Nach vier Verhandlungstagen verkündete das Schöffengericht eine Entscheidung, die sich während des Prozesses abgezeichnet hatte. Wegen verminderter Schuldfähigkeit beläuft sich das Strafmaß auf zwei Jahre Freiheitsentzug, die zur Bewährung ausgesetzt werden. Dazu wurde ein Tierhalteverbot für fünf Jahre ausgesprochen. Zusätzlich muss der Landwirt 5.000 Euro an eine Tierschutzorganisation zahlen. Außerdem bekam er die Auflage, sich zur Behandlung seiner depressiven Störung in eine Therapie zu begeben.
Die Anklage lautete auf Tiertötung in Tateinheit mit quälerischer Tiermisshandlung durch Unterlassen. Bereits zur Eröffnung des Hauptverfahrens hatte der Landwirt die Vorwürfe vollumfänglich eingeräumt und um Entschuldigung für das Tierleid gebeten.
Sachverständiger sieht "schwere Depression" beim Angeklagten
Entscheidend war am letzten Verhandlungstag die Aussage des psychiatrischen Sachverständigen, der den Prozess intensiv verfolgt und mit vielen Fragen zur Klärung der Umstände beigetragen hatte, die zu der Katastrophe im Stall geführt hatten.
Der Sachverständige, Dr. Rupert Müller, diagnostizierte eine schwere Depression, hervorgerufen durch mehrere Schicksalsschläge und völlige Überlastung. Der Angeklagte sei in ein "tiefes, schwarzes Loch gefallen", hilflos und kraftlos geworden. Es habe eine "erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit" vorgelegen.
Staatsanwalt fordert Freiheitsstrafe ohne Bewährung
Der Staatsanwalt hatte in seinem Plädoyer zwei Jahre Haft gefordert. Er verwies auf das immense Leid, das den Tieren über einen offenbar längeren Zeitraum zugefügt worden sei. In diesem Zusammenhang erwähnte er fehlende Kontrollen durch das Veterinäramt und die schlechte Ausstattung dieser Behörde.
Eine Aussetzung der Strafe zur Bewährung hielt der Staatsanwalt für nicht angemessen. Ob er das Urteil so annehme, oder in Berufung gehe, wollte er noch offenlassen. Er hat zwei Wochen Zeit für diese Entscheidung.
Verteidigung betont "verminderte Schuldfähigkeit"
Die Verteidigung sah in ihrem Plädoyer ein Jahr und sechs Monate Freiheitsstrafe als gerechtfertigt an, forderte jedoch, die Strafe zur Bewährung auszusetzen. Sie betonte das Geständnis des Angeklagten gleich zu Verhandlungsbeginn.
Entscheidend sei eine "verminderte Schuldfähigkeit", die durch eine depressive Episode hervorgerufen worden sei, wie der Sachverständige überzeugend ausgeführt habe. Beide Verteidiger akzeptierten das ergangene Urteil.
Zeugen: "Landwirt war eigentlich tierlieb"
Mehrmals waren während der Verhandlungen Fotos und Filme über die Lage im Stall am Tag der Entdeckung der toten Rinder vorgeführt worden: Teils völlig verweste Tierleichen, oft von Gülle bedeckt, manche liegen noch lebend im Dreck, andere stehen apathisch herum, vorne ist frisch gestreutes Grünfutter zu sehen. Der Angeklagte schaute sich die Bilder nicht an, er starrte zu Boden.
Mehrere Zeugen schilderten den Landwirt als freundlichen Menschen, der ganz offensichtlich eine tiefe Verbindung zu seinen Tieren gehabt habe. In den vergangenen Jahren habe der Mann sich aber verändert, habe sich zurückgezogen. Es gab offenbar einige Schicksalsschläge in der kleinen Familie, die den Hofbetrieb aufrechterhielt.
Psychiater: Klare Zeichen schwerer psychosomatischer Krankheit
Ein namhafter Psychiater, der in der Nachbarschaft wohnte und mit der Familie des Angeklagten befreundet war, sprach von klaren Zeichen einer "schweren psychosomatischen Krankheit". Es sei typisch für eine Depression, wenn man merke, dass etwas schiefläuft, läuft, aber die Unfähigkeit bestehe, etwas dagegen zu unternehmen. Der Bauer sei auch kaum mehr kommunikationsfähig gewesen. Er habe es nicht über die Lippen gebracht, dass er Hilfe brauche.
Ein Zeuge, ein junger Landwirt, der nun die Flächen gepachtet hat, die der Angeklagte vorher bewirtschaftete, schilderte, dass er auf den Wiesen viele Knochen von Jungtieren gefunden habe. Diese seien dem Mist beigemischt gewesen, sagte eine Polizistin aus.
Schon öfter Probleme bei Kontrollen
Mehrere Veterinäre waren als Zeugen geladen. Nach ihren Aussagen war das staatliche Veterinäramt Rosenheim insgesamt zehnmal für Kontrollen vor Ort, sieben davon waren angekündigt. In den Jahren 2018 bis 2020 wurden kleinere Mängel festgestellt. 2021 stellte das Amt dann erstmals Tierseuchen, lebensmittel- sowie tierschutzrechtliche Verstöße fest. Es folgte ein Milchlieferverbot für den Hof im Jahr 2022, im Juli 2022 erfolgte die letzte Kontrolle.
Keine Kontrollen mehr seit Juli 2022
Warum seitdem, bis zum Mai 2023, keine Kontrollen mehr erfolgten, war nicht Gegenstand des Verfahrens. Das BR-Studio Rosenheim hat erst am 23. April die Möglichkeit bekommen, Fragen an das Veterinäramt einzureichen. Im Antwortschreiben heißt es: "Zwischen dem 05.07.2022 und dem 16.05.2023 sind keine weiteren Kontrollen erfolgt. Bis zum 15.05.2023 gab es keine Meldungen, die eine Kontrolle notwendig gemacht hätten. Zudem wurde der Betrieb nicht für weitere veterinärrechtliche Fachrechtskontrollen ausgewählt."
Der BR fragte nach: "Wären die Missstände, die zum Verbot der Milchlieferung geführt haben, nicht Anlass gewesen, diesen Viehbestand weiter besonders im Auge zu behalten?" – Die Antwort, vom Pressesprechers des Landratsamtes übermittelt: "Nein, da von den Ursachen für ein Milchlieferverbot nicht grundsätzlich auf eine mangelhafte Tierhaltung geschlossen werden kann. Ein Milchlieferverbot wegen erhöhter Zellzahlen kann verschiedene Gründe haben. Möglich wären unter anderem eine falsch eingestellte Melkmaschine oder Entzündungen im Euter."
Umweltministerium: "Risikoorientierte und anlassbezogene Kontrollen"
Das für das Veterinärwesen verantwortliche Umweltministerium schreibt auf eine Anfrage des BR, wenn die Milchlieferung aufhöre, dann entfalle auch die Milchhygienekontrolle, alle anderen Veterinärkontrollen würden weiterhin durchgeführt." Weiter heißt es: "Veterinärkontrollen finden in Bayern sowohl risikoorientiert als auch anlassbezogen statt."
Deswegen die weitere Frage an das für Rimsting zuständige Veterinäramt: "Warum wurden solche Kontrollen nicht weiter durchgeführt"? Die Antwort: "Die Anlasskontrolle wird notwendig, wenn es Informationen zu Problemen oder Mängeln gibt." - Offenbar waren die in den vergangenen Jahren entdeckten Missstände nicht Anlass genug, den Betrieb im Auge zu behalten.
BBV will Hilfsangebote besser publik machen
Auch der Bayerische Bauernverband (BBV) hat die Ereignisse in Rimsting und den Prozess beobachtet. Man bedauere sehr, dass der Landwirt keines der zahlreichen Hilfsangebote genutzt habe, die der Verband anbiete, vom "Montags-Telefon" bei akuten Krisen bis zu regionalen Beratern bei allen sozialen und ökonomischen Fragen.
Isabella Timm-Guri, Leiterin des Bereichs Erzeugung und Vermarktung im BBV, sagt, man sehe in solchen Fällen oft falsche Scham bei Landwirten. Diese glaubten, dass die Situation, in die sie geraten sind, ein persönliches Versagen sei, und keine Schwierigkeit, der man sich stellen muss. Der zweite Punkt für solche Krisen sei die immense Arbeitsbelastung: "Viele Bauern sind wie in einem Hamsterrad, sie müssen immer nur Gas geben, kommen gar nicht dazu, die Lage zu hinterfragen."
Nach Rimsting wolle man die Prävention vorantreiben, in die Offensive gehen, in Veranstaltungen das Thema setzen, sagt Timm-Guri. "Wir müssen bewusst machen, wie wichtig die seelische Gesundheit ist. Wenn es da Probleme gibt, ist das nichts, wofür man sich schämen muss." Im Gegenteil, es sei klug und mutig, wenn man sich Hilfe suche.
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