Eine Testversion der umstrittenen Polizeisoftware „VeRA“ ist auf einem Bildschirm im bayerischen Landeskriminalamt (LKA) zu sehen.
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Eine Testversion der umstrittenen Polizeisoftware „VeRA“ ist auf einem Bildschirm im bayerischen Landeskriminalamt (LKA) zu sehen.

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Bayerns Polizei darf ab August umstrittene Software einsetzen

Wichtiges digitales Werkzeug für Ermittler oder tiefer Eingriff in Grundrechte? Bayerns Polizei darf ab August die umstrittene Palantir-Software VeRA einsetzen. Das beschloss der Landtag mit den Stimmen von CSU, FW und AfD. Die SPD erwägt eine Klage.

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Es ist ein riesiger Datenberg: Informationen zu mehr als 30 Millionen Menschen hat die bayerische Polizei in unterschiedlichen Systemen gespeichert, wie der Datenschutzbeauftragte des Freistaats, Thomas Petri, erläutert. Es sind Menschen, die in irgendeiner Form mit der Polizei zu tun hatten: als Tatverdächtige, Zeugen, Opfer. Zum Schutz vor Verbrechen soll die Polizei nun diese vielfältigen Daten präventiv mithilfe der umstrittenen Software VeRA (Verfahrensübergreifende Recherche und Analyse) schnell und unkompliziert durchsuchen können.

Der Datenschutzbeauftragte schlägt Alarm: Mit dem Einsatz dieser Software der US-Firma Palantier könnten künftig routinemäßig "nahezu täglich" Millionen Menschen auf kriminelle Machenschaften hin überprüft werden - egal, "ob die Personen etwas sich haben zuschulden kommen lassen oder nicht". Das sei "unter Verhältnismäßigkeit Gesichtspunkten sehr bedenklich". Horst Arnold, SPD-Rechtsexperte im Landtag und Ex-Staatsanwalt, teilt die Kritik. Von einer VeRA-Abfrage wären demnach "viele Unbeteiligte" betroffen. In Polizei-Datenbanken seien auch Zeugen eines Unfalls erfasst oder Menschen, die am Bahnhof kontrolliert worden seien. "Sind Sie nur zwei- oder dreimal am falschen Platz, kann es sein, dass Sie bei dieser Recherche einen auffälligen Treffer haben."

Wie genau der VeRA-Algorithmus funktioniert, auf welcher Grundlage Verknüpfungen von Daten erstellt werden, ist dabei unklar - beziehungsweise Betriebsgeheimnis des Software-Herstellers Palantir. Nachdem die umstrittene Software bereits vorübergehend getestet wurde in Bayern, darf sie nun von August an regulär eingesetzt werden. Mit den Stimmen von CSU, Freien Wählern und AfD beschließt der Bayerische Landtag eine entsprechende Änderung des Polizeiaufgabengesetzes. SPD und Grüne stimmen dagegen.

Video: Bayerische Polizei erhält umstrittene Software "VeRA"

Schriftzug Palantir auf einem Mobilgerät
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Bayerische Polizei erhält umstrittene Software "VeRA"

Kritik von SPD und Grünen

Der SPD-Rechtsexperte Arnold beklagt, dass beim geplanten VeRA-Einsatz künftig ohne Erlaubnis eines Richters der Datenauswertung Tür und Tor geöffnet sei. Selbst Daten zu Berufsgeheimnisträgern - wie Anwälten, Ärzten und Journalisten - könnten ausgewertet werden. Arnold verlangt daher, nur einen Teil der Daten für die VeRA-Recherche zuzulassen.

Ähnlich wie Arnold kritisiert auch der Grünen-Digitalexperte Benjamin Adjei, dass die bayerische Rechtsgrundlage nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum Einsatz von VeRA entspreche. "VeRA greift tief in den persönlichen Kernbereich der Lebensführung der Menschen ein."

Zugleich verweist er darauf, dass der Bund auf dem Weg sei, die unterschiedlichen Polizei-Systeme und Datenbanken der Bundesländer und des Bundes zu verbinden und harmonisieren. Bei den Ermittlungen zur Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds beispielsweise sei das Hauptproblem gewesen, "dass man über die Bundeslandgrenzen hinaus nicht zusammengearbeitet hat". Und genau dieses Problem werde nun durch eine eigene bayerische Lösung wieder nicht gelöst. Viele andere Bundesländer und der Bund hätten bereits gesagt, "dass sie sich der bayerischen Lösung nicht anschließen werden".

Innenminister: "Wichtiger Schritt"

Dagegen betonte Innenminister Joachim Herrmann (CSU), das Gesetz sei ein wichtiger Schritt, um der bayerischen Polizei auch in Zukunft eine effektive Gefahrenabwehr zu ermöglichen und "sicherzustellen, dass wir technologisch auch in unseren Sicherheitsbehörden auf der Höhe der Zeit sind". Die Schaffung einer Rechtsgrundlage für eine Recherche- und Analyseplattform sei notwendig, "um mit den technischen, den digitalen und rechtlichen Entwicklungen der heutigen Zeit Schritt zu halten".

Kriminalbeamte hätten all die Daten auch bisher schon auswerten können. "Das einzige, was diese Software besser kann: Sie kann eine Fülle von Dateien gleichzeitig anschauen, auswerten", betont der Minister. "Ich denke, dass so eben Gefährder und Banden schneller ermittelt werden können. Es können Netzwerke entdeckt werden und mögliche Opfer geschützt werden sowie Straftaten möglichst im Vorhinein verhindert werden." Der CSU-Politiker verwies darauf, dass in Hessen und Nordrhein-Westfalen eine sehr ähnliche Software der gleichen Herstellerfirma eingesetzt werde.

SPD will Klage prüfen

Wolfgang Hauber von den Freien Wählern sagt, VeRA unterstütze die Polizei im Einzelfall bei der zielgerichteten Recherche im eigenen Datenbestand. Die Software ermögliche es berechtigten Sacharbeitern, vielfältige Daten automatisiert nach bestimmten Suchbegriffen zu durchsuchen. "Insbesondere zum Erkennen krimineller Netzwerke und Banken sowie extremistischer Bestrebungen müssen die Ergebnisse schnell und unter geringem Aufwand vorliegen."

Der AfD-Abgeordnete Richard Graupner argumentiert: "Wenn Kriminelle, vor allem auch organisierte Kriminelle und Terroristen, organisatorisch, technisch und personell aufrüsten, dann kann und darf der Staat und die Polizei hier nicht untätig bleiben." Es gelte, den Kriminellen immer einen Schritt voraus zu sein. Graupner sieht die "Verhältnismäßigkeit im Allgemeinen gut gewahrt". Ob dies tatsächlich der Fall ist, könnten letztlich Richter entscheiden: Die SPD-Fraktion will eine Verfassungsklage prüfen.

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