Simone E. und ihre Tochter Rebekka aus dem Landkreis Passau sitzen auf dem Sofa und schauen Familienfotos an: Bilder von Reisen aus Italien und Israel, von Konzerten, Ausflügen. Es sind Bilder aus einer Zeit, in der ihr Leben noch ein anderes war, in der ihr Mann und Vater noch bei ihnen war.
"Wir verstehen nicht, was überhaupt passiert ist"
"Ich versuche, jeden Tag zu meistern. Aber es ist schwer. Wir waren fast 38 Jahre lang zusammen. Es ist bestimmt immer schwer, seinen Partner zu verlieren – egal, ob durch Krankheit oder durch einen Unfall. Aber ich verstehe einfach nicht, wie das passieren konnte", sagt Simone und weint. Rebekka drückt ihre Hand und sagt: "Wir verstehen halt auch gar nicht, was überhaupt passiert ist."
Vier Monate ist es jetzt her, dass ihr Mann und Vater gestorben ist. Weil er zur falschen Zeit am falschen Ort war. Er wurde Anfang Oktober von einem Fremden unvermittelt verprügelt. Und fiel vor einem Café mitten in Pocking so auf den Kopf, dass er an den Verletzungen gestorben ist.
Unvermittelte Schläge in den Bauch
Doch von vorne: Simone E. und ihr Mann wollen am 6. Oktober essen gehen und sind mit dem Auto auf dem Weg nach Bad Griesbach. Doch sie kommen nicht weit. Als sie nach nur wenigen Minuten Fahrt an einer Kreuzung stehen, schlägt ein Mann gegen den Wagen. "Ich dachte erst, das sind Steine", erinnert sich Simone. Die beiden stellen das Auto ab und steigen aus, woraufhin der Unbekannte unvermittelt auf Simones 61 Jahre alten Ehemann zugeht und ihm zweimal voller Wucht in den Magen schlägt. So schildert sie die Szene.
"Wir standen komplett unter Schock, haben uns erst mal wieder ins Auto gesetzt und die Polizei angerufen. So eine Gewalt haben wir noch nie erlebt. Und wir kannten den Mann gar nicht", sagt sie. Der Unbekannte sei noch eine Weile vor ihrem Auto stehen geblieben, dann aber weggegangen. "Und da hab ich zu meinem Mann gesagt: Mach doch noch ein Foto mit dem Handy, damit die Polizei weiß, wie er aussieht."
Ihr Mann geht dem Fremden hinterher und macht ein Foto. Was danach passiert, weiß niemand. Klar ist nur, dass ihr Ehemann fünf Minuten später blutüberströmt auf der Straße liegt – mitten in Pocking, zwischen einem Café und dem Rathaus. Die Polizei ist schnell vor Ort, reanimiert ihn. Doch er fällt ins Koma und stirbt zweieinhalb Wochen später an seinen schweren Kopfverletzungen.
Familie ermittelt
"Ich möchte nicht, dass jemand dasselbe Schicksal erleidet wie wir. Der Täter ist gefährlich und läuft frei rum. Das kann nicht sein", sagt Simone E. Deshalb sucht die Familie nach dem Mann. Die Fotos, die Überwachungskameras von dem mutmaßlichen Täter gemacht haben, hat die Familie dem Fraunhofer-Institut in Karlsruhe geschickt. In der Hoffnung, dass die Bilder mithilfe künstlicher Intelligenz nachgeschärft werden können. Doch das hat nicht geklappt. Die Fotos bleiben verschwommen.
Sie zeigen einen Mann mit weißem Haar, südländischer Erscheinung, etwa 55 Jahre alt und um die 1,70 Meter groß. Familienmitglieder waren mit den Fotos selbst in Cafés und Bars in Pocking unterwegs, auf der Suche nach Zeugen. Ohne Erfolg. Die Familie hat auch eine Belohnung ausgesetzt. 5.000 Euro für Hinweise, die zum Täter führen. Doch auch darauf hat sich niemand gemeldet. Letzte Hoffnung für Familie und Polizei ist nun ein Videoschnipsel.
Fahndungsplakate mit QR-Code
Die Überwachungskamera eines Supermarkts hat festgehalten, wie der Unbekannte nach dem mutmaßlichen Angriff über den Parkplatz eines Supermarkts geht. Er rennt nicht, geht aber zügig und aufrecht, sein rechter Arm schwingt bei jedem Schritt mit. "Die Fotos waren recht unscharf. Da haben wir keine brauchbaren Zeugenhinweise bekommen. Jetzt hoffen wir, dass wir zu der Art und Weise, wie der Mann geht, Hinweise bekommen", sagt Günther Tomaschko vom Polizeipräsidium Niederbayern.
In Pocking und vielerorts im südlichen Landkreis Passau haben Polizeibeamte Fahndungsplakate mit QR-Codes aufgehängt, die zu dem Video führen. Die Familie des Opfers hofft, dass damit endlich der entscheidende Hinweis kommt. Tochter Rebekka sagt: "Wir wollen Gerechtigkeit, auch wenn es an der Situation nichts mehr ändert. Und wir wollen verstehen, was passiert ist."
Im Video: Eine Familie auf Täter-Suche
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