Schon seit Anfang Februar lebt die junge Frau, die anonym bleiben möchte, in großer Sorge um ihre Gesundheit: Die 41-Jährige hat vor sechs Jahren die Diagnose Brustkrebs bekommen. Eine Hochdosis Chemotherapie und eine Operation folgten. Seither ist sie in der Nachsorge und muss täglich eine Tablette Tamoxifen nehmen. Das Präparat soll verhindern, dass der Krebs wiederkehrt. Doch als sie ihr Rezept Anfang Februar einlösen will, der Schock: Tamoxifen ist nicht lieferbar. Sie wendet sich an den Bayerischen Rundfunk.
Tamoxifen ist der wichtigste Baustein in der Nachsorge von Brustkrebs
Brustkrebs ist die häufigste Krebsform bei Frauen. Jede achte Frau in Deutschland ist davon betroffen. Tamoxifen ist wichtiger Baustein einer Therapie, die die Wirkung von Östrogen hemmt, die Menopause auslöst und so Tumorwachstum verhindern soll.
Besonders für junge Frauen ist dieses eingespielte Behandlungskonzept alternativlos, betont Dr. Rachel Würstlein vom Brustzentrum des Klinikums der Universität München. Fünf bis zehn Jahre lang täglich eine Tablette Tamoxifen, das sei die bewährte Therapie in der Nachsorge, die man nicht so einfach unterbrechen könne, so Würstlein. "Bei den Patientinnen löst das natürlich eine große Unruhe und Sorge aus, besonders dann, wenn die letzte Packung bald aufgebraucht ist", sagte sie im Interview mit den Politikmagazinen report München und dem BR-Politikmagazin Kontrovers.
Genau in dieser Situation ist die Frau aus Hamburg, als sie Kontakt mit dem Bayerischen Rundfunk aufnimmt. Sie hat noch fünf Tabletten und mittlerweile schon in vielen Apotheken nachgefragt. Ergebnislos. "So nach der dritten, vierten Apotheke, als ich dann eben auch schon zu hören bekommen habe, es waren schon mehrere Frauen da, die gefragt haben, das macht einem dann schon Angst", erzählt sie.
Ist die Preisschraube überdreht?
Tamoxifen und der gleichnamige Wirkstoff werden in Europa hergestellt. Probleme in der Lieferkette mit Herstellern in Asien sind in diesem Fall nicht ursächlich für den Versorgungsengpass, erfährt report München in Hintergrundgesprächen. Vielmehr scheinen unter anderem die Herstellungskosten das Problem zu sein: Für Tamoxifen gibt es keinen Patentschutz mehr. Das Medikament wird als Generikum in Deutschland sehr billig angeboten. Laut Hersteller-Verband Pro Generika ist der Ausfall mehrerer Wirkstoff-Lieferanten Ursache für den Engpass. Pro Generika macht den zunehmenden Kostendruck für den Engpass verantwortlich.
In der Vergangenheit seien laut Herstellerverband als Folge des stetig sinkenden Preisniveaus immer mehr Hersteller oder wichtige Zulieferer aus der Produktion ausgestiegen, da diese für sie nicht länger wirtschaftlich gewesen sei. Der Preis, den Krankenkassen in Deutschland bezahlen, liege um ein Vielfaches unter dem in anderen europäischen Ländern.
Auch Prof. Martin Schulz, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Apotheker meint, die Preisspirale sei überdreht. "Am Ende des Tages muss die Politik dort tätig werden", erklärt er. Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) weist den Vorwurf zurück und fordert stattdessen "größere Transparenz" bei den Herstellungsprozessen und Lieferketten und "sanktionsbewährte Meldeverpflichtungen" für Unternehmen.
Wichtige Arzneimittel der Krebstherapie müssen verfügbar sein
Prof Dr. Bernhard Wörmann vom Charité Zentrum für Tumormedizin vertritt die DHGO (Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie) im Beirat für Arzneimittelengpässe beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Er fordert ein Ende der gegenseitigen Schuldzuweisungen und eine schnelle Lösung des Problems: "Die Parteien, die hier verantwortlich sind, haben auch eine Verantwortung gegenüber den Patientinnen und den Patienten. Das heißt, das Präparat muss verfügbar gemacht werden."
Engpässe bei wichtigen Arzneimitteln sind Alltag in Deutschland
Immer wieder kommt es zu Versorgungsengpässen bei wichtigen Medikamenten. Schon 2016 hatte report München über einen Engpass beim Krebsmittel Alkeran berichtet und konnte nachweisen, welch dramatische Folgen der Engpass hatte. Damals mussten in Deutschland 48 Knochenmarktransplantationen verschoben werden. Karl Lauterbach, seinerzeit gesundheitspolitischer Sprecher der SPD Bundestagsfraktion, sagte 2016: "Das ist eigentlich unentschuldbar, weil das ist ein sehr wichtiges Medikament und die Verschiebung der Therapie ist ja hochriskant für den Patienten." Heute als Bundesgesundheitsminister lehnt er ein Interview zum Tamoxifen Engpass ab.
Mit Situationen wie der aktuellen befasst sich der Beirat für Liefer- und Versorgungsengpässe. Pharmahersteller, Apotheker, Ärztevertreter und Krankenkassen beraten dort gemeinsam, wie Versorgungsengpässe gemanagt werden. Für Tamoxifen wurde im Februar der Versorgungsmangel ausgerufen, Importe wurden erleichtert, Empfehlungen zur Verordnung und Dosierung gemacht und geprüft, ob einer der Hersteller eine Sonderproduktion einschieben könnte.
Ampelkoalition verspricht bessere Versorgung
Für Prof. Bernhard Wörmann von der DGHO sind die ergriffenen Maßnahmen zwar richtig und gut, reichen aber nicht aus. Denn der Engpass konnte nur durch Importe gemanagt werden, eine ausreichende Tamoxifen Produktion ist dadurch nicht gesichert. "Jeder Versorgungsengpass ist unerträglich für uns", sagt er, "für solche Arzneimittel sollte das nicht passieren. Wir brauchen eine Vorratshaltung von drei bis sechs Monaten für unverzichtbare Arzneimittel."
Im Koalitionsvertrag hat die Ampelkoalition ganz allgemein Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgungssicherheit bei Arzneimitteln und zur Vermeidung von Engpässen angekündigt. Auf Nachfrage teilt das Bundesgesundheitsministerium jetzt mit, man wolle die „Vorhaltung eines Sicherheitsbestands an bestimmten Arzneimitteln“ sowie die "Weiterentwicklung der Rabattverträge" prüfen.
Sonderproduktion Tamoxifen erfolgreich gestartet
Während der Recherchen kündigt Hexal, nach eigenen Angaben Marktführer, eine Sonderproduktion von 20 Millionen Tabletten an. Die Auslieferung werde in den nächsten Tagen beginnen, der Großhandel könne jetzt bestellen. Noch im April sei Tamoxifen in den Apotheken wieder normal erhältlich. Die ersten Chargen der im Werk Barleben bei Magdeburg kurzerhand aufgenommenen Produktion seien fertig. Allerdings hat die Firma für Tamoxifen die Produktion eines anderen Arzneimittels verschoben und muss die Produktionsstraße bald wieder umstellen.
Zusammen mit den Importen von Restbeständen aus anderen europäischen Ländern, könne so immerhin die Versorgung deutscher Patientinnen kurzfristig für die nächsten Monate sichergestellt werden. Immerhin werden pro Monat in Deutschland 4,2 Millionen Tabletten Tamoxifen gebraucht, so Prof. Martin Schulz. Deswegen könne Hexal langfristig nicht den Ausfall anderer Hersteller kompensieren, so die Firma, die nach eigenen Angaben über 50 Prozent des in Deutschland verkauften Tamoxifen herstellt.
Verantwortung an Patienten abgeschoben?
Die Patientin, die sich an den Bayerischen Rundfunk gewendet hat, ist schließlich in einer kleinen Apotheke im Chiemgau fündig geworden. Dort ist sie aufgewachsen, in der Schublade fand der Apotheker noch eine Drei-Monatspackung mit 100 Tabletten. Doch die Suche hat die 41-Jährige viel Kraft gekostet, enorme Ängste ausgelöst und die Frau sehr belastet. "Mich wundert", sagt sie, "wie sehr die Verantwortung an die Patienten abgeschoben wird, wir sind halt die Letzten in der Nahrungskette."
Sie hat jetzt noch Tabletten bis Mitte Mai und hofft, dass sie dann ihr Tamoxifen wieder normal in der Stammapotheke beziehen kann. Denn die langfristige Versorgungslage bleibt unsicher.
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