Katja Tsafrir ist die Leiterin des Münchner Büros des Jüdischen Nationalfonds (JNF), der nach eigenen Angaben ältesten und größten Umweltorganisation Israels. Derzeit befindet sich die Münchnerin mit ihrer Familie jedoch in Tel Aviv. Im Interview mit BR24 spricht sie darüber, wie sie die Terrorangriffe in Israel erlebt hat.
Sirenen bei Sonnenaufgang - "Ein ganz komisches Gefühl"
"Es war ein ganz komisches Gefühl, weil man überhaupt nicht wusste, was los ist", erzählt Katja Tsafrir. Am Samstag sollte eigentlich ihr letzter Tag in Tel Aviv sein, deshalb war sie schon früh am Strand von Tel Aviv unterwegs, als gegen 6.30 Uhr, fast zeitgleich zum Sonnenaufgang, die Sirenen losgingen. "Und dann hörte man gleich danach die Abwehrraketen. Die Häufigkeit war extrem."
Ein Passant am Strand habe ihr dann die Pushmitteilungen der Warnapps gezeigt. Ab dem Moment sei ihr dann bewusst geworden, dass etwas Ernstes passiert ist. Zurück in ihrer Unterkunft in Tel Aviv habe sie dann mit ihrer Familie die Nachrichten verfolgt, vor allem auch über die Sozialen Netzwerke. Mehrmals mussten sie im Laufe des Tages Zuflucht im Luftschutzraum im Keller suchen.
Die Menschen, die mit ihr in dem Haus leben, seien am Samstag ganz unterschiedlich mit der Situation umgegangen, erzählt Katja Tsafrir. "Einigen sah man die Angst an", so die Münchnerin, die israelische Wurzeln hat. "Es gab laute Detonationen im Süden und auch die Warnsirenen in Tel Aviv waren laut", erzählt sie. "Die Straßen waren leer, da ist kaum jemand rausgegangen". Am gestrigen Sonntag seien dann zumindest die Lebensmittelgeschäfte in Tel Aviv teilweise wieder offen gewesen, die Schulen jedoch blieben geschlossen (in Israel beginnt die Woche am Sonntag, es ist dort kein Feiertag. Anm. d. R.).
Leere Straßen, dennoch lange Schlangen beim Blutspenden
Obwohl die Straßen in Tel Aviv am Sonntag wie ausgestorben gewesen seien, hätten sich dennoch viele Menschen zum Blutspenden begeben. So auch Katja Tsafrir: "Das war eine ganz lange Schlange, die ging bis ins Erdgeschoss geschlängelt runter."
Auch heute habe es am Vormittag wieder Raketenalarm in Tel Aviv gegeben. Doch am Schlimmsten sei die Hilflosigkeit, sagt Tsafrir. Man befinde sich in der Stadt und könne nichts machen, nicht helfen. "Man flüchtet sich in die Nachrichten. Aber da muss man aufpassen. Je mehr man sieht, desto gelähmter und hilfloser kommt man sich vor. Es ist ein Teufelskreis. Es gehen fürchterliche Videos rum". Man müsse deshalb aufpassen, dass man das nicht alles aufnehme, "weil die Seele das nicht verarbeiten kann, weil das so schwere, furchtbare Bilder sind".
Spenden für Israel sammeln
Jetzt sollen die Menschen in Israel zu Hause bleiben, sich nicht in größeren Gruppen treffen, das ist die Empfehlung der Regierung. Morgen will Katja Tsafrir wieder zurückfliegen, sie hofft, dass ihre Lufthansa-Maschine nach München fliegt. Hier in Bayern will sie dann Spenden für israelische Traumata-Zentren sammeln. "Die entsetzlichen Bilder gehen nicht aus dem Kopf. Je mehr man davon sieht, desto traumatisierter ist man".
Antisemitische Vorfälle auch in Bayern befürchtet
Im Zuge des Terrors gegen die israelische Zivilbevölkerung warnt die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Bayern (RIAS) vor antisemitischen Vorfällen mit Bezug zu den aktuellen Entwicklungen in Israel. Der Organisation sei bereits am Sonntag ein Vorfall gemeldet worden.
Laut RIAS Bayern sei nun auch auf israelfeindlichen Demonstrationen mit Antisemitismus zu rechnen. Im Alltag würden Juden und Jüdinnen mit antisemitischen Kommentaren und Vorwürfen zu den Vorgängen in Israel konfrontiert. Insbesondere auch am Rande von Kundgebungen in Solidarität mit Israel erwarte RIAS Bayern Anfeindungen.
"Selbst jetzt, nach diesem präzedenzlosen, mörderischen Überfall von Terrororganisationen auf israelische Zivilisten, richten sich bereits wieder Kommentare und geplante Proteste gegen das angegriffene Israel", so Annette Seidel-Arpacı, die Leiterin von RIAS-Bayern.
Münchner Polizei bewacht jüdische Einrichtungen noch intensiver
Auch die Münchner Polizei passt die Sicherheitsvorkehrungen den aktuellen Ereignissen an. "Bei jüdischen und israelischen Einrichtungen, da haben wir natürlich grundsätzlich einen besonderen und verstärkten Sicherheitsfokus", sagt ein Sprecher der Münchner Polizei auf BR-Anfrage. Doch aufgrund der aktuellen Entwicklungen werden die Sicherheitsvorkehrungen nun entsprechend intensiviert. Konkret bedeutet das, dass zum Beispiel die Synagoge am Jakobsplatz oder andere jüdische Einrichtungen noch intensiver bewacht werden.
Im Gegensatz zum Jüdischen Museum in Augsburg, das die nächsten Tage aus Sicherheitsgründen geschlossen ist, bleibt das Jüdische Museum in München offen. Es befindet sich ebenfalls am Jakobsplatz, direkt neben der Synagoge Ohel Jakob.
Münchner Rathaus leuchtet in den Farben Israels
Die Stadt München hat als Zeichen der Anteilnahme und Solidarität mit Israel und gegen den Terror außerdem vor dem Rathaus auf dem Marienplatz Israel-Flaggen gehisst. Heute Abend wird zudem das Rathaus mit der israelischen Flagge angestrahlt.
Auch die Münchner Partnerstadt Be’er Sheva ist Ziel des Angriffs der Hamas geworden. Oberbürgermeister Dieter Reiter bekundete in einem Schreiben an den Bürgermeister von Be’er Sheva, Ruvik Danilovich, die Solidarität Münchens mit der israelischen Stadt.
- Zum Artikel: Israel im Kriegszustand: Was Reisende wissen müssen
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