Die sechsjährige Alisa schneidet Tonpapier aus, rollt es, klebt Glitzer-Sticker darauf: Sie und viele weitere ukrainische Kinder basteln in der Deggendorfer Kulturmühle ihre Schultüten und bereiten sich so auf ihren ersten Schultag in Deutschland vor. Alisas Mutter Tonia findet keine Worte dafür, dass ihre Tochter jetzt in Deutschland zur Schule geht: "Es ist schwierig", sagt sie dann doch leise auf Englisch. "Ich hoffe, dass alles klappt."
Grundschule: Alle werden gemeinsam unterrichtet
Alisa wird ab jetzt eine Deggendorfer Grundschule besuchen. An den bayerischen Grundschulen werden ukrainische und deutsche Schüler gemeinsam in den Klassen unterrichtet. "Durch die Teilnahme am regulären Unterricht und im Umgang mit anderen Kindern erfahren sie ein sogenanntes `Sprachbad´ und werden so im Schulalltag rasch an die deutsche Sprache und die Inhalte des Unterrichts herangeführt", heißt es hierzu vom Kultusministerium auf Anfrage.
Integration und Lehrermangel: Lehrer noch mehr gefordert
Die Integration aber stellt, gerade angesichts des akuten Lehrermangels vor allem an Grund- und Mittelschulen, Lehrer vor eine große Herausforderung – wie Kathrin Glasschröder, die an einer Grundschule in Deggendorf unterrichtet: "Jedes Kind, das in die Klasse kommt und kein Deutsch spricht, ist eine Herausforderung, die wir aber gerne annehmen. Am schnellsten lernen die Kinder die deutsche Sprache im Miteinander." Sie selbst als Lehrkräfte würden auf Hilfsmittel zur Übersetzung und Verständigung zurückgreifen, wie sie sagt: "Die i-Pads, die während Corona angeschafft wurden, nutzen wir dazu – wir werden viel mit Online-Übersetzern arbeiten." Besonders der Austausch mit anderen Lehrern und ihren Erfahrungen mit ukrainischen Schülern könne künftig helfen – man müsse sich jetzt vermehrt austauschen und vernetzen, so Glasschröder.
835 Brückenklassen in Bayern: Ukrainer als Hilfskräfte an Schulen
Vor allem an den weiterführenden Schulen ab der Jahrgangsstufe 5 gibt es Unterstützung beim Übersetzen und Ankommen im bayerischen Schulsystem: mithilfe von ukrainischen Hilfskräften, die in den neu eingerichteten rund 835 Brückenklassen in Bayern helfen – wie die 27-jährige Tanja, die in Deggendorf eingesetzt wird: "Das ist für mich sehr wichtig – ich verstehe, wie das für Kinder ist: Sie verstehen kein Deutsch. Für mich spielt es eine große Rolle, ihnen den Schulalltag zu erleichtern und ihnen Deutsch beizubringen."
Tanja ist eine von rund 1.280 eingesetzten Unterstützungskräften an Bayerns Schulen mit russischen und/oder ukrainischen Sprachkenntnissen, wie das Kultusministerium mitteilt. Doch es braucht mehr wie sie: Das Kultusministerium bestätigt, dass immer noch Unterstützungskräfte in Brückenklassen für ukrainische Schüler gesucht werden.
Ukrainische Hilfskraft: "Ich hoffe, ich schaffe das"
Tanja hilft jetzt. Die 27-Jährige hat in der Ukraine als Dolmetscherin gearbeitet, war vor dem Krieg schon zeitweise als Au-Pair in Deggendorf im Einsatz. Im März floh sie nach Bayern, jetzt ist sie Hilfskraft an Deggendorfer Schulen – befristet, auf ein Jahr. Wie das alles in den Brückenklassen ablaufen soll, weiß sie selbst noch nicht – aber es wird herausfordernd, ist sie sich sicher. In den Klassen treffen Kinder unterschiedlichen Alters mit unterschiedlichen Lern-Kenntnissen und Fähigkeiten aufeinander. "Ich hoffe, ich schaffe das."
Doppelbelastung: Deutsche Schule, ukrainische Schule
Sorgen macht ihr zudem die Doppelbelastung ukrainischer Schüler: Am Vormittag besuchen sie jetzt deutsche Schulen, am Nachmittag haben viele von ihnen ukrainischen Online-Unterricht. "Die Kinder schaffen das – aber sie werden den ganzen Tag beschäftigt sein mit Unterricht", so die 27-jährige Tanja. Auch wenn viele Ukrainer am Online-Unterricht aus der Heimat festhalten: Niemand weiß, wann sie wieder in die Heimat zurückkehren können.
Schule als Raum für Entfaltung von Kindern
Im bayerischen Schulalltag sollen die Kinder jetzt die Sprache lernen, sich im Präsenz-Unterricht mit anderen Kindern sozial entwickeln und vor allem entfalten können. "Die ukrainischen Kinder leben oft in sehr engen Wohnungen – die brauchen Platz, die Schule bietet ihn Raum für ihre Entfaltung", so Grundschul-Lehrerin Kathrin Glasschröder, die in ihrer Freizeit in der Ukraine-Hilfe tätig ist.
Lehrerin aus Leidenschaft: "Ein Gänsehaut-Moment"
Glasschröder freut sich, dass das neue Schuljahr wieder startet – trotz nie dagewesener Herausforderungen wie dem Lehrermangel. Sie kann es kaum erwarten, Mädchen wie die sechsjährige Alisa in ihrer Klasse begrüßen zu können: "Der schönste Moment ist immer, wenn die Tür hinter den Eltern zugeht und wir alleine mit den Erstklässlern im Klassenzimmer sind. Es kribbelt dann im Bauch, als wäre man selbst noch mal Erstklässler. Es ist ein Gänsehaut-Moment! Da weiß ich, warum ich Lehrerin geworden bin, das macht sehr zufrieden!"
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