans Personen sind aber trotzdem "binär", also entweder ein Mann oder eine Frau. Blackwell erklärt das Ganze am eigenen Körper: "Darin fühle ich mich wohl. Ich mag meinen Penis. Bei mir hat Nichtbinär-Sein nichts mit Körperlichkeit zu tun."

"Nichtbinär" ist in anderen Kulturen ganz normal

In anderen Kulturen gibt es mehr als nur zwei Geschlechter. Die Bundeszentrale für politische Bildung (BPB) beschreibt: "Weltweit existieren Alternativen zu der Zweigeschlechterordnung von Mann und Frau – beispielsweise im indigenen Nordamerika, in Thailand und Indien." Außerdem gibt es Studien, die belegen, dass es schon in der Stein- und Bronzezeit Menschen gab, die weder als Frau noch als Mann gelebt haben.

Ein Beispiel: Laut BPB hatten 155 der ungefähr 400 indigenen Gesellschaften, die zu Beginn der Kolonialisierung in Nordamerika existiert haben, alternative Geschlechter. "Geschlecht wurde dabei als fließend oder wandelbar verstanden", schreibt die BPB. Und: Es wurde von physischen Merkmalen unabhängig betrachtet. Die Menschen waren wohl recht frei in der Auslebung, konnten Männer- und Frauenkleidung tragen und übten Männer- und Frauentätigkeiten aus.

In anderen Regionen leben noch heute gesellschaftlich anerkannte Volksgruppen mit einem dritten Geschlecht. In Indien gibt es laut BPB geschätzt bis zu vier Millionen "hijras" mit dem dritten Geschlecht. Das sei "Mann plus Frau".

Die Beispiele zeigen laut BPB: Das gesellschaftliche Verständnis von Geschlecht kann von Kultur zu Kultur variieren und "ist von gesellschaftlichen Einflüssen abhängig".

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