Die Nationalen Akademie der Wissenschaften, kurz "Leopoldina", fordert in der aktuellen Corona-Lage einen "harten Lockdown" ab dem 24. Dezember.
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Die Nationalen Akademie der Wissenschaften, kurz "Leopoldina", fordert in der aktuellen Corona-Lage einen "harten Lockdown" ab dem 24. Dezember.

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Warum die Leopoldina einen harten Lockdown fordert

Warum die Leopoldina einen harten Lockdown fordert

Während sich die Hinweise verdichten, dass es vor Weihnachten noch ein Treffen der 16 Länderchefs zum Thema Corona-Maßnahmen gibt, fordert die Nationale Akademie der Wissenschaften "Leopoldina" einen harten Lockdown. Wir erklären, warum.

Die Mitglieder der Nationalen Akademie der Wissenschaften, kurz "Leopoldina", appellieren in einem aktuellen Aufruf an die Politik die „weiterhin deutlich zu hohe Anzahl von Neuinfektionen“ zeitnah durch einen „harten Lockdown“ zu reduzieren. Die Expertinnen und Experten schlagen dazu ein zweistufiges Vorgehen vor.

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Zwei Schritte zum Lockdown

In einem ersten Schritt solle bereits ab dem 14. Dezember die Schulpflicht aufgehoben werden. Home-Office müsse „wo immer möglich die Regel sein“. Zudem müssten alle Gruppenaktivitäten im Bereich Sport und Kultur eingestellt werden. Digitale Möglichkeiten sollten anstelle von Präsenzangeboten genutzt werden.

In einem zweiten Schritt solle dann ab Weihnachten bis „mindesten 10. Januar“ durch einen „verschärften Lockdown“ das öffentliche Leben weitgehend ruhen. Im Einzelnen empfiehlt die Leopoldina, alle Geschäfte, bis auf jene des täglichen Bedarfs, zu schließen. Soziale Kontakte seien auf einen sehr eng begrenzten Kreis zu reduzieren. Gleichzeitig sollten die Weihnachtsferien bundesweit verlängert werden, Urlaubsreisen und größere Zusammenkünfte aber in dieser Zeit vollständig unterbleiben. Zwar werden Gottesdienste nicht ausdrücklich erwähnt, letztlich dürften die Experten aber auch Weihnachts-Andachten im Freien ablehnen.

Chance durch Entschleunigung

In der Zeit der „Entschleunigung in Wirtschaft und Gesellschaft“ zu Weihnachten und zum Jahreswechsel liege eine Chance, eine Verringerung der Neuinfektionen zu erreichen, heißt es in der Stellungnahme.

"Diese Rahmenbedingungen erleichtern eine Eindämmung der Pandemie, wenn wir auch im privaten Umfeld äußerste Achtsamkeit und Vorsicht walten lassen.“" Nationale Akademie der Wissenschaften "Leopoldina"

Prominente Liste der Unterstützer

Zu den Mitwirkenden der Stellungnahme gehören unter anderem die Virologen Christian Drosten, Sandra Ciesek und Melanie Brinkmann. Auch der Präsident des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, gehört zu den Mitwirkenden. Das ist insofern ungewöhnlich, als sich der RKI-Chef als Leiter einer Bundesbehörde bislang mit Empfehlungen eher zurückgehalten hatte.

Neben Gesundheitsexperten sind aber auch Ökonomen wie der Chef des ifo-Instituts, Clemens Fuest, und die Wirtschaftswissenschaftlerin Regina Riphahn sowie die Bildungsforscherin Ute Frevert, die Gesundheitspsychologin Jutta Mata und die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx, unter den Mitwirkenden.

Vorbild Irland

Als Vorbild für den harten Lockdown könnten nach Ansicht der Leopoldina andere Länder wie beispielsweise Irland dienen. Hier hätten die Erfahrungen gezeigt, dass „schnell eingesetzte, strenge Maßnahmen über einen kurzen Zeitraum erheblich dazu beitragen, die Infektionszahlen deutlich zu senken und niedrig zu halten."

Irland war eines der ersten europäischen Länder, welche in der zweiten Corona-Welle einen Lockdown verhängt hatten. Das öffentliche Leben wurde hier schon Mitte Oktober weitgehend heruntergefahren und Anfang Dezember wieder gelockert. Nun dürfen hier Geschäfte, Bars und Restaurants, Galerien und Museen, die bis 1. Dezember geschlossen waren, wieder unter Hygiene-Auflagen öffnen. Zwischen dem 18. Dezember und dem 6. Januar ist es in Irland drei Haushalten erlaubt sich zu treffen. Das landesweite Reiseverbot wurde für diesen Zeitraum wieder aufgehoben.

Situation in Deutschland „ernst“

In Deutschland hingegen, so beklagen die Mitglieder der Leopoldina, zeichne sich bei den Zahlen der Neuinfizierten in Deutschland keine signifikante Änderung ab. Vielmehr sei die gegenwärtige Situation nach wie vor ernst und drohe sich weiter zu verschärfen. Trotz des seit Anfang November in Deutschland geltenden Teil-Lockdowns seien die Infektionszahlen auf einem sehr hohen Niveau.

"Jeden Tag sterben mehrere Hundert Menschen. Die Krankenhäuser und insbesondere das medizinische Personal sind bereits jetzt an ihren Grenzen und die Gesundheitsämter sind überlastet." Nationale Akademie der Wissenschaften "Leopoldina"

Modellrechnung zum Fortgang der Pandemie

Die Mitglieder der Leopoldina untermauern ihre Bedenken mit einer Modellrechnung. Würden ab dem 14. Dezember die Maßnahmen streng verschärft werden, sänken die Fallzahlen bis Januar auf unter 50 pro eine Millionen Einwohner, so die Experten. Bliebe es bei den derzeitigen Regeln, müsse man sich aber weiterhin auf konstante oder nur leicht sinkende Infektionszahlen einstellen. Vermehrte Kontakte zu Weihnachten könnten hingegen zu massiv steigenden Fallzahlen führen.

Sollte es jedoch durch eine Verschärfung der Maßnahmen zu einer Verringerung der Infektionszahlen kommen, sei auch in den darauffolgenden Wochen und Monaten eine klare Strategie notwendig, um die Werte niedrig zu halten, betonen die Experten. Nur wenn die Infektionslage kontrollierbar sei, könnten die Aktivitäten des wirtschaftlichen und öffentlichen Lebens im Januar wieder aufgenommen werden. Dazu fordern die Wissenschaftler von der Politik einen klaren Fahrplan:

"Von zentraler Bedeutung ist eine langfristige politische Einigung auf ein klares, mehrstufiges und bundesweit einheitliches System von Regeln, die ab einer bestimmten Anzahl von Fällen pro 100.000 Einwohner greifen." Nationale Akademie der Wissenschaften "Leopoldina"

Transparenter Maßnahmenkatalog gefordert

Die Forscher kritisieren damit die Politik der Ministerpräsidenten und der Kanzlerin, die sich bislang nicht auf einheitliche, konsequente Maßnahmen einigen konnten. Ein entsprechend verlässlicher Maßnahmenkatalog, so die Leopoldina, müsse einheitlich, nachvollziehbar, langfristig und transparent sein, damit die Bürgerinnen und Bürger diesen verstehen und damit planen könnten.

Wichtig sei zudem, „die Maßnahmen und ihre Hintergründe immer wieder und besser zu kommunizieren.“ Das heiße insbesondere, sie für verschiedene Zielgruppen aufzubereiten und in deren Lebensrealitäten anschaulich zu verankern.

Auch bei der Corona-Warn-App sieht die Leopoldina Handlungsbedarf. Aktuelle lokale Zahlen und Regeln sollten dort einsehbar sein. Außerdem sollte die Funktionalität der App durch die Ermöglichung freiwilliger Datenspenden der Nutzerinnen und Nutzer erweitert werden.

Harter Lockdown verspricht Vorteile für die Wirtschaft

Der Leopoldina zufolge sei ein harter Lockdown auch aus wirtschaftlicher Perspektive sinnvoll. Zwar würden sich kurzfristig durch einen harten Lockdown die Verluste in der Wertschöpfung erhöhen. Gleichzeitig wären aber Lockerungen schneller erreichbar, wenn die Anzahl der Neuinfektionen rascher sinken. Das Ziel müsse eine Reproduktionszahl (7-Tage-R-Wert) von 0,7 bis 0,8 sein. Das würde bedeute, dass zehn Infizierte nur sieben bis acht weitere Menschen anstecken - wodurch die Anzahl der täglichen Neuansteckungen zurückginge. Laut RKI liegt die Ansteckungsrate mit dem Coronavirus in Deutschland aktuell bei 1,06 (7-Tage-R-Wert, Stand: 7. Dezember).

In einer ersten Stellungnahme via Twitter äußerte sich der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach positiv zur Leopoldina-Stellungnahme.

Unterdessen hat sich Ministerpräsident Markus Söder (CSU) in seiner Regierungserklärung im Bayerischen Landtag für eine Schließung der Geschäfte nach Weihnachten ausgesprochen. Sollte die Ministerpräsidentenkonferenz einen entsprechenden Beschluss treffen, werde der Freistaat dabei mitmachen.

Ob sich Bundesregierung und Ministerpräsidenten vor Weihnachten zu den Corona-Maßnahmen noch einmal zusammenschalten, ist allerdings noch unklar. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) sagte im Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb), er rechne für Donnerstag mit einer digitalen Ministerpräsidentenkonferenz. Nicht alle Regierungschefs der Länder halten dies jedoch für notwendig. Bislang sind neue Beratungen in diesem Rahmen für den 4. Januar geplant.

💡 Was ist die Leopoldina?

Die Leopoldina ist eine klassische Gelehrtengesellschaft mit Sitz in Halle an der Saale in Sachsen-Anhalt. Sie hat rund 1.600 Mitglieder aus fast allen Wissenschaftsbereichen. 1652 gegründet, ist die Einrichtung die älteste Gelehrtengesellschaft im deutschsprachigen Raum. Benannt wurde sie später nach Kaiser Leopold I. aus dem Hause Habsburg. 2008 wurde sie zur Nationalen Akademie der Wissenschaften Deutschlands ernannt. Ihre zwei besondere Aufgaben: Vertretung der deutschen Wissenschaft im Ausland und Beratung von Politik und Öffentlichkeit. Die Leopoldina ist dem Gemeinwohl verpflichtet und soll - unabhängig von wirtschaftlichen oder politischen Interessen - wissenschaftliche Erkenntnisse zu wichtigen Zukunftsthemen beisteuern.

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