Es sind verschiedene Fälle von sexuellem Missbrauch in der Katholischen Kirche, die den jahrelangen Weg dokumentieren, den Missbrauchsopfer auf sich nehmen müssen. Sie kämpfen einerseits um die Anerkennung des Leids, das sie erfahren mussten, aber auch für eine Entschädigung.
Der Fall Ihrenberger im Bistum Augsburg
Ein aktuelles Beispiel aus dem Bistum Augsburg: Hans Joachim Ihrenberger kann es nicht vergessen. Der Priester hielt ihm eine Pistole an die Schläfe und bedrohte ihn mit dem Tod, so erinnert sich Ihrenberger. Er spielte mit dem Jungen russisch Roulette, weil der seiner Mutter gesagt hatte, dass der Gemeindepfarrer ihn immer wieder sexuell missbraucht habe. Damals war Hans Joachim Ihrenberger elf Jahre alt, heute ist er 63 – und schwer krank. Seit zwei Jahren ist der ehemalige Koch arbeitsunfähig, hat Pflegegrad 4. Ihrenberger bezieht eine kleine Rente, die vorn und hinten nicht reicht. Der Kampf für eine – aus seiner Sicht – angemessene finanzielle Anerkennung seines Leids sollte Jahre dauern.
Kommission spricht Opfer 150.000 Euro zu – Bistum zahlt erst nicht
50.000 Euro sind ihm vom Bistum Augsburg "in Anerkennung des Leids" zuerkannt worden. Dagegen legte er im letzten Jahr Widerspruch ein bei der Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen in Bonn (UKA), die im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz die Höhe der kirchlichen Zahlungen festlegt. Die UKA gab Ihrenberger Recht und setzte im Rahmen des Widerspruchsverfahrens einen Gesamtbetrag von 150.000 Euro fest. Das Bistum Augsburg verweigerte diese Zahlung jedoch zunächst. Ein Kampf, den viele Betroffene von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche oft jahrelang führen.
Bistum Augsburg erkennt Missbrauch grundsätzlich an
In einem internen Brief des Bistums Augsburg an die Unabhängige Kommission, der dem Bayerischen Rundfunk vorliegt, erkennt das Bistum den Missbrauch grundsätzlich an – und auch Ihrenbergers schlimmen Gesundheitszustand. Allerdings hält das Bistum den von der UKA festgelegten Betrag von 150.000 Euro für viel zu hoch – in einer Stellungnahme gegenüber dem BR heißt es: "Insbesondere warf die Verdreifachung des von der UKA festgelegten Betrags im Widerspruchsverfahren gegenüber dem Erstantrag ohne Nennung von Gründen Fragen auf."
Kausalität für das Bistum "nicht umfänglich nachzuvollziehen"
In dem internen Schreiben an die Unabhängige Kommission heißt es: "Es fällt auch auf, dass dem Betroffenen anscheinend keinerlei Blick auf das Positive an seinem früheren Leben (Ehe, Kinder, Erfolg und Beruf) mehr möglich ist, vielmehr führt er seine gesamte heutige Situation ausschließlich auf den Missbrauch zurück. Die nun geltend gemachte und von der UKA anerkannte Kausalität für seinen aktuellen, gewiss beklagenswerten gesundheitlichen Zustand vermögen wir jedenfalls nicht umfänglich nachzuvollziehen."
Das Bistum Augsburg beklagt, die 150.000 Euro würden die üblichen Zahlungen an Missbrauchsopfer bei Weitem übersteigen, mit einer Größenordnung wie bei Schmerzensgeldzahlungen vor Gericht. Dies sei ein "Paradigmenwechsel", den man vermeiden wolle. Die Zustimmung verweigert das Bistum Augsburg zunächst. Ein Anrecht auf die von der Unabhängigen Kommission festgelegte Anerkennungsleistung haben Missbrauchs-Betroffene nicht.
Mangelnder Aufklärungswille: Missbrauchsbeauftragte treten zurück
Ende April ein Paukenschlag im Bistum Augsburg: Zwei von drei Missbrauchsbeauftragten des Bistums treten zurück; die beiden Diplom-Psychologen Angelika Hauser und Rupert Membarth. Sie werfen dem Bistum Augsburg mangelnden Aufklärungswillen vor. Kürzlich sei ihnen der Zugang zu den Priesterakten verwehrt worden – aus Datenschutzgründen. "Das ist halt schwierig, dann noch Beurteilungen zu machen von einer Glaubwürdigkeit oder von Plausibilität der Betroffenen. Wie soll das dann gehen?", sagt Rupert Membarth.
Und Angelika Hauser kritisiert, das Bistum würde den Missbrauchsbeauftragten wichtige Informationen vorenthalten. Sie bezieht sich dabei auf Fälle, bei denen die Pfarrer noch im Amt sind. "Da habe ich halt zweimal die Erfahrung gemacht, dass ich überhaupt keine Informationen bekommen habe. Es gab Anhörungen, ich wurde nicht eingeladen, obwohl ich mit der Betroffenen sehr viel mehr Gespräche geführt habe. Ich habe davon nichts erfahren. Ich musste auch das Protokoll einfordern, das ich auch erst mal nicht bekommen habe. Und da habe ich gedacht, so kann ich Betroffene nicht vertreten. Das fühlt sich für mich nicht richtig an", sagt Angelika Hauser.
Kritik an Informationspolitik – Bistum beruft sich auf Datenschutz
Das Bistum Augsburg erklärt diese Praxis mit Datenschutz-Richtlinien. Es schreibt dem BR dazu: "Eine damit verbundene, gewisse Zurückhaltung des Bistums gegenüber den Ansprechpersonen sollte nicht missverstanden werden. Die Unabhängigen Ansprechpersonen sind zweifellos essentieller Teil einer Informationskette, aber in erster Linie auch Begleitung der Betroffenen."
Auf Hans Joachim Ihrenberger wirkt der ganze Vorgang so, als werde ihm wieder einmal nicht geglaubt. Daraufhin geht er mit seiner Geschichte an die Öffentlichkeit: "Das hat massiv geholfen, weil dann sind sie umgeschwenkt. Dann hieß es auf einmal, es wäre ja überhaupt nichts entschieden, das läge ja alles noch in der Schwebe." Letztendlich erkennt das Bistum Augsburg den Betrag von 150.000 Euro an.
Bistum Augsburg will Begriff "Schmerzensgeld" vermeiden
Für das Bistum Augsburg stellt sich die Sachlage anders dar. Es habe offene Fragen gegenüber der UKA gegeben, die man aber hätte klären können. Mitte Januar dann signalisiert das Bistum gegenüber der UKA Gesprächsbereitschaft und schreibt in einem Brief an die Kommission: "Es sollte daher auf jeden Fall auch in der gemeinsamen Nomenklatur der Begriff des 'Schmerzensgeldes' vermieden werden, schon um in der unvermeidlichen Öffentlichkeit der Leistungsfestlegungen nicht den Eindruck zu erwecken, dass die UKA die kirchlichen Institutionen zur Zahlung von Schmerzensgeld in Analogie zur staatlichen Gerichtsbarkeit verurteilt."
Denn Missbrauchsopfer bekommen von der Katholischen Kirche kein Schmerzensgeld, sondern lediglich "Zahlungen in Anerkennung des Leids". Die Beträge liegen in der Regel sehr viel niedriger als bei gerichtlich angeordneten Schmerzensgeldzahlungen. Die kirchlichen Zahlungen sind grundsätzlich freiwillig.
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