Ob er jemals wieder zurück nach Argentinien gehe, "hängt zum großen Teil von dieser Wahl ab", sagt Lucas Suarez Magenschab und verschränkt die Arme vor der Brust. Der Zwanzigjährige sitzt in einem Café in der Nähe des Münchner Hauptbahnhofs, ein kurzer Snack, bevor es zur Arbeit geht. Lucas verkauft Sportartikel. Vor knapp zwei Jahren hat er in Argentinien sein Abitur gemacht. Kurz danach reiste er nach Deutschland, kam die ersten Monate bei seiner Tante unter, lernte Deutsch und suchte sich einen Job.
Dass er von seinem Job leben und sogar noch etwas ansparen kann, ist für Lucas nicht selbstverständlich: In seinem Heimatland Argentinien beträgt die jährliche Inflation 143 Prozent. "Man weiß nie, wie viel man am Ende des Monats hat, immer ändert sich der Wechselkurs oder es gibt eine neue Steuer", sagt Lucas.
Zwei gegensätzliche Kandidaten
Er hält es deswegen für zynisch, dass die aktuelle Regierungskoalition bei der Präsidentschaftswahl diesen Sonntag ausgerechnet ihren Wirtschaftsminister Sergio Massa ins Rennen schickt. Der tritt an gegen Javier Milei, einen ultrarechter Ökonom, der sich als politischer Outsider verkauft – mit großem Erfolg.
Besonders bei jungen Leuten komme Milei gut an, "mit seinem jugendlichen, Rockstar-mäßigen Aussehen, seinem Geschrei, dem politisch Unkorrektem", erklärt der argentinische Historiker Diego Crescentino, der an der Universität Eichstätt unter anderem zu südamerikanischer Politik forscht und Mitglied des am Zentralinstituts für Lateinamerikastudien (ZILAS) ist: "Milei präsentiert sich als Antwort." Eine Antwort auf die immerwährende Inflation, steigende Armut in der argentinischen Bevölkerung und eine Regierung, die während der Corona-Pandemie mehrmals das Vertrauen der Bürger enttäuscht hat.
Mileis radikale Ideen
Auch Lucas glaubt, dass Javier Milei "mehr Leute aus Hass gegen die aktuelle Regierung wählen als wegen seiner Ideen". Milei schlägt zum Beispiel vor, den Dollar als Währung einzuführen, die argentinische Zentralbank abzuschaffen und den Handel mit Organen zu erlauben.
Bei den meisten seiner Vorschläge sei zwar unrealistisch, dass er sie als Präsident durchsetzen könne, sagt Historiker Diego Crescentino: "Dafür fehlen ihm die Mehrheiten im Parlament." Was Crescentino dafür aber für umso gefährlicher hält, ist "das Aufkommen eines reaktionären Diskurses innerhalb der Bevölkerung, wozu auch das Infragestellen der Demokratie gehört und Sätze wie `Die Diktatur war nicht so schlimm`". 1976 bis 1982 herrschte in Argentinien eine grausame Militärdiktatur, bei der 30.000 Andersdenkende verschleppt, gefoltert und getötet wurden – Javier Milei leugnet diese Verbrechen immer wieder.
Das sei auch der Grund, warum er Milei niemals wählen würde, sagt Matías Pihuala. Auch Matías wohnt in München, seit mittlerweile drei Jahren, macht hier eine Ausbildung zum Anlagenmechaniker. "Wir sollten 40 Jahre Demokratie nicht mit einer Person wie Milei beflecken", sagt er. "30.000 Argentinier haben in der Militärdiktatur ihr Leben gegeben, damit wieder Demokratie herrscht. Und sie haben es geschafft. Da wäre es respektlos, wenn Milei gewänne, der ihre Entführungen und Hinrichtungen unterstützt."
Swifties gegen Javier Milei
So wie Matías denkt unter anderem auch eine Gruppe von Taylor-Swift-Fans aus Argentinien, die zuletzt bei Konzerten der Sängerin in Buenos Aires mit pinken Schildern auf sich aufmerksam machten mit der Aufschrift: "Swiftie no vota Milei" – Swifties wählen nicht Milei.
Matías Pihuala sieht sich zwar von der aktuellen Regierung nicht repräsentiert. Trotzdem hält er es für wichtig: "Massa zu wählen, damit Milei nicht gewinnt." Lucas dagegen argumentiert genau andersherum. Er "würde Milei wählen, weil er von den beiden Schlechten der weniger Schlechte ist". Sollte am Sonntag Sergio Massa gewinnen und "in Argentinien alles so bleiben, wie es gerade ist", dann sehe er dort keine Zukunft mehr für sich.
Außenpolitische Konsequenzen
Dass der Wahlausgang auch für Deutschland Folgen haben könnte, davon ist Südamerika-Experte Diego Crescentino überzeugt: Wie damals Brasilien unter Bolsonaro, so könne beispielsweise auch Argentinien unter Javier Milei aus internationalen Klimaschutzabkommen aussteigen. Auch sei zu erwarten, dass die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Argentinien und der EU durch einen Präsidenten Milei auf eine harte Probe gestellt würden.
Auch dieser Aspekt passt zu einem Satz, den sowohl Lucas als auch Matías gesagt haben: "Diese Wahlen in Argentinien sind ein entscheidender Moment."
Im Audio: Er nennt sich "Anarcho-Kapitalist": Der rechtslibertäre Populist Javier Milei
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