In den frühen Morgenstunden des 7. Dezember 2022 durchsuchten rund 3.000 Einsatzkräfte mehr als 150 Objekte in ganz Deutschland. Im Fokus der Ermittler: eine Gruppe von mutmaßlichen Reichsbürgern, die laut Generalbundesanwalt mit Waffengewalt die Regierung stürzen wollte. Einer der 55 Beschuldigten ist Harald P. aus dem Landkreis Schweinfurt in Unterfranken. Doch die Spur des IT-Fachmanns führt vor allem nach Mittelfranken. Das zeigen gemeinsame Recherchen von Bayerischem Rundfunk, Nürnberger Nachrichten und Weißenburger Tagblatt.
Bei ihrer Razzia fuhren die Einsatzkräfte auch auf dem Hof eines Anwesens in Osterdorf vor, einem kleinen Ortsteil von Pappenheim im Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen. Dort durchsuchten sie die Lagerfläche einer Scheune, die Harald P. bei einem Mann aus Osterdorf angemietet hat.
Beschuldigter soll "militärischen Arm" der Reichsbürger unterstützt haben
"Die Polizisten sind mit drei Mannschaftswagen gekommen und zwei Zivilautos. Mit Maschinenpistolen waren sie hier im Hof gestanden. Ich wollte gerade in die Arbeit. Und dann haben sie mir den Durchsuchungsbefehl gezeigt und die Scheune durchsucht", erinnert sich der Vermieter. Die Polizeibeamten beschlagnahmten auch Gegenstände aus der Scheune. Laut Mietvertrag, der dem Rechercheteam vorliegt, gab der Terrorverdächtige eine Adresse in Treuchtlingen als Wohnort an.
Nach Angaben der Ermittler soll Harald P. bei der mutmaßlichen Terrorgruppe den "militärischen Arm" unterstützt haben, der Waffen beschaffen und eine abhörsichere IT-Struktur aufbauen sollte. Zudem hätten Mitglieder dieses "militärischen Arms" laut Einschätzungen der Behörden während eines gewaltsamen Umsturzes Personen "festnehmen und exekutieren" sollen.
Mutmaßlicher Terrorist war für IT an Schulen verantwortlich
Die Durchsuchung der Scheune in Osterdorf erregte viel Aufmerksamkeit im kleinen Ortsteil. "Wir sind eigentlich immer noch entsetzt", sagte eine Nachbarin dem Rechercheteam. Viele in dem 265-Seelen-Dorf können noch immer nicht fassen, dass auch Osterdorf nun in den Blickpunkt der Öffentlichkeit geraten ist.
Doch die Spuren von Harald P. finden sich auch an anderer Stelle. So war der mutmaßliche Terrorist bis zur Festnahme für den technischen Betrieb der IT an zwei Schulen in Pleinfeld verantwortlich, ebenfalls im Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen. Und zwar an einer Grund- und an einer Mittelschule.
Beschuldigter hatte umfangreichen Zugriff
Vor allem an der Mittelschule hat er den Recherchen zufolge umfangreiche Zugriffsmöglichkeiten gehabt, beispielsweise die Passwörter für die Verwaltung erstellt. Beauftragt wurde Harald P. von der Marktgemeinde Pleinfeld, weil diese für die Schulen zuständig ist.
Stefan Frühwald, der zuständige CSU-Bürgermeister von Pleinfeld, sagte ein Interview zunächst zu, um es dann kurzfristig wieder abzusagen. Nun stehen auch Befürchtungen im Raum, dass Harald. P. gezielt sensible Daten aus den Schulen habe abfragen können, beispielsweise die von Schülern mit Migrationshintergrund. Mitarbeiter in der Verwaltung in Pleinfeld zeigten sich fassungslos.
Schulen wurden nicht von Ermittlungsbehörden informiert
Theoretisch habe P. als Administrator über die unterschiedlichen Lese- und Zugriffsrechte die gesamte elektronische Kommunikation an der Schule verfolgen können, meint der Nürnberger IT-Spezialist und Prozess-Experte Mesut Yavuz, der Berliner Behörden bei der Digitalisierung berät. Er hält in der Rückschau diese Erlaubnisse für "sehr gefährlich". P. habe auch einsehen können, ob ein Schüler förderfähig ist, bei wem eine ärztliche Bescheinigung über besondere Erkrankungen hinterlegt ist und welche Elterngespräche geführt worden sind. Auch die Mailadressen könne so ein "Super-Admin" abrufen, sagt Yavuz.
Ein Verwaltungsmitarbeiter von Pleinfeld, der vom Rechercheteam über die Hintergründe informiert worden ist, bestätigte diese Einschätzung. Der tiefe Zugriff ins System sei grundsätzlich besorgniserregend. Er wunderte sich darüber, dass weder Schule noch Schulamt von den Ermittlungsbehörden darüber in Kenntnis gesetzt worden sind, dass ein "Reichsbürger" die Schulkommunikation überwacht hat. Nach der Medienanfrage wurden die Zugriffsrechte von Harald P. gesperrt.
Geschäftliche Beziehungen zur lokalen Bürgerinitiative
So sehr der mutmaßliche Terrorist den demokratischen Rechtsstaat verachtet haben mag: Er hat sich mit seinen Einrichtungen, Organisationen und Gruppen gut arrangiert – und davon offenbar profitiert. In Altmühlfranken hat sich P. ein großes Netzwerk aus persönlichen Bekanntschaften aufgebaut, wie die Recherchen ergeben haben. Seit mehreren Jahrzehnten kenne man ihn in der Gegend um Pleinfeld als IT-Fachmann, berichtet ein Bürger.
So half er kurzzeitig auch der Bürgerinitiative "Seenland in Bürgerhand", die sich gegen das geplante Tourismusprojekt von Center Parcs am Brombachsee im Jahr 2020 formierte. Die Bürgerinitiative betont, dass sie nur "geschäftlich mit seiner Firma" zu tun gehabt habe. Eine politische Einflussnahme des Terror-Verdächtigen habe es demnach nicht gegeben. Wie die Recherchen zeigen, hat P. auch Software-Produkte für Bootsliege- und Campingplätze im Seenland geliefert und mit ortsansässigen Firmen Geschäfte gemacht.
Mutmaßlicher Terrorist sitzt in Untersuchungshaft
Harald P. sitzt seit der Razzia in Untersuchungshaft. Die Ermittler sind sich sicher, dass sie genügend belastendes Material haben, um die mutmaßliche Terror-Gruppe anklagen zu können. Eine Anfrage an den Verteidiger von Harald P. zu den Vorwürfen blieb bisher unbeantwortet.
Die Bundesanwaltschaft hatte am 7. Dezember 25 Menschen festnehmen lassen, darunter auch frühere Bundeswehroffiziere und Polizeibeamte. Den Beschuldigten wirft sie vor, Mitglieder einer terroristischen Vereinigung zu sein, die das politische System stürzen wollte.
Über das Thema berichten die Nürnberger Nachrichten und das Weißenburger Tagblatt heute (02.02.2023) zudem in ihren Printausgaben.
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