Münchner Fußgängerzone beim Lockdown im Frühjahr
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Münchner Fußgängerzone beim Lockdown im Frühjahr

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Rufe nach hartem Corona-Lockdown werden lauter – Handel warnt

Kontakte minimieren, Geschäfte schließen: Immer mehr Politiker und Wissenschaftler werben dafür, das öffentliche Leben zum Jahreswechsel deutlich herunterzufahren. Der Einzelhandel warnt vor einem "sehr herben Schlag".

Angesichts hoher Corona-Infektionszahlen fordern immer mehr Politiker einen harten Lockdown. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verwies in der Generaldebatte des Bundestags auf Empfehlungen der Wissenschaft, jetzt die Kontakte weiter drastisch zu senken. Sie halte es daher für richtig, die Geschäfte nach Weihnachten bis mindestens 10. Januar zu schließen und auch den Unterricht an den Schulen zu minimieren.

Auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) plädierte dafür, die Zeit nach Weihnachten zu nutzen, um das öffentliche Leben weitgehend herunterzufahren. "Wir brauchen nach Weihnachten einen echten Jahreswechsel-Lockdown, um uns für 2021 wieder eine Perspektive hin zu mehr Normalität zu erarbeiten", sagte Laschet.

Laschet und Söder für gemeinsame Entscheidung

Der NRW-Regierungschef setzt dabei wie der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) auf eine gemeinsame Entscheidung der Bundesländer. Söder hatte am Dienstag im Landtag betont, dass auch Bayern die Geschäfte nach Weihnachten schließen werde, wenn sich die Ministerpräsidentenkonferenz auf diesen Schritt einigt. In Bayern gelten erst seit heute einige verschärfte Regeln. Die Regierung in Sachsen hat angekündigt, schon am Montag in einen strengeren Lockdown mit geschlossenen Geschäften zu gehen.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte, es sei absolut richtig, dass Bayern und Sachsen härtere Maßnahmen beschlossen haben. Zugleich sprach auch er sich für verschärfte Restriktionen nach Weihnachten aus. "Ich weiß nicht, wie es anderen geht, aber meine ruhigste Zeit ist tatsächlich die um Weihnachten bis Anfang Januar", sagte Spahn "Bild live".

Der Deutsche Städtetag sieht die Zeit nach den Feiertagen als "ideale Zeit für einen Lockdown", wie Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy der "Saarbrücker Zeitung" sagte. Schulen und Kitas seien zu, es gebe Betriebsferien, viele Menschen hätten Urlaub, "und shoppen muss man nach Weihnachten auch nicht unbedingt. Ich werbe deshalb für eine Art gesunden Stillstand vom 28. Dezember bis etwa zum 10. Januar."

Forderung der Leopoldina nach hartem Lockdown

Angestoßen hatte die Debatte die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Sie fordert, bereits ab 14. Dezember die Kontakte im beruflichen wie im privaten Bereich auf das absolute Mindestmaß zu verringern. Die Schulpflicht sollte bis zum Beginn der Weihnachtsferien in allen Bundesländern aufgehoben werden. In einer zweiten Stufe sollte vom 24. Dezember bis mindestens zum 10. Januar das öffentliche Leben weitgehend ruhen und ein harter Lockdown gelten. Dabei sollten alle Geschäfte bis auf die des täglichen Bedarfs geschlossen und die Weihnachtsferien in den Bildungseinrichtungen verlängert werden. Urlaubsreisen sollten unterbleiben und Zusammenkünfte nur im engsten stabilen Personenkreis stattfinden.

Drosten: "Letzte Warnung der Wissenschaft"

Das Papier der Leopoldina sollte verstanden werden als "deutliche und letzte Warnung der Wissenschaft", sagte der Virologe Christian Drosten, der an der Stellungnahme mitgewirkt hatte, im NDR-Podcast. Die Wahrscheinlichkeit sei groß, dass die Weihnachtszeit zu einem Anstieg der Fallzahlen führe. Werde jetzt nicht nachreguliert, drohe "Ende Januar und über den gesamten Februar hinaus" ein Lockdown mit massiven Folgen für die Wirtschaft.

Die Münchner Epidemiologin Eva Grill sagte auf Bayern 2: "Es muss vollkommen klar sein, dass die Berg- und Talfahrt, die wir jetzt haben, nicht sinnvoll ist, nicht für die Gesellschaft, nicht für das Gesundheitswesen und für die Wirtschaft auch schon gar nicht."

Der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, Uwe Janssens, kritisierte die bisher vereinbarten Lockerungen der Kontaktbeschränkungen über Weihnachten. "Das wird uns Mitte Januar in den Krankenhäusern an den Rand bringen", sagte er ntv.

AfD und FDP gegen harten Lockdown

Ob und wann die Ministerpräsidenten erneut mit Kanzlerin Merkel zu Beratungen über mögliche Verschärfungen zusammenkommen, ist unklar. Nachdem Merkel an diesem Donnerstag und Freitag beim EU-Gipfel in Brüssel gebunden ist, war zwischenzeitlich auch ein Termin am kommenden Sonntag im Gespräch. Möglich wäre nach wie vor allerdings auch ein Treffen im Laufe der kommenden Woche.

In der Opposition gibt es unterschiedliche Meinungen zum weiteren Vorgehen. "Spätestens nach Weihnachten muss es in meinen Augen fast überall einen sehr harten Lockdown geben und jetzt auch schon vor Weihnachten braucht es zusätzliche Maßnahmen", sagte der Co-Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Bundestag, Anton Hofreiter, bei ntv.

Die AfD-Co-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel forderte in der Haushaltsdebatte im Bundestag ein Ende des "kontraproduktiven Lockdowns". Der Staat könne geschlossene Unternehmen nicht auf Dauer entschädigen. FDP-Chef Christian Lindner verwarf einen strengen Lockdown ebenfalls als falsch. Es gebe keine Garantie, ob auf kurze Härte ein Erfolg folge.

Einzelhandel warnt vor Ladenschließungen

Der Einzelhandel warnte vor einem schärferen Lockdown samt Ladenschließungen im so wichtigen Weihnachtsgeschäft. "Wir sehen das als sehr herben Schlag an", sagte der Präsident des Handelsverbands (HDE), Josef Sanktjohanser. Wichtig seien staatliche Hilfen für die Firmen, die dann faktisch keine Einnahmemöglichkeiten hätten. Der größte deutsche Warenhauskonzern "Galeria Karstadt Kaufhof" betonte, das Geschäft um die Feiertage sei "für alle innerstädtischen Händler von existenzieller Bedeutung". Dies gelte "gerade jetzt, wo wir einen nie gesehenen Frequenzrückgang erleben", sagte ein Konzernsprecher.

Das Robert Koch-Institut (RKI) meldete am Mittwoch mit 590 Corona-Toten binnen 24 Stunden einen neuen Höchststand. Rein rechnerisch stirbt damit etwa alle zweieinhalb Minuten ein Mensch in Deutschland an oder mit dem Virus. Die Zahl der Neuinfektionen erhöhte sich um 20.815 auf über 1,218 Millionen. Das sind rund 3.500 mehr als am Mittwoch vergangener Woche.

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