Christian aus der Nähe von Salzburg lässt sich heute zum ersten Mal Botox spritzen. Es ist nicht sein erster Schönheitseingriff. Ungefähr dreißig Mal ist der 38-Jährige schon die Strecke zum Münchener Schönheitschirurgen gefahren. Dafür geht es für ihn und seine Familie nicht so oft in den Urlaub, sagt er. Sein Streben nach dem perfekten Aussehen begann vor ungefähr einem Jahr. "Es gibt nichts Schöneres, als wenn du Geld in dich investierst, das ist ein gutes Gefühl", erzählt Christian im Interview mit Kontrovers – Die Story.
Schönheits-Eingriffe bei Männern boomen
Friseur Christian fühlt sich nicht gut genug und damit ist er nicht allein. Von den Männern in Deutschland, die sich 2022 für einen Schönheits-Eingriff entschieden haben, ließen sich laut der Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie 16,8 Prozent Fett absaugen, 11,4 Prozent mit Botox behandeln und neun Prozent ihre Falten unterspritzen. Der Anteil von Männern bei den ästhetischen Behandlungen lag im Jahr 2021 bei 13,2 Prozent – ein Jahr zuvor war der Anteil mit 9,65 Prozent noch niedriger. "Dieser Trend, den wir hier beobachten, wird auch noch weitergehen", sagt Dr. Christian Wolf. Der Münchner Schönheitschirurg behandelt immer mehr Männer.
"Man muss nicht so ausschauen, wie man ausschaut. Wir können heutzutage alles machen, es gibt keine Limits mehr. Es gibt kein Stopp mehr.“ Christian Thier, Schönheits-Patient
Selbstoptimierung durch Biohacking
Das Beste aus dem eigenen Körper herausholen, das will auch Andreas Breitfeld aus München. Aber nicht mit Schönheitsbehandlungen, sondern unter anderem mit Eisbädern und Rotlicht. Seine tägliche Routine startet bei drei Grad Wassertemperatur. Das soll die Stimmung heben. Und das ist erst der Anfang. Der 49-Jährige ist sogenannter Biohacker. Die Gesundheit bis ins Extreme optimieren, ist sein Ziel. Und dadurch die beste Version von sich selbst werden. Ähnlich wie Hacker in Computersysteme eindringen, greifen Biohacker in ihren Körper ein.
"Wir sind ja irgendwie doch für unsere Gesundheit selbst verantwortlich, wenn ich es neudeutsch sage: der CEO der eigenen Gesundheit sein." Andreas Breitfeld, Biohacker
Mit Biohacking zur optimalen Form: Das Training von Andreas ähnelt einem Parcours in den Bergen – seine Maske simuliert einen Sauerstoffmangel, wie auf tausenden Metern Höhe. "Ich habe dann entdeckt, dass man mit technologischen Möglichkeiten immer noch die Möglichkeit hat, etwas mehr rauszukitzeln", sagt Andreas. Sauerstoffkammer, Magnete, Licht. Kostenfaktor: rund 120.000 Euro. Ein teures Investment in den eigenen Körper.
Die Schattenseiten der muskulösen Schönheitsideale
Paul Dambmann aus der Nähe von Limburg hat das Investieren in den eigenen Körper krankgemacht. Er rutschte in eine Sportsucht und Essstörung. Der Druck, einem muskulösen Schönheitsideal zu entsprechen, treibt den 27-Jährigen vor ein paar Jahren in die Bulimie. "Ich habe mich sehr stark über Leistung identifiziert. Ich war als Persönlichkeit auch nur dieser Sport. Wollte möglichst viel Wissen erlangen, hab da viel Zeit reingesteckt, viel Geld logischerweise auch." Paul litt unter zwanghaftem Sport- und Essverhalten.
Bei Männern geht eine Essstörung häufig mit einer Sportsucht einher, erklärt Psychologin Dr. Eva Wunderer: "Ich erlebe die Form meines Körpers in Bezug auf Muskeln als falsch. Dann wird alles unternommen, um Muskelmasse aufzubauen. Das heißt, erst mal trainieren, noch mehr trainieren, noch mehr trainieren. Und ich verändere mein Essverhalten. Oft geht das auch mit Essstörungen einher und im schlimmsten Fall dann eben auch noch mit dem Gebrauch von Medikamenten, also anabolen Steroiden mit Doping."
Wie viele Menschen genau in Deutschland an einer Sportsucht leiden, ist nicht bekannt: Experten gehen davon aus, dass mindestens ein Prozent der Bevölkerung sportsüchtig ist. Laut der Kaufmännischen Krankenkasse ist der Anteil von Männern mit Essstörungen von 2008 bis 2018 um knapp 60 Prozent gestiegen.
Der Einfluss von Social Media auf das Körperbild
Die Schönheitsideale in den sozialen Medien beeinflussen das eigene Körperbild. Teils mit drastischen Folgen. Dr. Eva Wunderer forscht an der Hochschule Landshut zum Thema soziale Medien und Essstörungen. "Der Algorithmus ist wahrscheinlich das Schlimmste. Je mehr ich soziale Medien nutze und vor allem bildbasierte, wie jetzt zum Beispiel Instagram, desto unzufriedener bin ich mit meinem eigenen Körper und daher ist so dieses, ich klicke einmal auf muskulösen Körper und bekomme immer wieder diese Bilder angezeigt und habe dadurch das Gefühl, die ganze Welt denkt wie ich und schaut sich auch diese Bilder an. Und das ist sehr, sehr gefährlich", sagt die Psychologin im Interview mit Kontrovers – Die Story.
Ab wann wird Selbstoptimierung zu viel? "Immer dann hat es negative Auswirkungen, wenn es extrem wird, wenn es sehr viel Zeit in Anspruch nimmt und ich dadurch keine Zeit mehr für andere Aspekte habe. Wenn es meine Gedanken sehr stark besetzt. Und das ist eben das, das hat schon ein gewisses Suchtpotenzial", weiß Diplom-Psychologin Dr. Eva Wunderer.
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