Als Reaktion auf die Proteste von Bauern quer durch Europa haben die europäischen Agrarminister vergangene Woche Lockerungen bei der EU-Agrarpolitik beschlossen. Sie sind damit Vorschlägen der EU-Kommission gefolgt. Die Lockerungen sollen den Landwirten das Wirtschaften erleichtern und Bürokratie abbauen. Gelockert werden dabei aber auch Umweltstandards, die eigentlich die Natur und die Biodiversität in der Agrarlandschaft schützen sollen.
Vier Prozent Brachflächen werden keine Pflicht
In der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik (GAP), die seit 2023 gilt, sind eigentlich neun sogenannte Standards für den guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand von Flächen (GLÖZ) festgelegt. Dazu gehört zum Beispiel der Schutz von Dauergrünland und Feuchtgebieten, aber auch Pufferstreifen zu Gewässern. Landwirte müssen die Vorgaben erfüllen, um überhaupt EU-Direktzahlungen zu erhalten.
Einige Standards sollen jetzt aber gelockert werden. Es soll keine Pflicht mehr sein, vier Prozent der Flächen als Brachen stillzulegen. Außerdem gibt es mehr Spielraum bei der Fruchtfolge und bei der Anforderung, Böden, auf denen gerade nichts angebaut wird, mit anderen Pflanzen zu bedecken.
Empörung bei Umweltverbänden
Aus Sicht von Naturschützern ist das eine fatale Entscheidung. Norbert Schäffer, Vorsitzender des Landesbundes für Vogelschutz (LBV), spricht von einem "schweren Schlag gegen den Naturschutz". Der Vogelschützer führt außerdem die beerdigten EU-Pläne zur Pestizidreduktion und des vorerst gestoppte Renaturierungsgesetz mit an. Das werfe den Naturschutz auf EU-Ebene um 30 Jahre zurück.
Jörg-Andreas Krüger, Präsident des Naturschutzbund Deutschland (NABU), sagt: "Wir sind fassungslos, wie schnell hier Umweltrecht rückabgewickelt wird und wie schnell Politik vergessen hat, was sie sich selbst vorgenommen hat." Besonders der Wegfall der Brachflächen tue weh. "Die Politik wird die Frage beantworten müssen: Wie wollen sie dem Insektensterben Herr werden, wie sollen Lebensräume geschaffen werden für all die bedrohten Arten, für die Feldlerche, für den Kiebitz und all die Arten, die ansonsten aus den Landschaften komplett verschwinden?", so Krüger.
Auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) äußert sich empört und bezeichnet die Pläne als Todesstoß für die Artenvielfalt. Reinhild Benning von der DUH erwartet sogar Verschlechterungen für die Bauern. Insektenreichtum sei auch wichtig für die Landwirte, die ja auch die Bestäuber für die Kulturen brauchen.
Expertin rechnet nicht mit Rückschritten beim Artenschutz
Die Lockerungen müssen erst noch durch das Europäische Parlament. Dann kommt es auf die genaue nationale Umsetzung der Pläne an. Annette Freibauer von der Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) rechnet dennoch nicht mit großen Rückschritten beim Artenschutz. Landschaftselemente wie Hecken, Sträucher und Gehölze - die wichtige Rückzugsräume für Tiere sind – dürften trotzdem nicht einfach entfernt werden.
Die Brachflächenregelung war außerdem schon im vergangenen Jahr wegen des Kriegs in der Ukraine ausgesetzt. Wenn die Regelung jetzt gar nicht kommt, würde das den Artenschutz nicht unbedingt zurückwerfen.
Umweltstandards von vornherein zu schwammig?
Die Agrar-Expertin ist außerdem skeptisch, ob die Umweltauflagen, so wie sie von der EU vorgesehen waren, überhaupt besonders effektiv für die Artenvielfalt gewesen wären. Besonders bei den Brachflächen komme es sehr auf die Qualität an. Damit die wirklich etwas für die Artenvielfalt bringen, müssen sie mindestens über mehrere Jahre brach liegen, darüber hinaus sollten sie sich in der Fläche gut verteilen und nicht an bestimmten Orten konzentrieren.
Die Standards zur Bodenbedeckung und zur Fruchtfolge seien sowieso gängige Praxis. Viele Landwirte würden sie wohl trotzdem erfüllen, auch ohne Pflicht, schätzt die Agrar-Expertin. "Insofern erwischt es jetzt genau die Maßnahmen, deren Wirkung für die Umwelt am schwierigsten zu bewerten und vielleicht auch im kleinsten waren", sagt Freibauer. Viel besser wäre es aus ihrer Sicht, vor Ort zu schauen, was der Artenvielfalt am jeweiligen Standort hilft –und freiwillige, aber wirksame Maßnahmen zu fördern.
In Bayern viele Vorgaben seit Volksbegehren Artenschutz
Die Umweltverbände sehen in den EU-Entscheidungen trotzdem ein völlig falsches Signal. Norbert Schäffer vom LBV hofft jetzt darauf, dass es - zumindest in Bayern - trotzdem nicht so schlimm kommt für den Naturschutz. Denn viele Umweltmaßnahmen, wie zum Beispiel der Biotobverbund oder die Reduzierung von Pestiziden, seien auch jenseits der EU-Vorgaben seit dem Volksbegehren Artenvielfalt für Bayern gesetzlich festgeschrieben.
Dieser Artikel ist erstmals am 07.04.2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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