TikTok & Co: Parteien überlassen der AfD das Feld
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AfD stark auf TikTok & Co: Wie andere Parteien aufholen wollen

AfD stark auf TikTok & Co: Wie andere Parteien aufholen wollen

Bayerns Grüne wollen jetzt im Netz "noch stärker" werden. Andere auch. Noch stärker? Bisher dominiert die AfD weite Teile von Bayerns Social-Media-Debatte. Langsam wachen die anderen Parteien auf.

Josef Lausch stellt sich selbstsicher vor die Handykamera, spricht los. Seine 20-jährige Mitarbeiterin filmt ihn. Der bayerische Landtagsabgeordnete der Freien Wähler braucht kein Skript, wenn er seine Kurzvideos für TikTok aufnimmt, er möchte "ungekünstelt, glaubwürdig" rüberkommen. Das habe ihm auch der Chef geraten: "Hubert Aiwanger hat uns am ersten Tag in der Fraktion ganz schön eingenordet", erzählt der 54-Jährige. Wer arrogant werde, "dem wird der Hubert eigenhändig den Kopf waschen". Volksnah auf Social Media – die Strategie der Freien Wähler.

Ob er sich auf Social Media wohlfühlt? "Jein", gesteht Lausch. Es bestehe die Gefahr, "wie ein Depp" dazustehen.

  • Zum Artikel: Warum ist die AfD auf TikTok so erfolgreich?

Viele Politiker haben Berührungsängste

Wie Lausch geht es auch anderen Politikern. Kommunikationsexperte Martin Fuchs sagt, viele hätten Berührungsängste mit TikTok. Wegen Sicherheitsbedenken, aber auch, "weil sie dort ganz anders denken müssen, Dramaturgien müssen anders gebaut, Geschichten anders erzählt werden".

Fuchs war Politik- und Strategieberater in Berlin und Brüssel, seit 2008 ist er Social-Media-Dozent unter anderem an der Uni Passau, schreibt für diverse Magazine und betreibt eine Wahlbeobachter- und Social-Media-Analyse-Plattform.

Fraktionen überlassen der AfD das Feld

Berührungsängste – ein Grund, warum Lausch mit seinem TikTok-Auftritt zu einer kleinen Minderheit in seiner Fraktion gehört. Eine BR-Umfrage zeigt: Bei den Freien Wählern tiktoken knapp 19 Prozent. Bei der SPD nicht mal zwölf. Bei der CSU- und der Grünen-Fraktion laut deren Angaben rund jeder Fünfte.

Die AfD ist stärker vertreten, mit 38 Prozent – mindestens: Laut Fuchs tiktoken AfD-Politiker durchaus auch unter einem Pseudonym. Betrachtet man nicht nur die Zahl der Accounts, sondern auch ihre Reichweiten, dominiert die AfD einen großen Teil der sozialen Netzwerke. Und damit die dortigen Debatten. Immerhin: Fast alle Landtagsabgeordneten sind auf Facebook und Instagram (bis auf fünf).

AfD streut möglicherweise auch über "Dritt-Accounts"

Dass die AfD mit ihren Videos manchmal hunderttausend Aufrufe erzielt, liege aber auch am Algorithmus. sagt Fuchs. Der belohnt emotionalisierende und zuspitzende Inhalte. "TikTok liebt Populismus." Zusätzlich würden vermutlich sogenannte "Dritt-Accounts" der AfD zu Reichweite verhelfen. Gemeint sind Accounts, die auf den ersten Blick nichts mit der Partei zu tun haben, aber AfD-nahe Inhalte verbreiten.

Fuchs vermutet, dass diese Accounts von der AfD gesteuert werden: Es gebe noch keine harten Beweise, aber "erste Indizien". Zum Beispiel, dass AfD-Videos "zeitnah auf diesen Dritt-Accounts erscheinen". Fuchs geht davon aus, dass AfD-Mitarbeiter zunächst die offiziellen AfD-Kanäle bedienen und im Anschluss auf "vermeintlich seriösen Accounts" wie 'Bundestags TV' die Inhalte zweitverwerten.

Im Schnitt vier Mitarbeiter für Social Media

Lange hätten die anderen Fraktionen Social Media ignoriert, sagt Kommunikationsberater Fuchs – während sich der politische Diskurs schon dorthin verlagerte, Trends entstanden, Reichweiten generiert und politische Auseinandersetzungen ausgetragen wurden. Laut Fuchs entstanden dort "Realitäten". Ihm zufolge hätte spätestens seit der Bundestagswahl 2017 Social Media fester Bestandteil jeder politischen Kampagne sein müssen. Bestimmte Zielgruppen ließen sich inzwischen gar nicht mehr anders erreichen.

Während andere schliefen, eroberte die AfD das Netz. Und prägt nun Debatten und Stimmungen. Das, sagt Fuchs, sei vielen Politikern lange nicht bewusst gewesen.

Ratlosigkeit in den Pressestellen?

Im Landtag herrscht jetzt Ratlosigkeit. Über den Erfolg der AfD, über mangelnde eigene Strategien. Das sieht man auch daran, dass sich die Fraktionen nur sehr zurückhaltend zu ihren Social Media-Aktivitäten äußern. Die SPD beispielsweise erklärt, sie habe "allgemeine Ausgaben" für die Öffentlichkeitsarbeit. Ein "Teil davon" fließe auch in Social Media. Die Freien Wähler lassen wissen, sie seien mit vier Mitarbeitern ähnlich aufgestellt wie die Grünen.

Söder hat wenig Berührungsängste

Die CSU-Fraktion leistet sich für Social Media auch externe Berater, beschäftigt "je nach Bedarf" mal mehr, mal weniger Personal und spürt mit "regelmäßigen Monitorings" Trends nach. Wirklich trenden kann bei der CSU aber vor allem einer: Markus Söder mit seinen insgesamt 1,2 Millionen Followern.

"#Söderisst", Weihnachtspullover – durchaus "hemdsärmelig" präsentiert sich Söder auf Social Media. Und und genau das sei im Digitalen ein Erfolgsgeheimnis, sagt Martin Fuchs, der auch die CSU schon beraten hat. Söder habe den Willen, die Ressourcen und wenig Berührungsängste, etwas umzusetzen.

Grüne: Mehr Ressourcen für Social Media

Die Landtagsfraktionen und Parteien wissen, dass sie aufrüsten müssen, um der AfD im digitalen Raum etwas entgegenzusetzen. "80 Prozent bei TikTok kommt von der AfD", rief die bayerische Grünen-Vorsitzende Eva Lettenbauer auf dem Parteitag am Wochenende. "Wir müssen im Internet noch stärker werden."

Im Moment investiert die Grünen-Fraktion rund 60 Prozent ihres Öffentlichkeitsbudgets in Social-Media-Inhalte. Vier von zehn Mitarbeitern sind dafür zuständig, beim Landesverband sind es zwei Mitarbeiter. "Wir planen, unsere Kapazitäten für den Bereich Social Media weiter zu erhöhen und Social Media prinzipiell in unserer Medienarbeit höher zu gewichten", teilt die Fraktion mit. Deswegen hat sie sich jetzt auch den Kommunikationsberater Martin Fuchs ins Haus geholt.

"Politiker-Post will ich als User nicht mehr sehen"

Es ist Mitte Januar. Fuchs ist zu Gast bei den Grünen, um über digitale Reichweiten zu referieren. Sein Rat: "Den klassischen Politiker-Post mit dem Foto und den spannenden Gesprächen, den will ich als User nicht mehr sehen." Stattdessen, sagt Fuchs nach seinem Vortrag, wolle er auf Social Media "möglichst prägnant und kurz" informiert werden, wie die Politik Probleme löst. Seriöse Politik statt alberner Trends und inhaltsleerer Posts.

Kommunalpolitik auf Social Media: "Graswurzel" der Demokratie

Können die Parteien mit dieser Strategie den Reichweiten-Vorsprung der AfD aufholen? Wichtig sei ein "Grundrauschen", so Fuchs. Wenn 20 bis 30 Prozent aktiv sind, könne das "schon reichen, um Social Media nicht ganz der AfD zu überlassen". Die 20 bis 30 Prozent gelten aber auch für die Kommunalpolitik, sagt Fuchs.

Auch ein blinder Fleck. Denn Kommunalpolitiker arbeiten meist ehrenamtlich, ihnen fehlten oft Zeit und Geld für Social Media. Gleichzeitig seien sie die "Graswurzel" der Demokratie, hätten Verbindungen zu den Menschen und Organisationen und könnten "Breite für ein Thema erzeugen". Das bedeutet: Hier bräuchte es mehr Geld, mehr Fortbildungen, mehr Personal.

FW-Mann Lausch: Auf TikTok, weil AfD so stark ist

Zurück zu Josef Lausch. Er schaut zufrieden seiner Assistentin über die Schulter – für den Feinschliff ist sie zuständig. "Josepha tut noch bissl Musik drüberlegen, bissl poppig – fertig." Lausch hat den Kampf aufgenommen: Mit seinen Videos erreicht er schon mal 30.000 Klicks – noch mehr, wenn er seinen Chef verlinkt. "Mit dem Hashtag Aiwanger geht das gleich ab."

Wieso er trotz Berührungsängsten TikTok-Videos dreht? "Weil ich alle Altersklassen und Bevölkerungsgruppen ansprechen möchte. Und auch, weil die AfD auf TikTok so stark unterwegs ist." Aber um die Hegemonie der AfD zu brechen, braucht es offenbar mehr als Foto-Posts und Winke-Smiley.

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